„Vielen Dank, das war Unheilig“ Nach guten 90 Minuten ruft dies der Graf in die bis unters Dach gefüllte, verschwitzte und heiser gejubelte Philipshalle, bevor er selbst im schweißtriefenden Hemd und mit Krawatte von der Bühne rennt. Unnötig zu erwähnen, dass dies natürlich noch nicht das Ende des Konzerts bedeutet. Nach wenigen Zugabe-Rufen kommen seine Unheiligkeit und die drei Gastmusiker zurück und verlängern ein erinnerungswürdiges Konzert um weitere 30 Minuten. Erinnerungswürdig, da der Graf seinen Fans eigentlich nicht viel mehr bietet als eine ganz große Projektionsfläche. Er, dessen unbekannter bürgerlicher Name heiß diskutiertes Fan-Thema ist, singt mit begrenzter Stimme über emotional beliebig aufladbare Themen wie Tod, Mutter, Liebe, Schmerz. Sogar für Seemanns- Romantik ist Platz. Die Bühne ziert ein stilisierter Schiffsbug, in Anlehnung an das Cover der aktuellen CD „Große Freiheit“. Wie ein Prediger von seiner Kanzel betritt er die Requisite beim Lied „Halt mich“, was die Älteren im Saal wonnevoll an Orson Welles’ Auftritt in John Hustons „Moby Dick“-Verfilmung denken lässt. Auch musikalisch legt sich Unheilig wenig fest. Rockiges steht neben Balladeskem, Hymnisches neben Schmuse-Sound. Meist klingt es mit heftig verzerrten Gitarren, breiten Keyboard-Wänden und bretthartem Schlagzeug mächtig nach Rammstein, dann nach In Extremo, schließlich nach Nena. Lieder wie „An Deiner Seite“, „Große Freiheit“, „Abwärts“, „Unter Deiner Flagge“ oder „Geboren um zu leben“ zielen mit schlichter Lyrik direkt aufs Gemüt und bieten genügend ideelle Hohlräume, die ein jeder im Saal nach Belieben füllen kann. In diesem weitläufigen Areal der Gefühlsduselei ist für viele Platz. Rund 8000 sind es allein an diesem Abend. Dazwischen tanzt der Graf wie der vom Lichtstrahl getroffene Nosferatu. So entsteht unterhaltsamer, makellos umgesetzter musikalischer Breitensport, perfekt inszeniert mit Nebel, Kerzen und weiterem requisitischem Brimborium. Hoch erfreulich gerät im Zugabenteil der Ausflug des Grafen in den Backstage-Bereich der Philipshalle, wo er in Begleitung eines Kameramanns seine Band zurück auf die Bühne holt, alles auf den großen Leinwänden live mit zu verfolgen. Und während Mami drinnen dem Ende entgegen rockt, werden die Kinder draußen im Foyer von tätowiertem Fachpersonal im „Unheili- gen Kinder Rock Land“ betreut. Auch das ist einer der besonderen Momente dieses Abends. – erschienen im Januar 2011 in der Westdeutschen Zeitung Düsseldorf
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Wie kann ein Mensch nur so viel reden? Wie kann ein Mensch nur derart viele Worte in einer so rasanten Geschwindigkeit hervorbringen wie Mathias Richling bei seinem Auftritt in der Düsseldorfer Tonhalle? Dessen aktuelles Programm „Der Richling-Code“ ist ein turbulenter Redeschwall, in dem der 57-Jährige im besten Wortsinne ohne Pause (das Programm läuft seine soliden zwei Stunden am Stück) über die politische Landschaft in Deutschland schwadroniert. Dazu hat er Bühne und den knapp zu drei Vierteln gefüllten Saal in eine stilisierte Bundestagssitzung verwandelt. Hinter dem breiten Sitzungstisch in schwarz-rot-gold thront eine allgegenwärtige rote Merkel-Jacke, um die Richling später Da Vincis berühmtes Abendmahl errichtet, so dass sie den ehemals anderweitig vergebenen mittleren Platz einnehmen wird. Die Namensschilder der Redner wendet Richling erst im Laufe des Abends um, insgesamt sind es fast 20 Charaktere, die er hinreissend parodiert. Natürlich lässt auch er die aktuellen Ereignisse um Wikileaks („Erstaunlich, dass die unsere Polit-Gurken noch dermaßen positiv bewerten“) und Stuttgart 21 („Nicht der Bahnhof, sondern Stuttgart gehört unter die Erde“) nicht unerwähnt. In seinem jungenhaftem Tippelschritt flitzt Richling dabei umher und präsentiert seine Riege der „Polit-Darsteller“. Wolfgang Bosbach, eine „Enzyklopädie der Meinungen“, die in jeder Talkshow zu Gast sei, gibt den Auftakt. Ähnlich schlecht kommt Ronald Pofalla weg, den Richling als farb- und „kräftig konturlos“ brandmarkt. Dabei legt er ihn stimmlich nah an Theo Lingen und lässt ihn mehrfach wie ein Schoßhündchen in Richtung Kanzlerinnen-Jackett hecheln. Der Effekt funktioniert prächtig, die Zuschauer amüsieren sich hervorragend. Die Regierungschefin selbst kommt natürlich auch des Öfteren zu ihrem Recht auf Spott: „Ich habe die Krise sicher durch das Land geführt“. Richlings sagenhafte Einzelspieler-Analyse verteilt herrlich bissige Nackenschläge im vollendet dargebotenem Zungenschlag. Fliegenfänger Karl Lauterbach, Frank-Walter Steinmeier, der herrlich zeternde Gregor Gysi, Renate Künast, Wolfgang Schäuble, Ursula von der Leyen, Annette Schavan, Gerhard Schröder, Helmut Kohl, Günter Öttinger, Karl-Theodor zu Guttenberg und Rainer Brüderle, sie alle werden von Mathias Richling beeindruckend pointiert und treffend skizziert. Im Falle von Guido Westerwelle, vor allem aber Altkanzler Helmut Schmidt gerät dies fast schon gespenstisch real, wenn er dem Original in Gestus und Duktus auch ohne Schminke und Kostüm erschreckend ähnlich wird. Selbst ein kleiner schwäbelnder Saaldiener und der so eigentümlich sprechende Wissenschaft-Showmaster Joachim Bublath finden hier noch Platz. Rainer Brüderle sei übrigens im Nebenberuf noch Pfälzische Weinkönigin, bemerkt Richling in der Zugabe, bevor er den begeistert aufgenommenen Abend mit einem wunderbar skurrilen Interview zwischen dem ahnungslosen, am Wein nippenden Brüderle und einem unverständlich grotesk krähenden Chinesen schließt. – erschienen im Dezember 2010 in der Westdeutschen Zeitung Düsseldorf Dass Dieter Nuhr nicht den ehedem angestrebten Beruf des Lehrers ergriff, hat einen schlichten Grund. „Immer nur vor 30 Leuten auftreten? Nee...“ In der Düsseldorfer Tonhalle ist diese Sorge um mangelndes Publikum indes unnötig, der Saal ist längst ausverkauft. Den gespannten Zuschauern tritt Dieter Nuhr wie immer lässig in Jeans und T-Shirt entgegen, auf der Bühne steht sonst nur noch ein hüfthohes Pult mit einem kleinen Stoß Papier. Das reicht dem 50-Jährigen, um einen humorreichen und sehr vergnüglichen Abend zu gestalten. Dieser beginnt mit ein paar aktuell aufgegriffenen Themen wie dem „perforierten Düsseldorf“, in Anspielung auf das Loch unter dem Tausendfüssler. Man müsse sich seiner Ansicht nach aber auch nicht in allen baulichen Dingen an den Kölnern orientieren. Nicht unerwähnt lässt er auch die publik gewordenen Geheimdokumente des WikiLeaks, deren Brisanz er aber mit einigen bösen Anekdoten in Frage stellt. Jörg Kachelmann stünde gerade vor Gericht, hätte er von dort erfahren, Jopi Heesters sei mit 107 nun endlich Nichtraucher geworden und Guido Westerwelle würde sogar in Wohngebieten hupen. Damit ist Nuhr bereits inmitten seines eigentlichen Themas angekommen, seiner Essenz des gut zweistündigen Programms „Nuhr die Ruhe“. Es ist ihm offensichtlich ein Anliegen, den Menschen mehr Besonnenheit und Abstand zu den angeblichen Problemen unserer Zeit zu vermitteln. Er wolle den immer schneller und lauter werdenden Nachrichten um Terrorangst, Stuttgarter Bahnhofsvisionen und Klimakatastrophe einmal zwei Stunden entspannter Ruhe entgegensetzen. Zumal das ganze mediale Bohei ohnehin nur Anzeichen überspannter Panikmache sei. Er selbst könne gar keine Panik mehr aufbringen, dafür habe er bereits zu viele Weltuntergänge überlebt. In seiner Jugend war es das Waldsterben, gefolgt vom Ozonloch, später kamen Gentechnik, Rinderwahnsinn, der Klimawechsel und natürlich die Schweinegrippe hinzu. Mit einem spitzbübischen Lächeln winkt Nuhr ab und fragt in den Saal, was denn eigentlich aus der Schweinegrippe geworden sei. Ob man sich etwa Sorgen um die arme Grippe machen müsse? Jenseits der Schreckenshetze in den Zeitungen macht sich Nuhr in seinem Programm zur tiefenentspannten Stimme der Vernunft, mahnt bei Themen wie Untergangsangst und überbesorgter Kindererziehung heitere Ruhe und buddhistischer Gelassenheit an. „Machse Dich nich verrückt, Schätzelein“ ist die treffende, wenn auch nur halb so eloquente Paraphrase des Kollegen Kerkeling/Schlämmer. Gern bringt Nuhr seine Pointen gar nicht selbst zu Ende, gibt stattdessen nur ein paar Bruchstücke seiner Gedanken preis, die sich dann in den Köpfen zusammenfügen. Wenn sich seine Ausführungen dabei zum Beispiel um die Parallelen zwischen Wladimir Putin und Angela Merkel drehen und er über die Vorliebe für die Zurschaustellung des eigenen nackten Oberkörpers sinniert, bricht Nuhr mit angewidertem Gesicht ab und der Saal in schallendes Gelächter aus. In diese süffisante Stimmungslage passen noch weitere Geschichten, in denen auch mal der Papst mit Benzinkanister über die Autobahn zur Tankstelle spazieren muss, weil Beten allein nicht den Tank füllt. Ein abschließendes Krönchen setzt Dieter Nuhr seinem ohnehin erfolgreichen Auftritt mit der Zugabe auf. „Ich packe nur ein“, feixt er beim Zusammenräumen seiner Notizen und dem Leeren des Wasserglases. Die Zugabe wäre bereits drin gewesen, jetzt habe er nichts mehr. Was natürlich Quatsch ist und er den erfreuten Besuchern noch aus seinem neuen Buch vorliest. Dass Dieter Nuhr nicht Lehrer geworden ist - wir können froh darüber sein. – erschienen im Dezember 2010 in der Westdeutschen Zeitung Düsseldorf Andrea Bongers und ihre Partnerin mit den grandiosen Namen Katie Freudenschuss nehmen sich bei ihrem Auftritt im Savoy Theater eines der ganz großen Mysterien an. Ein im Nebelschleier männlichen Unverständnis gediehenen Phänomens, das an diesem Abend zwar gründlich untersucht wird, sich aber doch der endgültigen Klärung nach wie vor verschließt. Die Rede ist von dem einzig echten Spiegel der weiblichen Seele, dem Mode gewordenen Ausdruck von innerer Befindlichkeit und unmissverständlichem Signalgeber der tragenden Persönlichkeit: Wir reden über Schuhe. Damenschuhe, genauer gesagt. Unter dem Titel „Schuh Mädchen Report“ verwandeln Bongers und Freudenschuss die Bühne des Savoy in einen begehbaren Schuhschrank und vollziehen vor gut 400 Zuschauern einen - den knapp namensgleichen Enthüllungsstreifen der frühen 70er angemessen - umfassenden „Sohlen“striptease, der kaum eine Facette der Beziehung zwischen Frau und Fuß unberücksichtigt lässt. Die deutlich erhöhte Frauenquote im Saal ist auf Nachfrage von Andrea Bongers auch entsprechend vorbereitet. Offenbar hat frau sich durchaus ein bisschen mehr Zeit vor dem Schuhregal genommen und den Abend zum Anlass genommen, mal ganz tief in die hochhackige Trickkiste zu greifen. Mit Erfolg: Neben was Bequemem mit Riehmchen sehen wir auch 13 cm Monster mit feuerroten Absätzen. „Die sind geil!“ entfährt es Andrea Bongers spontan. Hinsichtlich seiner Schuhe sei auch jemand ganz anderer ein sündiges Kerlchen, wie Katie Freudenschuss einwirft: „Der Papst trägt rote Prada Schuhe! Und seine Schuhsäckchen sind wahrscheinlich Kondome von Gucci.“ Und sonst bei den Herren? Hier herrscht die kategorische Präferenz des Praktischen vor. Dagegen ist auch die ganze missionarische Kraft des Abends machtlos. Es ist ein heiterer Reigen von Charakteren, denen Andrea Bongers entsprechendes Schuhwerk zugeordnet hat. Da ist die Hamburger Hure Roxy, die in ihren mopsigen Moonboots über eine Affäre mit einem Musiker in Plattdeutsch daherschnoddert. Dieser hätte ihr sogar ein Lied geschrieben, womit sie „Roxanne“ von Police anstimmt, umgetextet zu „Roxy“. Dann ist da eine kölsche Fußpflegerin in weissen Gesundheitsschluppen, die über ihre Vergangenheit als Stripperin sinniert. Als sie während Umbaumaßnahmen an den Baugerüsten „dran rumjeschuppert“ sei, hätte sie damit quasi den Stangentanz erfunden. Zwischendurch erfährt man dann noch Wissenswertes wie: „Bei Erkältung hilft es, dreimal in fremde Schuhe zu schneuzen“! Später begegnen wir einer Landpomeranze im Gummistiefeln aus Bayern, zwei in weissen Lederstiefeletten daherpolternden Asi-Mädels, einer hochnäsigen Bankergattin in Stuart Weitzmans, die nichts kann, aber zu allem eine Meinung hat, sowie der österreichischen Fußfetischismus-Expertin, die in blutroten Plateaustiefeln ihr Fachgebiet erläutert. Ihr Opfer ist Heinz, eine fast lebensgroße Puppe, gespielt von Bongers, die glänzend den Typ des leicht trotteligen und spießigen Mannes darstellt. Zwar hat Heinz als Schuster eine ebenfalls enge Beziehung zu Schuhen, so richtig verstehen wird es aber wohl nie mehr. Nach gut zwei Stunden endet der Schuh Mädchen Report mit einem Hit-Medley zu Ehren des Damenschuhs, doch in Summe bleibt der Abend hinter den Erwartungen zurück. Die einzelnen Nummern sind drollig und von zwei Künstlerinnen ausgeführt, die wissen, was sie tun, doch richtig herzhaftes Lachen hört man im Saal eher wenig. – erschienen im August 2010 in der Westdeutschen Zeitung Düsseldorf Mathias Tretter gehört in Kreisen des politischen Kabaretts mit seinen 36 Jahren zu den „jungen Wilden“, zu einer der großen Nachwuchshoffnungen. Das ist durchaus bemerkenswert, schließlich war etwa Mozart in diesem Alter bereits im Begriff, sein irdisches Dasein zu vollenden. Quicklebendig und selbstironisch dagegen eröffnet der in Leipzig lebende Würzburger seinen Abend „Staatsfeind Nummer 11“ im Kommödchen. Ein Lebenstraum gehe für ihn hier in Erfüllung: „Das Kommödchen in Düsseldorf. Halbvoll!“ In der Tat sitzen vor der Bühne knapp 80 Besucher, die haben aber in den folgenden zwei Stunden jeweils Spaß für zwei. Einen schillernden Rundumschlag teilt Tretter aus, nimmt alles mit, was ihm derzeit in den Medien an Skurillitäten begegnet. Im fränkischen Zungenschlag schnurren seine wortverspielten Pointen in einer Tour daher. Fußball-WM, Bundespräsidentenwahl und Missbrauchsfälle in der Kirche, so etwas findet bei Tretter bequem in einem Nebensatz Platz. Lieblingsgegner sind die ach so armen Spitzenkräfte aus Politik und Wirtschaft, denen Tretter mit ätzendem Charme und maßlos überteuerten Humor-Seminaren begegnet, während derer er sich mitunter sogar den terroristischen Aufstachelungen seines Unterbewussten erwehren muss. Seine Schilderungen gipfeln in der sagenhaften Vorführung der englischen Sprache, vermengt mit deutschen Dialekten, wie er es bei den Zugbegleitern der Deutschen Bahn beobachtet hat. Begeisterter Applaus, der mit zwei Zugaben vergütet wird. – erschienen im Juli 2010 in der Westdeutschen Zeitung Düsseldorf Unpünktlichkeit gehört wohl zum Geschäft eines echten "Gangsta". Eine halbe Stunde lässt sich Berlins Fäkal-Rap-Aushängeschild Bushido Zeit, bevor er sich auf die Bühne der halbleeren Philipshalle bequemt. Sehr großzügig beziffert der Veranstalter die Menge der jugendlichen Fans mit 4000, denen es mit ihren Cola light-Bechern und den "Bushido, Bushido" Rufen nicht langweilig wird. Stattdessen ist die Stimmung schon euphorisch aufgeheizt, als das Licht in der Halle erlischt und alle, alle, alle ihre Handy- und Digitalkamera-Bildschirme auf die mit einem weißen Vorhang verhüllte Bühne richten. Als dieser schließlich fällt und der Held des Abends in T-Shirt und schwarzer Jogginghose zu sehen ist, kreischen die Fans erneut auf. Der so Umjubelte findet sich selbst offenbar auch ziemlich gut, winkt freundlich, lächelt ein perfektes Schwiegermama-Lächeln und setzt an, seine Lieder über das Leben als Großstadt-Krieger zu "performen". Er ist im Nebenjob erfolgreicher Immobilienhai und selbsternannte Spießer, der gern die Hecken seiner Berliner Nobel-Villa schneidet. In letzter Zeit hat er so etwas wie seinen Karrierehöhepunkt erlebt. Abgesehen von erfolgreichen Platten hat der 31-Jährige bereits seine Autobiografie verfasst, die jüngst von Bernd Eichinger als Film produziert wurde. Dass er es als Rapper mit dem Urheberrecht seiner Lieder dabei nicht ganz so genau nimmt, muss wohl auch eine Facette des Gangsta-Lebens sein. In letzter Zeit gab es ein bisschen juristischen Knatsch wegen der ein oder anderen entliehenen musikalischen Idee. Mit seinen beiden Co-Rappern Kay One und Nyze geht es über zwei Stunden lang durch Songs wie "23 Stunden Zelle", "Von der Skyline zum Bordstein zurück", "Zu Gangsta" oder auch "Zeiten ändern Dich", dem Titel von Album, Film und Tour. Alles schwer unterscheidbar und im Kern eine von einer prächtigen kleinen Schlagzeug-, Bass- und Synthesizer-Band stramm rhythmisierte Tunke aus schlichten Motiven von Ehre, Kodex, Einzelkämpfer-Idealen, asiatischem Mystizismus und jeder Menge Schimpfworte. Der höchstens mittel-originelle Kay One fragt dabei immer und immer wieder: "Wird Düsseldorf lauter sein als Bamberg?" (offenbar war man am Vorabend in Oberfranken) und "Wo sind die Hände?". Fragen, die im popkulturellen Diskurs natürlich längst hätten gestellt werden müssen. Als Zugabe erklingt noch Karel Gott vom Band, und die harten Jungs singen mit ihm Alphavilles 80er-Hit "Für immer jung". Wovon Rapper eben so träumen. – erschienen im Mai 2010 in der Westdeutschen Zeitung Düsseldorf Hätte sie doch besser die Tonhalle gewählt. Dort hätte Mireille Mathieu vor fast ausverkauftem Haus gesungen. Doch in der Philipshalle vermögen die knapp 1.000 Besucher am Freitag mit zunächst dünnem Applaus und den zu Beginn verstimmten Streichern der Begleitband kaum Stimmung zu erzeugen. La demoiselle Mathieu setzt den Widrigkeiten aber 45 Jahre Bühnenerfahrung und die eiserne Professionalität ihrer 63 Jahre entgegen. Das eröffnende "Hinter den Kulissen von Paris" schmettert sie mit in die Ferne gerichtetem Blick, genau wie sie den Applaus mit Verbeugungen in die imaginären Ränge entgegennimmt. Das hat Anmut und Größe. Schon nach dem zweiten Song "Martin" werde Blumen auf die Bühne gereicht. Strauß um Strauß sammelt die Grande Dame des Schlagers in den zwei Stunden ein, bedankt sich artig mit "Schönes Blumen". Wie die charmant individualisierte Grammatik sind alle anderen Ingredienzien ihres Erfolges präsent: die prägnante Stimme, das weite Vibrato, das gerollte "R" und natürlich der Pagenkopf. Mit der großzügig als Orchester titulierten Begleitband singt sie die großen Erfolge von früher wie "Mir geht es gut", "Akropolis Adieu" und "An einem Sonntag in Avignon". Die Stimmung im Saal und bei den Streichern bessert sich deutlich, am Ende geben wir für Nostalgie und Ausstrahlung "douze points" (12 Punkte). – erschienen im April 2010 in der Westdeutschen Zeitung Düsseldorf Bobby McFerrin hat ein neues Album aufgenommen, das erste nach sieben Jahren Arbeit. Mit großen Worten angekündigt als Musik für das 21. Jahrhundert, die man so noch nie gehört habe, lässt das knapp einstündige Werk den Hörer etwas ratlos zurück. Bereits der sperrige Titel „VOCAbuLarieS“ mag sich nicht so recht ins Ohr finden. Das verschlungene Wortspiel aus den englischen Begriffen für Wortschätze und Gesang spiegelt aber gut den klingenden Eindruck wider, denn die überwiegend vokale Musik ist ebenso ein Konglomerat aus verschiedenen Elementen, die Bobby McFerrin in den vergangenen 30 Jahren zu Gehör gebracht hat. Aus dem privaten Tonarchiv McFerrins hat sich der Komponist Roger Treece die schönsten Perlen herausgesucht und daraus sieben epische Songs geformt. Bobby McFerrin hat diese dann mit mehr als 50 Gastsängern anschließend eingesungen. Im Ergebnis hört man einen mit großem technischen Aufwand erschaffenen Klangkosmos, der da aus archiviertem Klangmaterial zusammengewoben wurde. Das ist viel Musik, aber überraschend wenig Bobby McFerrin. – erschienen im April 2010 in der Westdeutschen Zeitung Düsseldorf
Ronan Keating ist die Fleisch gewordene Idylle. Sucht man nach charakteristischen Eigenschaften, findet man nur Gutes. Der Ire ist sozial engagiert, lebt ein skandalfreies Familienleben, singt kuschelige Popsongs mit hübschen Akkorden und benutzt vermutlich wenig bis gar keine Schimpfworte. Auch bei seinem Konzert in der Philipshalle bietet der Saubermann alles, was die Herzen der gut 3000 überwiegend weiblichen Fans begehren. Ronan, dem Charmeur, nehmen sie offenbar auch seinen neuen Look nicht übel. Mit dunkler Schlabberhose, Kellnerweste und verschachtelter Frisur ähnelt er heute weniger dem jungenhaften Teeniestar von einst, sondern vielmehr dem Entertainer-Darsteller Ross Antony. So oder so schreitet der 33-Jährige nach einer stimmungsvollen Eröffnung durch ein Streichquartett zum aufbrandenden Jubel auf die Bühne, die Akustikgitarre im festen Griff und schmachtet mit seiner siebenköpfigen Band „Friends In Time“ in den Saal. Farbenfroh inszeniert und punktgenau choreographiert, spielen sich die Akteure durch Hits wie „The Way You Make Me Feel“, „If Tomorrow Never Comes“, „Picture Of You“ oder „Stay“ von der aktuellen CD „Winter Songs“. In rührenden Worten gedenkt Keating auch seinem 2009 verstorbenen Boyzone-Kollegen Stephen Gately und singt dem toten Freund eine Hommage. Im Finale lässt Ronan Keating schließlich mit „Life Is A Rollercoaster“ und der Notting-Hill-Schmonzette „When You Say Nothing At All“ nochmals die Damenherzen erfreut hüpfen. – erschienen im März 2010 in der Westdeutschen Zeitung Düsseldorf Es ist eine so schöne Geschichte. Ein wuschelköpfiger junger Mann mit näselnder Stimme und Hang zu verschrobener Poesie trifft ein junges Mädchen mit langen braunen Haaren und dunklen Augen. Schon bald sind die beiden das Aushängepärchen der Hippie-Generation: Bob Dylan und Joan Baez. Zwar folgte später eine mittelfreundschaftliche Trennung; sie aber errang Weltruhm als Folksängerin und Ansehen als die gute Fee der 68er. Heute, vierzig Jahre danach, ist aus dem schönen Vorzeigeengel der politisch Engagierten von einst eine Dame mit grau meliertem Kurzhaarschnitt geworden. Die Akustikgitarre und der aus hundert Stimmen heraushörbare Sopran sind aber nach wie vor dabei, als sie am Montagabend vor leider gerade mal 1000 Zuschauern die Bühne der Philipshalle betritt. Sie eröffnet ihr Konzert mit „Lily of the West“, das damals auch Bob Dylan gesungen hat. Zusammen mir ihrer Band entlockt sie den Akustikinstrumenten schönsten Americana-Sound, frei von müder Country & Western Referenz. Nach einer Rückschau auf „Silver Dagger“, „Love Song to the Stranger“ und „Gospel Ship“ eröffnet sie die internationale Abteilung, singt auf Arabisch und Deutsch, wie „Sag mir wo die Blumen sind“. Im Nu sind 90 Minuten regu lären Programms verflogen, das Publikum jedoch erklatscht sich durch Standing Ovations einen 30-minütigen Zugabenteil. – erschienen im März 2010 in der Westdeutschen Zeitung Düsseldorf |
Der Popwart
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