Opa Popolski war ein fleißiger Mann. Über 128.000 Lieder hat er einst im polnischen Örtchen Zabrze komponiert und allesamt sind in den letzten Jahren in die internationalen Charts gekommen. Nur hat Opa Popolski daran keinen Cent verdient, nicht einmal sein Name ist im Zuge dessen bekannt geworden. Von gaunerhaften Gestalten wurde er schändlichst um seine Kompositionen und um den wohlverdienten Ruhm gebracht. Soviel zur Legende. Es ist allein seiner vielköpfigen Familie zu verdanken, dass dieses dunkle Kapitel der Musikgeschichte nicht der Vergessenheit anheim fällt. Als „The Pops“ stehen neun seiner Kinder im Rahmen ihrer neuen Aufklärungsmission „From Zabrze with Love“ vor 900 begeisterten Besuchern im zakk auf der Bühne und spielen die angeblichen Originalversionen aus der Feder ihres großen Ahnen Pjotr Popolski. Angeführt von Pavel Popolski alias Achim Hagemann am Schlagzeug (mancher kennt ihn noch als „Total normal“ Klavierpartner von Hape Kerkeling) veranstalten die Popolskis eine herrlich schräge Polonaise durch die aktuelle Popmusik. Grammatikalische Feinheiten des Deutschen werden zugunsten des Einheits-Artikels „der“ kurzerhnd über Bord geworfen, ebenso wenig hält man sich mit so Kleinigkeiten wie Umlauten auf („Unser Janusz ist der trubste Tasse in der ganze Familie“). Die Klischee-Parade lässt natürlich auch hässliche karierte Hemden mit Pullunder, fiese Pomadenfrisuren, einen mächtigen polnischen Akzent und Hochprozentiges nicht aus. Zu Beginn werden erst einmal mehrere Tabletts „Vudka“ ins Publikum gereicht, die unter Anleitung zu „kippen“ sind. Und bei einem Konzert, bei dem nach zehn Minuten bereits rund 50 Schnapsbecher gleichzeitig geleert werden und schwungvoll über die Schulter fliegen, kann eigentlich nichts mehr schief gehen. Zwischen den Liedern wie „Dance With Somebody“ von Mando Diao, Anastacias „I‘m Outta Love“, „Ein Stern der Deinen Namen trägt“ von DJ Ötzi, „Junge“ von den Ärzten oder auch Richard Claydermans „Ballade pour Adeline“, erzählt Pavel Popolski lakonisch seine bizarren Moderationen, haarsträubend ulkige Geschichten aus dem Familienalbum, die die angebliche Entstehung der Songs erklären. Wiedererkennen kann man die folgenden Humpa-Humpa-Gewitter mitunter erst am Refrain, derart verfremdet klingen die „Originale“ unter den Händen dieser musikalischen Polonialmacht. Eine so gekonnte musikalische Clownerie kommt natürlich nicht von ungefähr. Hinter der albernen Maskerade verbergen sich ausgezeichnete Musiker, selbst „der trube Tasse“ Janusz Popolski ist eine Wucht am Bass, ebenso seine „Brüder“ Henjek und Stenjek an Trompete und Posaune, Mirek an der Gitarre, Marek und Danusz am Keyboard und Tomek am Gesang, ganz zu schweigen von der „Lady of Polka“, Sängerin Dorota in lasziver roter Robe. Opa Popolski wäre sicher stolz, hätte er noch erleben dürfen, wie sein Enkel Tomek im hellblauen, straßbesetzten Elvis-Strampler zu einer Polka-Version von „Eye of the Tiger“ wie die Soul-Legende James Brown singt. – erschienen im März 2010 in der Westdeutschen Zeitung Düsseldorf
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Wie lang ist eigentlich die Halbwertszeit von Teenie-Geschrei? Unter normalen Take-That-Umständen würde man vielleicht von Wochen oder Monaten reden. Eine neue Kategorie eröffnen die fünf Herren von Spandau Ballet bei ihrem Auftritt in der Philipshalle. Den vollständig angetretenen Originalmitgliedern John Keeble (Schlagzeug), Tony Hadley (Gesang), Gary Kemp (Gitarre), Martin Kemp (Bass) und Steve Norman (Saxophon, Gitarre, Percussion) schlägt von den Fans eine Freude über das Wiedersehen nach 20 Jahren entgegen, dass man den Begriff der Fantreue hier getrost einer Neubewertung unterziehen darf. Von offizieller Seite mit 3000 beziffert, in der halb abgehängten Philipshalle aber locker gestellt, sind es vermutlich deutlich weniger Fans, die den Weg nach Düsseldorf gefunden haben. Aber der Lautstärkepegel des Jubels macht das wett. Zu Beginn wird auf einen halbtransparenten Vorhang ein visueller Zusammenschnitt der Bandvergangenheit projiziert. Dahinter nimmt die Band Aufstellung. Die Stimmung pendelt sich schnell irgendwo zwischen Klassentreffen und einem melancholischen "Junge, wir werden auch nicht jünger" ein, untermalt von dem unermüdlich ausgesprochenen Dank "Thanks for waiting". Hier stehen fünf ehemalige Teenie-Träume als in Ehren gealterte Sehenswürdigkeit auf der Bühne, sozusagen ein britisches Neuschwarmstein. Im Gepäck haben sie ein 2009 veröffentlichtes Album, das neben zwei neuen Liedern einen Querschnitt des früheren Schaffens als aufpoliertes Altgold bietet. 2010 präsentieren sich Spandau Ballet als Band, die die Synthie-Opulenz ihrer Zeit zwischen 1980 und 1990 an die Disco-Kugel gehängt hat. Schlagzeuger John Keeble etwa hat seine fiesen elektrischen Drumpads von einst gegen ein Riesen-Drumset eingetauscht, das jedem Hardrocker zu Ehre gereichen würde. Die Brüder Kemp führen stolz lächelnd ihr großes Arsenal an Gitarren und Bässen vor, während Steve Norman als leichtfüßiger Multiinstrumentalist quer über die Bühne flitzt. Die fünf Briten zeigen sich in sehr viel besserer Form als so manche ihrer Zeitgenossen, die die Zeit für ein Comeback für gekommen halten. Und selbst wenn der Anzug von Sänger Tony Hadley heute etwas unter den Schultern spannt, seiner Sangeskraft haben die Jahre nicht viel anhaben können. Songs wie "She loved like diamond", "Round and round", "Fight for ourselves", die neue Single "Once more" sowie die ganz großen Kracher "Through the barricades", "True" und das als letzte Zugabe aufgesparte "Gold" ergeben ein vollständiges Fan-Präsentpaket, gekrönt von einer akustischen Version von "With the pride". – erschienen im März 2010 in der Westdeutschen Zeitung Düsseldorf Wer sich an monumentale Musik wie die von Pink Floyd herantraut, muss sie entweder aus dem Effeff beherrschen oder dazu etwas Eigenes, zumindest aber Neues beizutragen haben. Für das Fabulous Rock Philharmonic Orchestra, das in der Tonhalle vor 600 Besuchern eine Auswahl von Pink Floyd Songs in Arrangements für Orchester spielt, trifft aber weder das eine noch das andere zu. Die Idee, eine zu ihrer Zeit als Symphonic Rock bezeichnete Musik heute tatsächlich symphonisch aufzuführen, ist naheliegend. Aber was die Rockbands damals als Provokation intendierten und was das Establishment erfolgreich Sturm laufen ließ, klingt in den Händen des Orchesters altbacken, meistens fad und manchmal sogar albern. Wer die Lieder von Pink Floyd im Ohr hat, erkennt an diesem Abend zwar die Melodien, vermisst aber schmerzlich die Subtilität, die Eleganz und die Größe des Originals, die hier unter einem Klangbrei begraben werden. Schon das zu Beginn gespielte „Sorrow“ ist erschreckend flach und ohne jede rhythmische Finesse, obwohl hier in etwa das Zehnfache an musikalischer Arbeitskraft verfügbar ist. Dirigent und musikalischer Leiter Michel Machee drängt seinen Musikern zudem noch viel zu schnelle Tempi auf, die solchen Songs wie „Wish You Were Here“, „Anot- her Brick In The Wall“ und vor allem dem wunderbaren „Shine On You Crazy Diamond“ jede Magie nehmen. Statt das schwebende g-moll zu Beginn auszukosten, hetzt man weiter in den allseits bekannten Refrain. Im Rang ist dabei von Streichern und den Stimmen des Vokalisten-Quartetts „Q Vox“ kaum etwas zu verstehen. Derart leb- und lieblos heruntergenudelt zu werden, hat kein Lied der Welt verdient. Im Zentrum des Orchesters steht eine elektrische Gitarre, unterstützt von E-Bass und Schlagzeug. Typische Vertreter der Rockmusik also, den Transfer in die Welt des klassischen Orchesters hat man dennoch nur halb geschafft. Zwar vermag Gitarrist Jerry Sova die Soli und den Sound von David Gilmour gut zu imitieren, andererseits ist die Tonhalle für eine E-Gitarre nicht gemacht. Anzuerkennen ist, dass man sich mit „See Emily Play“ und „The Gnome“ auch zwei Songs des genialen Bandgründers Syd Barrett angenommen hat. Weiter punkten kann das Orchester, wenn es nah am Original bleibt, so bei „When The Tigers Broke Free“, das schon bei Pink Floyd mit Orchester gespielt wurde. Hier wird für einen Moment Gänsehaut erzeugt. Das reicht dem Großteil des Publikums anscheinend, um das Orchester trotz allem mit großem Jubel zu verabschieden. – erschienen im Februar 2010 in der Westdeutschen Zeitung Düsseldorf Die Rahmenbedingungen könnten kaum passender sein. Leicht verschneit und bei eisigen Temperaturen stehen die Fans der Arctic Monkeys bibbernd und mit roten Nasen vor der Philipshalle, um endlich Einlass zu erhalten und sich ihre vier britischen Lieblinge aus der Nähe anzusehen. Rund 3000 mögen es anm Mittwochabend sein, die später zu Songs wie „My Propeller“ oder „Secret Door“ ihre Hingabe an die Musik zelebrieren. Aber erst nach einem eher schleppenden Auftakt mit „Dance Little Liar“ legen die vier Jungs aus Sheffield nach, um sich in den von ihren Fans so geliebten Rumpel-Sound einzufinden. Sänger und Gitarrist Alex Turner, Schlagzeuger Matt Helders, Bassist Nick O‘Malley, Gitarrist Jamie Cook sowie John Ashton als Unterstützung an Keyboards und Gitarre haben sich in den sechs Jahren seit ihrem CD-Erstling von der kleinen Internet-Band, die geschickt die Werkzeuge des digitalen Zeitalters zu nutzen wusste, zu richtigen Rockstars gemausert. Heute klingt ihr britpoppiger Post-Indie-Rock vielleicht nicht mehr ganz so unbeschwert wie noch auf der CD „Whatever People Say I Am, That’s What I’m Not “ aus dem Jahr 2006, aber dafür demonstrieren sie auf dem aktuellen Album „Humbug“ einen erfreulichen Einkaufsbummel durch die Errungenschaften der Popmusik, insbesondere jener der 1960er Jahre. Psychedelisch geschwängertes Gitarrenzirpen der Electric Prunes, der stilisiert dilettantische Twang-Sound eines Syd Barrett, alles untermalt von herrlich verschrammelten Gitarrenriffs, dazu Turners irgendwo zwischen Jim “The Doors“ Morrison und Liam „Oasis“ Gallagher pendelnder Nöl-Stimme mit Yorkshire-Akzent. Die Arctic Monkeys verstehen es dabei erstklassig, diese Ingredienzien in verschroben konstruierte Songs mit langen Texten gießen zu können. Die Musiker sind ohne Zweifel eines der schöneren Beispiele für eine Band, die Versatzstücke früherer Stile wohlfeil ausspielt. Im Saal feiern die Fans beinahe jeden der gespielten Songs als Lieblingslied. Eingerahmt wird die Band von zwei Video- wänden, die in bester Super-8-Qualität Naheindrücke der fünf Musiker vermitteln. Aber auch die Kameras fangen von Alex Turner nicht viel mehr ein als sein Kinn, dass unter dem langen Wuschelkopf herausragt und die vielen Gitarren, die er sich im regelmäßigen Turnus umhängt. Mit einen deftigen Konfetti-Kanonenschlag ist nach 75 Minuten erstmal Schluss, bevor 15 Minuten Zugaben den Deckel endgültig zumachen. – erschienen im Februar 2010 in der Westdeutschen Zeitung Düsseldorf Normalerweise ist es ja Helge Schneider, der allen Leuten in seiner Gegenwart die Schau stiehlt. Schneiders Präsenz und seine unnachahmliche Art der „Gesprächsführung“ stellen auch erfahrene Bühnenkollegen üblicherweise binnen Minuten ins Abseits. Doch bei seinem Auftritt in der ausverkauften Tonhalle am Sonntagabend, diesmal unter dem Motto „Komm, hier haste ‘ne Mark“, gibt es tatsächlich jemanden, der den fast 55-Jährigen Helge Schneider in den Hintergrund treten lässt. Nur mit einem kleinen Plastikstuhl bewehrt, macht sich diese Person auf der Bühne zu schaffen und zieht binnen Sekunden sämtliche Augen auf sich. Doch richtig böse sein kann Helge seiner Konkurrenz sicher nicht - schließlich handelt es sich um seine kleine Tochter Frieda, die da mit ihren zweieinhalb Jahren hinter dem Papa herumturnt. Helge Schneider ist selbst immer noch ein herrlicher Kindskopf, er kaspert in seinem blauen Anzug und den im Seitenscheitel angeklatschten langen Haaren herum wie ein Clown, der im Kindergarten zu Besuch ist. Neben Vater und Tochter bevölkern die Bühne noch weitere ulkige Gestalten, von dem noch einigermaßen normal wirkenden Pete York am Schlagzeug, den schon etwas kauzigeren Rudi Olbrich am Bass und Jochen Bosak am Klavier über Gitarrist Sandro Giampetro in rot glänzendem Samtanzug und Zylinder („Er macht nebenher eine Ausbildung zum Totengräber“) bis zu Teekoch Bodo in Livree und Perücke („Könnte auch Haydn sein“). Vervollständigt wird das Panoptikum der schrägen Vögel wieder von dem irrwitzigsten Menschen, den Schneider je ausgegraben hat, Sergej Gleithmann. Ihn und seine Performance angemessen zu beschreiben, ist schier unmöglich. Zu berichten, wie er mit seinem ZZ Top-Bart, Halbglatze und dem schulterlangem Resthaar in viel zu kleinen Nicki-Overalls oder Gymnastikanzügen tanzt, über die Bühne zappelt oder auch menschliche Kanonenkugel spielt, kann das Erlebte nicht angemessen einfangen. Kopfschüttelnd und atemlos vor Lachen ist der Saal damit beschäftigt zu verstehen, wessen man da gerade ansichtig wurde. In den fast zweieinhalb Stunden zeigt Helge Kostproben von allem, was ihn in den vergangenen fast 20 Jahren berühmt gemacht hat: Sich selbst widersprechende Sätze, versägte Pointen, das Spielen des talentlosen Tänzers, Sängers und Anglisten („My english is good. Enough. For me“). Nur wenn‘s um Musik geht, macht Schneider Ernst, seine Mitmusiker müssen bei Liedern wie „Fitze Fatze“, „Es hat gefunkt bei mir“ oder „Mood Indigo“ in Super-Zeitlupe stets auf der Hut sein, um dem Chef folgen zu können. Auch die mit Affen-Handpuppe gespielte Trompete oder seine Udo Lindenberg-Parodie holt Helge hervor, erzählt von einer Polarexpedition, die er 6,3 Zentimeter vor dem Ziel abbrechen musste, oder schildert Szenen einer Ehe in Berlin, „wo Frau Merkel ruft: Hol mir mal den Hornhauthobel“. Kaum zu glauben, dass Frieda so etwas jeden Tag erlebt. – erschienen im Februar 2010 in der Westdeutschen Zeitung Düsseldorf
Schon während die vielen fleißigen Bühnenhelfer noch damit beschäftigt sind, jede Violine und jedes Cello des Johann Strauss Orchesters einzeln behutsam auf die Bühne zu tragen und der Blick über die ganze Szenerie streift, fällt es zum ersten Mal auf. Objektiv betrachtet, ähnelt ein Konzert von Stargeiger André Rieu und seinem Orchester einem Besuch im Zirkus. Der Einmarsch der Gladiatoren durch die Stuhlreihen des ISS Dome, bei denen die rund 50 Artisten in Frack und schillernden Roben ihrem stolz dreinblickenden Herrn Direktor zur Bühne folgen, könnte genauso in einer Manege stattfinden. Die Illusion ist perfekt, als Direktor Rieu dann „herrliche Melodien, fantastische Solisten und viel Musik“ ankündigt. Fehlt nur noch das vorangestellte „Hereinspaziert, hereinspaziert“. Zählbar hereinspaziert sind an diesem Abend rund 4000 Menschen, die sich den mittlerweile dreifachen Großvater Rieu und seine mitgebrachten musikalischen Attraktionen anschauen möchten. Zwei große Videoleinwände, fünf Kameras und ein Mischpult vom Kaliber Wohnküche helfen beim verlustfreien Transfer von Bühne zu Augen und Ohren. Der Devotionalienstand hält im Foyer derweil reichlich Erinnerungsstücke bereit. Neben den üblichen CDs und Schals lässt sich hier für zünftige 20 Euro sogar der Tour-Bus en miniature erstehen. Die Frage nach den Stückzahlen, die man denn so an einem Abend an den interessierten Fan absetze, wird freundlich lächelnd mit einem „Genug“ beschieden. Es scheint sich also zu lohnen. Im Saal greift der Niederländer wie üblich tief in die Kostüm- und Requisitenkiste der Wiener-Walzer-Ära. Seine Manege ist ein blumenumrankter Gartenpavillon, inklusive schmiedeeisernem Gewerk an den Notenständern, wenn auch nicht ganz so spektakulär wie die Nachbildung Schloß Schönbrunns, mit der Rieu jüngst durch die Lande zog. Und so entflicht sich in guten zwei Stunden ein Reigen Sissi-seliger Walzerschäume. Evergreens wie Johann Strauss‘ „Rosen aus dem Süden“, Emmerich Kalmans „Csárdásfürstin“ oder Franz Lé- hars „Gold & Silber“ werden von den bestens unterhaltenen Zuschauern mit zustimmendem Raunen quittiert. In diesen Rahmen finden sogar so völlig genreferne Elemente wie Michael Jacksons „Earth Song“ ihren Platz. Als Tribut an den Verstorbenen wird es von Carmen Monarcha und einem 35-köpfigen Kinderchor gesungen und stellt in dem ansonsten von Schlagobers und Sahnesteif geprägten Programm einen skurrilen Kontrapunkt dar. – erschienen im Februar 2010 in der Westdeutschen Zeitung Düsseldorf Roger Cicero ist charmant, er benutzt keine schlimmen Worte, kleidet sich stilsicher und seriös, ist leidlich verbindlich, manchmal sogar witzig und er kann sehr gut singen. Kaum zu glauben, dass sich manche über den fast 40-Jährigen Wahl-Hamburger Sänger aufregen, ja sogar richtig ärgern können. Gut, textlich liegt er oft an der Grenze zum Fremdschämen, aber an der Musik, mit der Cicero die Füße der rund 2500 Besucher in der Philipshalle zum Wippen bringt, gibt es nichts zu mäkeln. Er und die Mitglieder seiner Big Band versehen ihre musikalischen Gewerke blitzsauber und picobello. Den früher deutlich im Vordergrund stehenden Swing ersetzt Roger Cicero heute bei Liedern wie „Nicht artgerecht“, „Zieh die Schuhe aus“, „Tabu“, „Seine Ruhe“ (zusammen mit einer gecasteten Duett-Partnerin), „Spontis zeugen Banker“, „Boutique“ oder auch „Internet Single Börse“ weitgehend durch die funkige Soulmusik der späten 1960er Jahre. Im schwarzen Anzug, rotem Hemd und kariertem Schlips, dazu der Hut als Markenzeichen, den auch im Saal viele Fans tragen, singt sich Cicero gute zwei Stunden durch sein Repertoire an schmusigem Konsens-Soul. In Summe harmlos, aber gefällig und mit reichem Applaus bedacht. – erschienen im Januar 2010 in der Westdeutschen Zeitung Düsseldorf Ben Beckers Stimme ist ein Monument. Die Art, in der er Worte formt, Sätze auskostet und mit seinem rauen, dunklen und wuchtigen Timbre veredelt, kann einem jede Menge Schauer über den Rücken jagen. Wenn er sich dann auch noch das Buch der Bücher auf sein Pult legt und mit den langsam deklamierten Worten „Am Anfang schuf Gott den Himmel und die Erde“ den aufgeladenen Text der Genesis zelebriert, dann erzeugt dies einen schon beinahe schauerlichen Gänsehaut-Moment. Seine Stimme rollt wie bedrohliches Donnergrollen über die Köpfe der rund 1100 Besucher in der Philipshalle hinweg, getragen von einer Welle unheilschwangerer Musik, gespielt vom Deutschen Filmorchester Babelsberg. Es ist gefällig-beiläufige Filmmusik, mal lodernd und tosend, dann wieder sphärisch vor sich hin plätschernd. Ganz so, wie etwa in Katastrophenfilmen von Roland Emmerich. Untermalt wird dies auch noch durch düstere Projektionen auf einen stilisierten Altar-Triptychon hinter dem Orchester. Man wähnt sich in diesen ersten Minuten eher in den Kinosesseln eines beliebigen Multiplexes, statt bei einer inszenierten Lesung der Bibel. Und diesen Zustand soll man offenbar nach dem Willen der Ausübenden auch in den folgenden zweieinhalb Stunden nicht mehr verlassen. Unzählbar viele haben sich schon vor Ben Becker an der Bibel versucht. Spontan fällt uns Haydns Oratorium „Die Schöp- fung“ ein, Michelangelos Fresken in der Sixtinischen Kapelle oder die Sandalen-Klassiker der 1950er Jahre, mit denen Charlton Heston und Miklos Rosza unsere cineastische Vorstellung von göttlicher Musik und dem Breitwandabbild Gottes prägten. Ebenso viele haben sich an der Mammutaufgabe, dieses Buch in Kunst zu übersetzen, verhoben. Insbesondere, wenn einem Übermaß an Emphase kein echtes Gegengewicht gegeben wird. Gefangen im Cinemascope-Pathos, bleibt auch Ben Becker seinem anfangs gefundenen Duktus treu. Doch wenn man von Adam und Eva, Kain und Abel, Noah und der Arche, dem Turmbau zu Babel sowie der Passion Christi im ewig gleichen Tonfall der, so scheint’s, kurz bevorstehenden Apokalypse spricht, stellt sich früher oder später pompöse Langeweile ein. Dem Übermaß an dick aufgetragenem Prediger-Pathos setzt Becker nur an wenigen Stellen etwas gegenüber. Etwa wenn er Simon & Garfunkels „Bridge Over Troubled Water“ oder Elvis Presleys „In the Ghetto“ singt, unterstützt von der Zero Tolerance Band (in albernen Priestergewändern) und einem Gospel-Quartett. Diese augenfällig missglückte Auswahl sorgt dann aber mehr für unfreiwillige Komik als für religiöse Ergriffenheit. Zumal Ben Becker vielleicht im Ansatz über den Bauch des späten Elvis verfügt, nicht aber das Sangestalent des Kings teilt. Aus der Keimzelle der christlichen Kultur basteln Ben Becker und seine Mitstreiter mit ihrer Version der Bibel ein belangloses Musical, ein Hörbuch, dessen Tiefe und Bedeutung auf ein Pop-corn-Abendmahl reduziert wird. – erschienen im Januar 2010 in der Westdeutschen Zeitung Düsseldorf
Als der Bassist John Paul Jones 1969 sein erstes Album mit Led Zeppelin veröffentlichte und damit ein ganzes Musik-Genre sowie mehrere Musiker-Generationen prägen sollte, freuten sich die Eltern von Dave Grohl gerade über die Geburt ihres Sohnes, während Josh Homme noch nicht einmal auf der Welt war. Gute zwanzig Jahre später, Jones ist von der Bildfläche verschwunden und nur noch eine Erinnerung an die gute alte Zeit des Rock‘n‘Roll, findet sich Dave Grohl mit Kurt Cobain zusammen, um als Nirvana den Grunge zu erfinden und die 1990er Jahre musikalisch umzupflügen. Josh Homme tüftelt derweil in der Mojave-Wüste mit seiner Band Kyuss an etwas, was man später Stoner Rock nennen wird. Wiederum zwanzig Jahre später, Grohl hat mit seinen Foo Fighters und Homme mit den Queens of the Stone Age weitere Erfolge feiern dürfen, stehen die drei Protagonisten schließlich als neue hochgejubelte Hardrock-Supergroup Them Crooked Vultures gemeinsam auf der Bühne des Kölner Palladiums. Der durch eine sehr clevere Marketing-Strategie entstandene Rummel um die Band hat rund 4000 Zuschauer in die Halle strömen lassen, die mit eigenen Ohren erleben wollen, wie der 63-Jährige John Paul Jones am Bass und seine musikalischen Söhne im Geiste Dave Grohl am Schlagzeug und Josh Homme an Gitarre und Gesang ihr erstes Album live präsentieren. Unterstützt von Alain Johannes an Gitarre und Bass wuchten die Musiker als ersten Song das mächtige „No One Loves You & Neither Do I“ in den Saal. Gefolgt von „Dead End Friends“ und dem „Scumbag Blues“ singen die diebischen Geier in „Elephants“, „Reptiles“ und „New Fang“ von Großwild unterschiedlicher Couleur. Stilistisch ist bei den Crooked Vultures viel Platz für Alternative Rock mit barock anmutenden Reminiszenzen an die 60er Jahre, geraden harten Rock, breitbeinigen Boogie, trickreich kombinierte Rhythmen und sogar surreale Zwischenspiele wie die „Interlude with Ludes“. Allen gemein ist Josh Hommes verschrobene Kunst, Songs aus Gitarrenriffs zu bauen, die eigentlich gar keine Riffs sind. Seine Mitstreiter sind gelassen genug, um sich solcher Experimente offensichtlich genussvoll hinzugeben. In den 100 Minuten des Konzerts spielen die Vultures ihr komplettes Album, bevor sie nach einem etwas lärmigen Finale und ohne Zugabe die Bühne verlassen. Die begeisterten Fans spenden dennoch bereitwillig Applaus, beehren den sanft lächelnden Elder Rocks-Man John Paul Jones mit Sonderjubel, und lassen sich nicht einmal von dem sehr schlechten Sound in der Halle die gute Laue verderben. Zu groß ist die Freude über diese Band, der man im Moment als einziger die Rettung der Rockmusik zutraut. Hoffen wir nur, dass sich dies weder Hype noch einmaliges Projekt herausstellt und wir auf einer Nachfolge-CD hören können, wozu diese drei noch in der Lage sind. – erschienen im Dezember 2009 in der Westdeutschen Zeitung Düsseldorf „Ich freue mich sehr über Ihr Interesse, einen älteren Herrn einmal aus der Nähe sehen zu wollen.“ Eine durchaus angemessene Freude ist es, die Udo Jürgens bei seinem Auftritt in der Philipshalle da äußert. Und ganz unschuldig ist er nicht daran. Vor ausverkauftem Haus steht er im schicken schwarzen Anzug mit rotem Einstecktuch und beweist, dass er auch mit 75 Jahren noch viel zu bieten hat. Nach einer ouvertürenartigen Eröffnung sitzt der erfahrene Chansonnier, plötzlich wie aus dem durch grelle Scheinwerfer und Nebel inszenierten Nichts erschienen, an seinem Flügel und eröffnet den Abend mit dem Titelsong seiner aktuellen CD „Einfach ich!“. Deren Lieder bilden den Kern der ersten Konzerthälfte, die er mit dem ihm seit langen Jahren assistierenden Hochkarat-Orchester Pepe Lienhard präsentiert. Es sind überwiegend wieder großformatige Chansons, die Udo Jürgens geschrieben hat, gewürzt mit melodramatischem Bläsersatz und Texten, die sehr auf poetische Bilder im 16:9-Format setzen. Da hagelt es Wahrheiten, die eine beinahe magische Nähe zur Binse aufweisen. Die klimatischen Entwicklungen etwa subsumiert er mit dem Songtitel „Tanz auf dem Vulkan“, die Wirtschaftskrise bringt er auf die Formel „Gier nach zu vielen Dingen, die wir nicht brauchen“. „Liebe ist stärker als wir“ oder „Letzte Ausfahrt Richtung Liebe“ sind weitere Beispiele für diese neuere Jürgens‘sche Poesie. In seinen sonst angenehm kultivierten Moderationen grantelt er ab und zu ein wenig engstirnig vor sich hin, fühlt sich offenbar gestört, wenn einmal ein zustimmender Pfiff ertönt oder die Düsseldorfer im Saal bei der Erwähnung des Lieblingsfeindbildes Köln vernehmlich stöhnen. Auch als die Menschen nach der Pause rasch an den Bühnenrand gelaufen kommen, ist im Gesicht des Herrn Jürgens gequälte Unbequemlichkeit zu lesen. „Das ist zu früh. So wird das Singen der ruhigen Lieder für uns jetzt zu einer fast unlösbaren Aufgabe.“ Tja, andere Bühnenarbeiter gäben ihren rechten Arm, dürften sie nach gut 50 Jahren im Showgeschäft immer noch solche Begeisterung für sich verbuchen. Aber sei‘s drum, gerne sehen wir ihm das alles nach, der Mann ist durch sein Lebenswerk bereits über jeden Zweifel erhaben. Zu gut in Form ist er außerdem an diesem Abend, liefert seinen Fans ein hervorragendes Konzert, eindrucksvolle Video-Projektionen inklusive. Und natürlich singt er die Songs aus früheren Tagen, nach denen die Zuschauer dürsten. Für „Ein ehrenwertes Haus“ entledigt er sich kurzerhand seiner Schuhe, „Ich war noch niemals in New York“ bekommt ein umfängliches Medley aus New Yorker Swing-Melodien. Den Schlußpunkt vor den Zugaben, ein Potpourri der Klassiker „Mit 66 Jahren“, „Aber bitte mit Sahne“ und „Griechischer Wein“, feiert beinahe der gesamte Saal stehend. – erschienen im November 2009 in der Westdeutschen Zeitung Düsseldorf |
Der Popwart
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