Es gibt ja Spötter, die behaupten, Johannes Brahms' großes Monumentalwerk "Ein deutsches Requiem" op. 45 enthalte eigentlich nur zwei schöne Stellen. Die geringschätzige Anspielung bezieht sich zum einen auf den zweiten Satz "Denn alles Fleisch, es ist wie Gras" und zum anderen auf die Jubelpassage im sechsten Satz zu den Worten "Tod, wo ist dein Stachel". Dass Brahms' Komposition nach Worten der Heiligen Schrift natürlich noch eine ganze Reihe weiterer Höhepunkte bereithält, ist sicherlich auch Leon Botstein bewusst, der bei der Aufführung des deutschen Requiems in der Tonhalle die Düsseldorfer Symphoniker und den Städtischen Musikverein zu Düsseldorf dirigiert. Die Solisten-Partien übernehmen Stephan Ganz (Bariton) und Julie Kaufmann (Sopran), letztere ist kurzfristig für die erkrankte Miah Persson eingesprungen. Leon Botstein hat es also in der Hand, die ganze emotionale Palette des Requiems von Bestürzung und Trauer bis Trost und Hoffnung zu zeigen. Doch leider reicht es nur für eine durchschnittliche Aufführung. Nehmen wir uns als Beispiel den bereits angesprochenen zweiten Satz vor. Es fällt beileibe nicht schwer zu bekennen, dass diese knappe Viertelstunde sicher zum Aufwühlendsten gehört, was der große Schrank der Musikgeschichte bereithält. Die gravitätische Macht der einleitenden Quartschritte und der von den tiefen Chorstimmen zunächst in zartem piano vorgetragene Choral, der sich nach einer gewaltigen Steigerung in hünenhaftem forte entlädt, können den Zuhörer zutiefst erschüttern und mit Macht in den Konzertsessel pressen. Richtig gespielt, kann diese Stelle eine Gänsehaut erzeugen, auf die jeder noch so kalte Winter mit Recht neidisch wäre. Wie gesagt, wenn sie nur richtig gespielt wird. Botstein aber verschenkt große Teile des Wirkungspotenzials durch ein arg schleppendes Tempo und große Zurückhaltung bei dynamischen Steigerungen. Den tröstlichen und ruhigen Aspekte der Partitur mag das gut bekommen, aber über weite Strecken klingt sein Brahms dadurch wie in Watte verpackt, die Konturen des Chors bleiben unter dem dominierenden Orchester unscharf und verwischt. Wobei die Akustik des Saals jetzt nicht mehr als Grund herhalten kann. Durchaus erfreulich dagegen die Leistungen von Julie Kaufmann und Stephan Genz, deren Soli gut in Botsteins Brahms-Bild passen. Kaufmann überzeugt mit ruhig geführter Stimme und samtweichem Vibrato, Genz deklamiert mit eindringlichem Gestus. Viel Applaus aus fast ausverkauften Reihen. – erschienen im November 2005 in der Westdeutschen Zeitung Düsseldorf
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Johannes Brahms hat eigentlich nie ein Requiem geschrieben. Seine Vertonung von eigens zusammengesetzten Bibelstellen, die er als „Deutsches Requiem“ überschrieb, versperrt sich einer gattungsgeschichtlichen Einordnung, egal wie man sich ihr auch annähern mag. Es ist weder eine liturgische Totenmesse, da die überlieferten Formteile und das zentrale Dies irae fehlen, noch ein Oratorium, das durch eine durchgehende Handlung charakterisiert wäre. Brahms hat ein ganz persönliches Werk geschaffen, das unter dem Eindruck des Todes seiner geliebten Mutter und jenem Robert Schumanns entstand und das von dem tiefen Glauben Brahms‘ an die Auferstehung und die Tröstung der Hinterbliebenen geprägt ist. Musikalisch ist es nicht ausschließlich ein Kind einer harmonisch bewegten Romantik, sondern macht deutliche Rückgriffe auf die Kompositionstechniken des Barock, wie die vielen Fugen und Kontrapunkte belegen. Wie geht man nun als Interpret mit solch einem facettenreichen Stück um? Eine Antwort darauf gaben der Unichor der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf unter der Leitung von Silke Löhr, der Bariton Christian Dahm und die Sopranistin Dorothee Wohlgemuth jüngst in der Bilker St. Peter Kirche. Sie musizierten das Requiem in der eher ungewöhnlichen von Heinrich Poos eingerichteten Fassung für Chor, Soli, zwei Klaviere und Pauken. Welche Deutung man auch immer in die Partitur hineinlegen mag, diese Aufführung des Unichors wird sicher noch lange als Maßstab für jeden weiteren Besuch eines Requiem-Konzerts im Gedächtnis bleiben. Ohne den Filter des großen Orchesterklangs (verlustfrei ersetzt durch Kazue Suzuki und Yali Shanda am Klavier und Max Kroymann an den Pauken) konnte der glänzend vorbereitete und ungemein präsente Chor seine deklamatorische Kraft unmittelbar entfalten. Die mit besonders schönem legato ausgesungenen Phrasen vermittelten eine haarfein dynamisch nuancierte Expressivität, die man selbst bei Opernchören nicht alle Tage findet. In den forte-Stellen des zweiten Teils glaubte man im Saal das Rauschen der sich aufstellenden Nackenhärchen zu vernehmen. Auch die Solisten konnten von ihrer Erstklassigkeit mehr als bloß überzeugen. Nachdem die Wogen dieser prächtigen Klangentfaltung verklungen waren, erhoben sich die Zuhörer still von ihren Bänken und verharrten dort minutenlang. Ein berückender Augenblick nach einem an ergreifenden Momenten übervollen Abend. – erschienen im Juli 2003 in der Westdeutschen Zeitung Düsseldorf |
Der Popwart
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