![]() Eigentlich ist es ja immer so eine Sache mit dem Erklären von Witzen. Sobald es für das Zünden einer Pointe erst noch einiger begleitender Worte bedarf, ist der Lacherfolg meist schon dahin. Noch dazu, wenn es um Themen geht, die nicht in jedermanns Alltag gegenwärtig sind oder für die man kein so intensives Interesse aufbringt, wie der Spaßvogel in spe. In solch eine missliche Lage begibt sich der Düsseldorfer Comedian Jens Heinrich Claassen im fast voll besetzten Theateratelier Takelgarn freiwillig. Mehr noch, mit seinem aktuellen Programm „Frauen an den Nerd“ nähert er sich sogar zwei als überaus gefährlich und schwierig geltenden Themen: Frauen und Technik. Aber er meistert sein selbst gewähltes Dilemma auf der Bühne mit Bravour. Claassen ist an diesem Abend ganz Nerd, ein sozial tendenziell isolierter Fachidiot, wie er es nennt, der sich zwar über die Maßen an Zahlen, Schach und alten Rechnern erfreuen kann, dafür aber im Umgang mit Frauen so unbeholfen und befremdet ist, wie die meisten Besucher beim Anblick der fast schon musealen Computer, die er begeistert aus einer Tasche mit dem Logo des Ur-PCʻs C64 hervorkramt. Stolz hält er solche Schätze hoch wie eine Datassette oder einen klobigen „Vor-Vor-Vor-Vor-Vorgänger“ aktueller Tablet-Rechner. Seine Interessen gehen dabei so weit, dass er sich auf seinem Smartphone amerikanischen Flugfunk zum Einschlafen anhört. Dass das Werben um die Herzen von Singlefrauen bei solchen Vorlieben meist schwierig verläuft, manchmal aber auch skurrile Züge annimmt, davon zeugt Claassens wunderbares „Pi-Lied“. Eine kleine Ode an eine Affäre mit einer Mathematikerin, deren Text im Wesentlichen aus den über 100 Nachkommastellen der Kreiszahl 3,14 besteht. Unter Kontrolle des beeindruckten wie begeisterten Publikums schafft es Claassen tatsächlich, 115 weitere Ziffern fehlerfrei aufzusagen bzw. zu singen. Später gelingt ihm sogar, in ein aus dem Stegreif improvisiertes Lied eine Strophe in der Programmiersprache Basic zu singen. Das ist wahres Nerdtum. Hohe, wenn auch für viele Menschen vielleicht ein wenig unnütze Kunst. Als ein weiteres Hindernis bei der Suche nach seinem Gegenstück nennt Claassen noch seinen Hang zum starken Schwitzen. Er sei nunmal ein „Mensch mit Transpirationshintergrund“, der früher im Winter hinter sich streute, damit niemand auf dem überfrorenen Schweiß ausrutscht. Am Ende ist es eine schlichte, aber schöne Erklärung, mit der Jens Heinrich Claassen sein bestens unterhaltenes Publikum nach Hause schickt. Er sei im wahren Leben schon oft genug ernst, daher wolle er sich mit seinem Nerd-Tun das Kind in sich bewahren und wünscht sich nur eins: Nicht erwachsen werden. Denn auch mit 37 fühle er sich immer noch wie der 6-jährige Jens, der im Hochsommer im Garten für Regen betet, damit er endlich wieder in sein Zimmer an seinen Computer darf. – erschienen im Juni 2014 in der Westdeutschen Zeitung Düsseldorf
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Der Popwart
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