Der lange Arm der Bohlenmafia reicht dieser Tage sogar bis nach Düsseldorf. Das in der gleichnamigen Casting-Farce von Dieter Bohlen und Konsorten erkorene „Supertalent“ Michael Hirte steht momentan inmitten der gnadenlosen Verwertungsmaschinerie, die nach dem Abschöpfen von TV, CD, Online-Shop und Buch nun noch die abschließende Hatz durch die Säle der Republik vorsieht. In der Philipshalle angekommen, sieht sich Hirte aber keinem vollbesetzten TV-Studio mit Jubel-Publikum gegenüber, sondern einem mit mageren 1000 Zuschauern nicht mal halb gefüllten Auditorium. Die haben sich zwar damals an seiner Endziffer vermutlich die Finger wund gewählt, an das emotional aufgeladene Wiederkäuen der Biographie des Michael Hirte ist hier aber mangels Material nicht zu denken. Dessen ungeachtet wird das Konzert gebetsmühlenartig in das überstrapazierte Klischee des „deutschen Paul Potts“ gepresst. Das die folgenden zwei Stunden dennoch nicht gänzlich unerträglich werden, ist - Potts Blitz - eben jenem Michael Hirte geschuldet. Ob gewollt oder nicht, sein tapsiger und etwas unbeholfener Gestus auf der Bühne ist ein erfrischendes Gegengewicht zu dem von den Veranstaltern so vehement ausgeübten Druck auf die Tränendrüse. Die inszenierte Welle von verklärter Wehmut, die allabendlich über das Publikum schwappen soll, lässt der 44-Jährige allein schon durch das vielfach heftige und so gar nicht versonnene Ausklopfen seiner Mundharmonika am Hosenbein verplätschern. Auch seine drollige Zerstreutheit, gepaart mit herrlich bodenständiger Berliner Schnauze, torpediert das gewünschte Mysterium um den Mann mit der Mundharmonika im Handumdrehen. Ansagen wie „Watt spiel‘n wir‘n jetzt?“ oder „Für det Stück brauch ich ‘ne freie Nase, sonst jibt‘s ‘ne Riesensauerei“ machen Michael Hirte zum liebenswerten Un-Star par excellence, der sich von dem melodramatischen Bohei um seine Person zum Glück fernhält. Er kann sich sogar rausnehmen, sein Instrument hinter der Bühne zu vergessen und einen verpatzten Songeinsatz mit „Falsche Mundi, ‘schulligung!“ zu quittieren. Hirtes Mundharmonika-Spiel ist eingebettet in einen Klangflausch vom Orchester Otti Bauer, mit dem er einen fantasielosen Reigen leicht ergrauter Evergreens wie „Time to say Goodbye“, „Mull of Kintyre“, „Bright Eyes“, „Tränen lügen nicht“, „Morning has broken“ und natürlich dem unvermeidlichen „Ave Maria“ abliefert. Allesamt verpackt in langweilige Clubschiff-Arrangements mit dem romantischen Charme eines 1-Euro-Ladens. Und wer von den eher nutzlosen Freunden und Überraschungsgästen Kathy Kelly, Silvio d‘Anza, Vanessa Krasniqi, Giuseppe Ruisi und Ricardo Marinello noch nie gehört hat, sei beruhigt, das stellt kein echtes Versäumnis dar. Michael Hirte sei es von Herzen zu gönnen, dass er sich mit seinem befristeten neuen Job als Bühnenkünstler finanziell saniert und seine 15 Minuten Ruhm auskosten kann. Spätestens mit einer neuen Staffel wird ihn auch ein neues Supertalent in der Gunst von Bohlen und Publikum ablösen. – erschienen im März 2009 in der Westdeutschen Zeitung Düsseldorf
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