Johannes Brahms hat eigentlich nie ein Requiem geschrieben. Seine Vertonung von eigens zusammengesetzten Bibelstellen, die er als „Deutsches Requiem“ überschrieb, versperrt sich einer gattungsgeschichtlichen Einordnung, egal wie man sich ihr auch annähern mag. Es ist weder eine liturgische Totenmesse, da die überlieferten Formteile und das zentrale Dies irae fehlen, noch ein Oratorium, das durch eine durchgehende Handlung charakterisiert wäre. Brahms hat ein ganz persönliches Werk geschaffen, das unter dem Eindruck des Todes seiner geliebten Mutter und jenem Robert Schumanns entstand und das von dem tiefen Glauben Brahms‘ an die Auferstehung und die Tröstung der Hinterbliebenen geprägt ist. Musikalisch ist es nicht ausschließlich ein Kind einer harmonisch bewegten Romantik, sondern macht deutliche Rückgriffe auf die Kompositionstechniken des Barock, wie die vielen Fugen und Kontrapunkte belegen. Wie geht man nun als Interpret mit solch einem facettenreichen Stück um? Eine Antwort darauf gaben der Unichor der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf unter der Leitung von Silke Löhr, der Bariton Christian Dahm und die Sopranistin Dorothee Wohlgemuth jüngst in der Bilker St. Peter Kirche. Sie musizierten das Requiem in der eher ungewöhnlichen von Heinrich Poos eingerichteten Fassung für Chor, Soli, zwei Klaviere und Pauken. Welche Deutung man auch immer in die Partitur hineinlegen mag, diese Aufführung des Unichors wird sicher noch lange als Maßstab für jeden weiteren Besuch eines Requiem-Konzerts im Gedächtnis bleiben. Ohne den Filter des großen Orchesterklangs (verlustfrei ersetzt durch Kazue Suzuki und Yali Shanda am Klavier und Max Kroymann an den Pauken) konnte der glänzend vorbereitete und ungemein präsente Chor seine deklamatorische Kraft unmittelbar entfalten. Die mit besonders schönem legato ausgesungenen Phrasen vermittelten eine haarfein dynamisch nuancierte Expressivität, die man selbst bei Opernchören nicht alle Tage findet. In den forte-Stellen des zweiten Teils glaubte man im Saal das Rauschen der sich aufstellenden Nackenhärchen zu vernehmen. Auch die Solisten konnten von ihrer Erstklassigkeit mehr als bloß überzeugen. Nachdem die Wogen dieser prächtigen Klangentfaltung verklungen waren, erhoben sich die Zuhörer still von ihren Bänken und verharrten dort minutenlang. Ein berückender Augenblick nach einem an ergreifenden Momenten übervollen Abend. – erschienen im Juli 2003 in der Westdeutschen Zeitung Düsseldorf
0 Kommentare
Hinterlasse eine Antwort. |
Der Popwart
|