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Wie der leibhaftige Mann im Mond hängt Martyn Jacques vor dem riesigen projizierten Bild des Erdtrabanten über der Bühne des Isis-Zelts am Burgplatz, bevor das Publikum am Ende einer einzigartigen Show begeistert aufspringt und zu einem lautstarken Beifallssturm ansetzt.
Das Bild des bleich geschminkten Sängers und Akkordeonspielers in seinem abgetragenen und staubigen Anzug ist nur eine der vielen poesievollen Szenen, die die Londoner Band The Tiger Lillies bei der Premiere ihres Programms „Tiger Lillies Circus“ beim Altstadtherbst den faszinierten Zuschauern präsentieren. Neben dem kreativen und musikalischen Kopf Martyn Jacques verwandeln Adrian Stout (Kontrabass und singende Säge) sowie Adrian Huge (Sammelsurium aus Schlagzeugteilen) das Isis-Zelt gemeinsam mit sechs vorzüglichen Artisten in ein altes, heruntergekommenes Vaudeville-Theater, dessen beste Tage nur noch in der wehmütigen Erinnerung seiner Betreiber weiterleben. Was von früher übrig blieb, das zeichnen die exaltierten Lillies als pervertierte Manege der Monstrositäten. Das eigene Scheitern zelebrieren die Musiker mit zynischer Lust und lyrischer Kraft, man wähnt sich in der poetischen Welt eines Zirkus Roncalli, in der das Gossen-Genie Charles Bukowski die künstlerische Leitung übernommen hat. Zu Atem beraubenden Darbietungen von Schlangenfrau und Vertikaltuch-Artistin, von erotischer Tänzerin und zwei Kraft-Akrobaten beschwören die Tiger Lillies mit der dazu erklingenden schrägen Musik und dem kastratenhaften Falsett-Gesang eine ebenso morbide wie träumerische Stimmung herauf. Ihre melancholischen Lieder erzählen uns mit einem diabolischen Unterton von abgetakelten Existenzen, gescheiterten Lebensläufen, traurigen Schicksalen und der Hoffnung auf ein besseres Morgen, gleichzeitig sprudeln sie über vor Zuneigung und Sympathie für ihre traurigen Helden. Der ungemein intensiv agierende wie eindringlich singende Martyn Jacques bewegt sich dazu wie das motorische Unikat Joe Cocker, den man in die aufgetragenen Kleider eines Charlie Chaplin gesteckt hat. Wenn dann dem alten Clown bei seinem Auftritt die Hälfte der Jongliertricks daneben gehen, kommt man doch ins Grübeln, ob das nicht ein geplanter Teil der Show ist. Ein schaurig-schöner Spaß der Extraklasse. – erschienen im September 2004 in der Westdeutschen Zeitung Düsseldorf
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Der Popwart
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