„Düsseldorf, my fucking family!“
Ja, der Amerikaner ist bekannt für seine schnell zur Schau gestellte offene Herzlichkeit. Auch Corey Taylor, Schreihals bei Slipknot, ist da richtig gut drin. Er kann nicht nur über Blut und schlechte Laune singen, sondern den gut 10.000 Fans im Düsseldorfer ISS Dome wiederholt schön Honig um den Metaller-Bart schmieren. Alle hier und heute würden ihm und seinen Bandkollegen das Gefühl geben, nicht nur in Düsseldorf zu Besuch zu sein sondern sich hier „wirklich“ zuhause zu sein. Awwww, das ist sooo süß. Voll nett, der Corey…
Gut, er und seine anderen Slipknots sehen zugegebenermaßen überhaupt nicht nett aus, im Gegenteil. Die Maskierungen und der restliche große Zirkus, samt riesigem Samtvorhang auf der Bühne, und die nicht minder un-nett daherbretternde Musik, das alles lässt von außen nicht gerade auf allzuviel emotionale Abstufung schließen. Aber damit - und hier beginnt das Loblied auf Slipknot - tut man den Neun aus Des Moines, Iowa, Unrecht. Sich über die Masken und die Wand aus Lärm, die sich dem Novizen entgegenstellen, vorschnell ein Urteil zu bilden, ist nur allzu leicht.
Apropos Masken. Dass Slipknot am ersten Karnevalsfeiertag in Düsseldorf ihr Kostümfest veranstalten, ruft genauso schnell eine Reihe an Kalauern und naheliegenden Koinzidenz-Witzchen auf den Plan. Ich schlage vor, wir hauen die schnell raus, dann haben wir sie aus dem Kopf: Haha, ein Clown, ein Zombie und Arbeits-Overalls - die sehen ja aus wie die kaputten Village People. Das drei mal Dreigestirn aus Iowa. Oder auch: Der 9er-Metal-Rat der Junksitzung. Slipknot Hel(l)au! Tätää. Danke. Zurück zum Thema. Die vorschnell unterstellte Eintönigkeit. Das widerlegen Slipknot in Düsseldorf schon, bevor sie nur einen Ton zum besten gegeben haben. Als Intro, bevor das Licht ausgeht, die Menge losjubelt und sich der rote Vorhang öffnet, spielen sie über die PA „Ashes To Ashes“ von und für David Bowie. Naheliegenderweise hätte man doch eher auf Motörhead getippt, als Ehrung für den anderen großen Verlust dieser Tage im jungen Jahr 2016, Lemmy Kilmister. Tja, das wäre eben zu naheliegend und zu einfach. Stattdessen Bowie. Und ein weiteres Mal überraschen Slipknot dann mit der Pausenmusik vor den Zugaben: „Hell“ von den zu Unrecht völlig unterschätzen Tiger Lillies aus London. Weiter weg von Slipknot mag einem zunächst keine Band erscheinen. Helene Fischer vielleicht. Aber, nein, wir sprachen ja von Musikern… Bowie und die Tiger Lillies. Bei fucking Slipknot. Toll. Chapeau! Was dann in den knapp zwei Stunden folgt, ist wunderbar zu erlebende visuell-akustische Hedonie, ein enthemmtes Fest für die Sinne, wenn auch ein schroffes, ins Extrem getriebenes. Lieder zwischen Liebe und Maden, zwischen Wut und Verwesung, die Themen amerikanischer Adoleszenz auf dem Lande, inszeniert von den neun Männern, die, wir haben’s mehrfach erwähnt, für den Auftritt natürlich wieder in ihr kleines, schwarzes, mumifiziertes geschlüpft sind. Wobei man, ketzerisch und bei aller Liebe, vier Leute locker weglassen könnte, ohne, dass man das wohl sofort merken würde. Die Kernband um Taylor mit den Gitarristen Jim Root und Mick Thomson, sowie dem Paul Gray-Nachfolger Alessandro Venturella am beleuchteten Bass und Jay Weinberg (übrigens Sohn von Max Weinberg, Bruce Springsteens E-Street-Band Drummer. Ob Papi wohl stolz ist?), der Joey Jordisons Platz am Schlagzeug übernommen hat, reichen vermutlich locker aus, um ihren Standpunkt deutlich zu vermitteln. Die Setlist enthält natürlich Songs des jüngsten Albums, „.5 The Gray Chapter“, anteilig ist aber „Iowa“ weit mehr vertreten. Das Album feiert 2016 sein 15. Jubiläum. Den Fans ist das mehr als recht. Zu erleben, wie das ganze ISS Ei den Text zu „Psychosocial“ inbrünstig mitsingt, ist schlicht beeindruckend, ohne zu einem peinlichen Bon-Jovi-Moment zu verkümmern. Kurz ist man sogar geneigt, zu glauben, dass in diesem Moment die Anerkennung von Corey Taylor echt ist. Sehr schön auch die bei jedem Konzert zelebrierte Hinhock-und-wieder-hochspringen-Aktion im Saal während des Songs „Spit It Out“. Zu allen Songs laufen auf der Riesen-Leinwand über dem Riesen-Schlagzeug Videos mit kunstvoll in Szene gesetzten Nahaufnahmen von Dingen, die man sich eigentlich nicht mal aus der Ferne anschauen möchte. Verstörend, faszinierend, wie ein Autounfall, auf den man mit Abscheu und Faszination zugleich starrt. Ähnlich ins Extrem geführte, oder darf man schon sagen pervertiert, sind die T-Shirt-Preise. Das angereiste Mitglied der „fucking family“ darf sich hier an Gewirk erfreuen, dass auch mal zwischen 50 und 70 Euro kosten darf. Egal, muss man ja nicht zugreifen. Was nehmen wir mit? Erinnerungen an einen „besonderen“ Abend, der eine „harte“ Erkenntnis liefert: Hört man sich erstmal durch die Masken und den vordergründigen Lärm hindurch, verbergen sich hinter der maskiert-verkrusteten harten Schale durchaus schöne Lieder mit teils anrührendem Kern. „Left behind“, "Dead Memories" etwa oder das erwähnte „Psychosocial“: Es wird höchste Zeit, dass die Spezialisten für derlei musikalische Detektiv- und Archäologie-Arbeit, die wunderbaren Hellsongs aus Schweden, sich dieser Songs auch einmal annehmen. Oder er hier, Isaac Birchall, hat das schon sehr gut angefangen: Und ansonsten, zum Reinkommen, erstmal die Originale:
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Der Popwart
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