Die Stimme einer Generation – John Lennon

8/12/2005

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“Don't let another day go by my love,
It'll be just like starting over”


(Just Like) Starting Over – Double Fantasy, 1980
Als John Lennon am späten Abend des 8. Dezember 1980 vor dem Eingang des Dakota Buildings mit Yoko Ono aus der Limousine stieg, lag ein langer Tag mit Plattenaufnahmen für Yokos neue Single hinter ihm und er wollte sich im heimischen Apartment nahe des Central Parks erholen. 

Seit 1975 hatte Lennon keine Studios mehr von innen gesehen, die Umstellung auf das neue alte Leben als Musiker und Rockstar war anstrengend und aufregend für den wohl einflussreichsten und wichtigsten Beatle. Nach fünf Jahren hatte es der zurückgezogen lebende Privatier, Vater und Ehemann endlich wieder geschafft, kreativ zu werden und Musik zu schreiben. In kurzer Zeit waren über 20 Songs entstanden, das anbrechende Jahrzehnt gab ihm Auftrieb und neue Inspiration. Als Ergebnis wurde am 17. November 1980 die LP "Double Fantasy" veröffentlicht, bereits am 9. Oktober, Lennons 40. Geburtstag, war die erste Single "Starting over" in die Läden gekommen. 

Mit dem symbolischen Neuanfang markierte Lennon sein Comeback, auf das die Fans seit 1975 und dem letzten, eher enttäuschenden Album "Rock'n'Roll" gewartet hatten. Die Kritiken gingen zwar nicht gerade zimperlich mit "Double Fantasy" ins Gericht, doch die Verkaufszahlen rechtfertigten immerhin die Planung einer Welttournee. Alles in allem kein schlechter Start in ein neues Leben. Und doch sollten an diesem Dezemberabend die Pläne für John Lennon jäh enden, als der dickliche junge Mann, dem er am Mittag bereits ein Autogramm auf eine Kopie von "Double Fantasy" gegeben hatte, erneut auf ihn zutrat. Dieses Mal aber wollte Mark David Chapman kein Autogramm, dieses Mal feuerte er fünf Schüsse aus seiner Pistole ab. Lennon wurde in den Rücken getroffen und brach im Hauseingang des Dakota zusammen. Noch im Polizeiwagen, der den schwer verletzten Musiker hastig in das Roosevelt Hospital brachte, starb John Lennon. 

Geboren als John Winston Lennon - seit 1969 nannte er sich John Ono Lennon - ist er seit seinem Tod zu einer Ikone des 20. Jahrhunderts aufgestiegen. Als Musiker, Schauspieler, Schriftsteller, Friedensaktivist, ätzender Zyniker und höchstkreativer Künstler ist sein Einfluss auf das popkulturelle Gefüge der letzten 40 Jahre immens, ja einzigartig. Sein Vergleich der Beatles mit Jesus inmitten der Beatlemania, die Begeisterung und herbe Enttäuschung über die Lehren des Maharishi Yogi, die "War is over"-Kampagnen zu Weihnachten 1969, der an die Queen zurückgesandte MBE-Orden, das Nacktfoto auf der ersten Solo-LP "Two Virgins" mit Yoko Ono oder die friedensbewegten "Bed-Ins" in Hotels in Amsterdam und Montreal - alles längst Teile der Lennon-Legende. Seine Fans erkoren ihn dafür zu ihrer Stimme, zur Stimme einer Generation. 

Doch hinter der Fassade des "Imagine" trällernden Friedensengels war Lennon mit sich selbst im Krieg. Erdrückt vom engen Beatles-Korsett, das er schon seit Jahren sprengen wollte, eingeholt vom tragischen Verlust der Mutter in seiner Kindheit, entlud sich sein Frust nach der Trennung der Beatles in radikalen Solo-Alben und einem Umgang mit seinen Mitmenschen, der ihn nicht eben zu einem liebenswerten Zeitgenossen machte. Er lieferte sich eine hässliche Scheidung von seiner ersten Frau Cynthia, grätzte gegen seinen alten Busenfreund Paul McCartney, betrog Yoko mit seiner persönlichen Assistentin, floh schließlich in harte Drogen. Die inneren Konflikte, die er früher so erfolgreich in Musik und Texte gießen konnte, brachte er nicht mehr unter kreative Kontrolle. Als Künstler schwieg er schließlich, blieb fünf Jahre lang still. Bis im Dezember 1980 die gerade wieder zu Atem gekommene Stimme endgültig verstummte. "Double Fantasy" wurde zu Lennons Schwanengesang, nach seinem Tod stiegen das Album und die Single auf Platz 1 der internationalen Charts. In der Folge gingen sämtliche Produkte, die sich mit Lennon in Verbindung bringen ließen, weg wie warme Semmeln. 

Die Plattenhülle von "Double Fantasy", die sich Chapman vor den tödlichen Schüssen hatte signieren lassen, wurde zuletzt im Jahr 2003 für 525.000 Dollar versteigert. Und das Klavier, auf dem Lennon 1971 sein wohl bekanntestes Lied "Imagine" komponierte, ersteigerte der Pop-Star George Michael 2001 für rund 2,1 Millionen Dollar. Im New Yorker Central Park wurden zu Ehren Lennons die "Strawberry Fields" angelegt, ein Gartenareal mit einem tränenförmigen Mosaik in der Mitte. Bis heute legen die Fans dort jeden Tag Blumen, Kerzen und ähnliche Andenken ab. John Lennon wäre in diesem Jahr 65 Jahre alt geworden. Seine Legende hat ihn längst unsterblich gemacht.

Weltweit löste die Nachricht von der Ermordung Fassungslosigkeit aus. Mehrere tausend Menschen versammelten sich vor dem Hospital und dem Dakota Building, um dem ex-Beatle zu gedenken und seine Lieder zu singen. 

Chapman, der sich nach der Tat auf die Straße setzte und zu lesen begann, ließ sich widerstandslos von der Polizei festnehmen, schilderte in der Gerichtsverhandlung abstruse Geschichten und paranoide Wahnvorstellungen, die er als Motive für seine Tat nannte. Er wurde zu zwanzig Jahren bis lebenslanger Haft verurteilt. Der heute 49-Jährige hat bereits mehrfach Gesuche auf vorzeitige Entlassung eingereicht, die allesamt abgewiesen wurde, nicht zuletzt aufgrund Yoko Onos massiver Einsprüche. 2006 kann er erneut ein Gnadengesuch einreichen. Seine Aussichten auf eine Entlassung werden allerdings als sehr gering angesehen.

Seit Anfang Oktober 2000 reichte der bereits mehrmals Gesuche auf ein, bisher wurde dies jedes Mal vom zuständigen Ausschuss des US-Staates New York abgelehnt. Nicht zuletzt gaben Briefe von Yoko Ono hierfür den Ausschlag, in dem sie sich gegen eine vorzeitige Haftentlassung Chapmans aussprach. Ono fürchte nicht nur um ihr eigenes, sondern vor allem um das Leben der Söhne Sean und Julian. 

Die umfangreiche Legendenbildung, die nach dem Tode Lennons eingetreten ist, hat dafür gesorgt, dass weitgehend alles, was mit Lennon in Zusammenhang zu bringen ist, schnell in klingende Münze verwandelt wurde. So kletterten die Verkaufszahlen des Albums "Double Fantasy" nach der Ermordung des Beatle in Millionenhöhe. Zuvor hielten sich die Absätze bei 700.000 weltweit verkauften Exemplaren. 

Aber auch die einstigen Kollegen der Pilzköpfe blieben nicht tatenlos. Die "Anthology" CDs und DVD mit teilweise bislang unveröffentlichtem Material aller vier Beatles gingen sie wie warme Semmeln über den Ladentisch und unterstrichen das nach wie vor ungebrochene Interesse an Lennon und den Beatles. 

Am 10. Dezember 1980 wurde John Lennon im Hartsdale Krematorium in New York feuerbestattet. Angeblich steht seine Urne heute noch auf einem Regal in der gemeinsamen Wohnung im Dakota Building, in der Yoko Ono nach wie vor wohnt.

– erschienen im Dezember 2005 in der Westdeutschen Zeitung Düsseldorf

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