Cirque Invisible

27/9/2005

0 Kommentare

 
Ein Oberkörper, der sich oberhalb der Hüfte um 360 Grad dreht, ein Kopf, der plötzlich dem Rumpf um Armeslänge vorausschwebt, man mag seinen Augen kaum trauen, wie glaubhaft Victoria Chaplin und Jean Baptiste Thierrée beim "Cirque Invisible" allen anatomischen und optischen Gesetzen widersprechen. 

Das Künstler-Ehepaar zeigt auf der Bühne des Isis-Zelts beim Altstadtherbst zwei Stunden lang großes Kino für Augen und Herz. Seit 30 Jahren sind die beiden als Missionare für eine neue Art des Zirkus unterwegs, suchen nach neuen Inhalten und Formen für diese Kunst. Die traditionelle Manege ist bei ihnen nur noch durch einen großen stilisierten Kreis präsent, Sägemehl fehlt ebenso wie lärmende Musik oder wilde Tiere, mal abgesehen von Kaninchen und einer kleinen Entengruppe, die überaus goldig zu einem Okarina-Duett singt, respektive quakt. 

Mit "Cirque Invisible" setzen die zierliche Chaplin mit ihrer langen schwarzen Mähne und der verschmitzt grinsende Thierrée mit Andy-Warhol-Frisur auf leise, verträumte Töne, sie verzaubern durch fantasievollen Mummenschanz und mimikryhafte Verwandlungen von vermeintlich unbelebten Gegenständen zu stolzen Fabelwesen sowie durch viel magischen Schabernack, von Thierrée stets feixend aus einer großen Sammlung von Koffern vorgeführt. Victoria Chaplin, die von ihrem berühmten Vater den unschuldigen Blick aus den großen Kulleraugen geerbt hat, zeigt mit vielen Kostümierungen scheinbar unmögliche Metamorphosen. So wird aus einer weit ausgestellten Rokoko-Robe in wenigen, beiläufig dahinschwebenden Handgriffen plötzlich ein Pferd. 

Jede ihrer Bewegungen ändert das Bild, kaum meint man das Dargestellte zu erkennen, entsteht schon wieder etwas Neues. Ein Höhepunkt ist sicher ihr Auftritt als wandelnde Spieluhr, bei dem sie mit Kristallschüsseln und Blechtöpfen "bekleidet" über die Bühne schreitet und dabei mit Holzschlägeln höchst poetische Klänge hervorbringt. Ihr Drahtseil-Balanceakt demonstriert außerdem, dass die 54-Jährige auch das klassische Terrain beherrscht. Jean Baptiste Thierrée ist dagegen fürs Komische zuständig. Natürlich kann er auch richtig zaubern, Häschen und Tauben inklusive, aber bei ihm darf auch mal etwas daneben gehen. Seine Jonglage-Nummern oder die klassische "zerteilte Jungfrau" etwa vergeigt er aufs Köstlichste, rettet sich dann gerne mit kleinen Albernheiten aus den gespielten Malheurs. 

Manche seiner Auftritte sind nur wenige Sekunden lang, präsentieren ihn in überdrehten Verkleidungen, die die Nonsense-Komik eines Helge Schneider oder der britischen Monty Python streifen. Wie auf einer Kette reihen sich die illusorischen Kostbarkeiten aneinander, jede circensische Perle schimmert in anderem Licht und löst bei den Betrachtern wonnige Freude am Gesehenen aus. Schon zur Pause dröhnt donnernder Applaus, am Ende springt das Publikum aus den Sitzen und überschüttet die Zirkuskünstler mit frenetischem Jubel.

– erschienen im September 2005 in der Westdeutschen Zeitung Düsseldorf

0 Kommentare

    Der Popwart
    Musikblog aus Düsseldorf

    Ich schreibe gern. Am liebsten über Musik, Konzerte und Kram. Manchmal für die Zeitung. Manchmal ungefragt.

    Impressum
    Mein Buch über
    Progressive Rock & Klassische Musik
    für 4,99€ 
    PDF Download

    Worüber ich schon geschrieben habe:

    Alle
    6-Zylinder
    Abdullah Ibrahim
    AC/DC
    Ace Frehley
    Adam Noidlt Missiles
    Alfred Biolek
    Alich Und Pause
    Altstadtherbst
    André Rieu
    Angelo Branduardi
    Annett Louisan
    Anton Webern
    Arctic Monkeys
    Ata Tak
    Ausbilder Schmidt
    Auto! Auto!
    Avril Lavigne
    Axl Rose
    Backyard Babies
    Barbara Schöneberger
    Bb-king
    Bela-bartok
    Ben Becker
    Bobby McFerrin
    Branford Marsalis
    Brian Setzer
    Bushido
    Butcher Babies
    Carolin Kebekus
    Cat Stevens
    Charlotte Roche
    Chick Corea
    Chris Norman
    Christian Jost
    Christoph Maria Herbst
    Cirque Invisible
    Cream
    D-A-D
    Daliah Lavi
    David Copperfield
    Deep Purple
    Dick Brave
    Die Prinzen
    Dieter Hildebrandt
    Dieter Nuhr
    Dweezil Zappa
    Edvard Elgar
    Ennio Marchetto
    Ensemble Notabu
    Esbjörn Svensson Trio
    Eure Mütter
    Faiz Ali Faiz
    Familie Popolski
    Fanny Hensel
    Felix Mendelssohn Bartholdy
    Free
    Fury In The Slaughterhouse
    Gayle Tufts
    Georg Schramm
    Gerd Dudenhöffer
    Gerd Weismann
    Gerhard Oppitz
    Gewandhaus Quartett
    Giuseppe Verdi
    Götz Alsmann
    Green Day
    Gustav Mahler
    Gustavo Dudamel
    Harlem Gospel Singers
    Hector Berlioz
    Helge Schneider
    Helmut Lotti
    Hermann Van Veen
    Howard Skempton
    Hugo Strasser
    Ina Müller
    In Extremo
    Ingo Appelt
    James Brown
    Jan Delay
    Jango Edwards
    Jens Heinrich Claassen
    Joan Baez
    Johannes Brahms
    Johann Sebastian Bach
    John Lennon
    Joja Wendt
    Jon Gomm
    Jörg Knör
    Juilliard String Quartet
    Jürgen Becker
    Kaya Yanar
    Kelly Rowland
    Kiesgroup
    Kimmo Pohjonen
    Kim Wilde
    KISS
    Klaus Lage
    Konrad Beikircher
    Kory Clarke
    Liza Minelli
    Louis Armstrong
    Luciano Pavarotti
    Ludwig Van Beethoven
    Maceo Parker
    Manni Breuckmann
    Mario Adorf
    Marius Jung
    Mark-Andreas Schlingensiepen
    Markus Stockhausen
    Mathias Tretter
    Matthias Richling
    Max Goldt
    Max Greger
    Max Raabe
    Meret Becker
    Metallica
    Michael Hirte
    Mireille Mathieu
    Mischa Maisky
    Missfits
    MonaLisa Twins
    Morimur
    Mozartband
    Mustasch
    Nana Mouskouri
    Neil Diamond
    Nelly Furtado
    Nick Drake
    Nigel Kennedy
    Oskar Gottlieb Blarr
    Pat Metheny
    Patti Smith
    Paul Kossoff
    Paul Kuhn
    Paul Panzer
    Paul Potts
    Paul Rodgers
    Peter Kraus
    Peter Maffay
    Peter Ustinov
    Peter Weiss
    Pharrell Williams
    Pink Floyd
    Ponticellos
    Pur
    Queen
    Queen Bee
    Ragna Schirmer
    Ramones
    Reginald D. Hunter
    Return To Forever
    Robert Cray
    Roger Cicero
    Roger Waters
    Roger Willemsen
    Rolling Stones
    Ronan Keating
    Schnellpoptopf
    Serdar Somuncu
    Sergej Rachmaninow
    Shakira
    Shlomo Mintz
    Sissy Perlinger
    Slipknot
    Soil & Pimp Sessions
    Sol Gabetta
    Sonderjyllands Symfonieorkester
    Spandau Ballet
    Stephen K Amos
    Stromae
    The Calling
    Them Crooked Vultures
    The Tiger Lillies
    The Who
    Thomas Battenstein
    Thomas Freitag
    Tom Gaebel
    Tori Amos
    U2
    Udo Jürgens
    Ukulele Orchestra Of Great Britain
    Unheilig
    Vintage Caravan
    Warrior Soul
    Winery Dogs
    Wolfgang Amadeus Mozart
    Yo-Yo Ma
    Yusuf Islam

Powered by Create your own unique website with customizable templates.
Der Popwart: Musik-Nerdism und ungefragte Reviews