Seit 35 Jahren beklagt er sich, dass es eigentlich keinen Spaß mehr macht. Die Reiz sei verflogen, verpufft, der Traum ausgeträumt: „The Thrill Is Gone“. So lautet der Titel des Lamento von 1970, mit dem sich der amerikanische Blues-Gitarrist und Sänger B.B. King seinen ersten internationalen Hit erarbeiten konnte. Geboren 1925 als Riley B. King in Indianola, Mississippi, hat es in seinem Leben immer viel Arbeit, nicht aber viele Hits gegeben. Der Vater verließ die Familie, als der kleine Riley gerade vier Jahre alt ist, die Mutter starb kaum fünf Jahre später. Als Pflücker und Traktorfahrer arbeitete er sich durch den Sumpf der Rassentrennung auf den Baumwollplantagen des Mississippi-Deltas. Das „B“ in seinem Namen gab ihm der Vater zwar ohne eine wirkliche Bedeutung, erzählt King in seiner Autobiographie, aber in seiner Kindheit riefen ihn eigentlich alle einfach nur „B“. Anfang der 1950er Jahre trampte er mit dem Traum, ein berühmter Blues-Musiker zu werden, nach Memphis und ergatterte dort einen Job als Radio-DJ. Er durfte seine heiß geliebten Blues-Platten auflegen und bekam sogar ein wenig Geld dafür. Die Leute nannten ihn mittlerweile den „Blues Boy“, bald nur noch „B.B.“ - dabei blieb es für mittlerweile über 50 Jahre. Immer bei ihm war schon damals seine Gitarre. Mit ihr verdiente sich B.B. seine Dollars, mal vor dem Radiomikrofon, mal auf einer Bordsteinkante in Memphis. Jede dieser Gitarren, an die er im Laufe seiner Karriere die Hände legte, trug dabei immer denselben Namen. Von den namenlosen Sperrholz-Klampfen der frühen Jahre bis zu den heute für ihn speziell angefertigten halbakustischen Gibson E-Gitarren mit dem typischen voluminösen Korpus, sie alle nannte er liebevoll „Lucille“. Diese Lucille war ursprünglich ein Mädchen, um die sich zwei Männer in einer Bar stritten und dabei ein Großfeuer auslösten. B.B. King rettete seine damalige 30 Dollar-Gitarre unter Einsatz seines Lebens aus den Flammen. Das war 1949 und sie wurde seine erste Lucille. 1952 nahm die Karriere von King einen entscheidenden Schritt. Sein „Three O’Clock Blues“ eroberte die Rhythm & Blues-Charts und trat für ihn eine Arbeits-Lawine los. Endlose Tourneen durch die USA, 340 Auftritte pro Jahr, Teilnahme an den großen Jazz- und Rockfestivals bestimmten den Alltag der folgenden Jahre. Und doch langte es nicht zum großen Durchbruch. Immer fühlte sich King als Außenseiter, an dem die populären Trends vorbeiliefen: „Den jungen Schwarzen war ich zu altmodisch, die weißen Musikexperten hielten mich für zu modern“. Bis sich 1970 endlich alle bei „The Thrill Is Gone“ einig waren. Zwei Hits in zwanzig Jahren, das ist nach allgemeinen Standards vielleicht keine allzu gute Bilanz. Für B.B. King spielt das heute keine Rolle mehr. Nicht nur Eric Clapton, John Lennon oder Keith Richards waren sich stets darin einig, dass Mr. Kings Gesang, sein voluminöser, runder Gitarrenton sowie das charakteristische Fingervibrato, das er buchstäblich aus dem Ärmel schüttelt, zum Maß der Dinge im Blues geworden ist. B.B. Kings Leben drehte sich immer um zwölf Takte und fünf Töne, aus denen sich das Universum seines Blues speist. Er selbst ist darin zu einem Gravitationszentrum geworden, auch im übertragenen Sinn. Denn der in den Jahren an körperlicher Masse und Geld sehr reich gewordene King hat sich nach mehr als 50 aufgenommenen LPs vom drahtigen Jungen zum millionenschweren Geschäftsmann entwickelt, der mit seinen Lizenzen für B.B.-King-Nachtclubs, B.B.-King-Barbecue-Soßen, B.B.-King-Salsa oder auch B.B.-King-Salatdressings genug Geld verdient, um bei Konzerten auch mal goldene Uhren ans Publikum zu verschenken. Heute wird B.B. King 80 Jahre alt. Happy „thrilling“ Birthday! – erschienen im September 2005 in der Westdeutschen Zeitung Düsseldorf
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In der Abenddämmerung des 15. September 1945 hat der amerikanische GI offensichtlich geglaubt, er sähe einen bewaffneten Schwarzhändler vor dem Haus im österreichischen Mittersill. Das Aufglimmen der Zigarre, die sich Anton Webern dort vor der Wohnung seines Schwiegersohns trotz Ausgangssperre gönnte, hat in tragischer Missdeutung der Situation schließlich dazu geführt, dass die US-Streife drei Schüsse auf den Komponisten abfeuerte, an denen dieser noch am Abend verstarb. Dabei ging von dem Komponist der Zweiten Wiener Schule doch höchstens eine Bedrohung der Hörgewohnheiten des übereifrigen Soldaten aus. Zum Gedenken an Weberns 60. Todestag präsentiert Mark-Andreas Schlingensiepen mit dem notabu.ensemble und der Sopranistin Anna Maria Pammer ein umfangreiches Programm aus Weberns Oevre im Robert-Schumann-Saal. Weberns Kompositionen, von denen er nur 31 mit einer Opus-Zahl versah, sind auf der Suche nach neuen Ausdrucksmitteln zunächst atonal komponiert, später folgte er seinem Lehrer Arnold Schönberg auf den Weg der Zwölftontechnik nach. Bemerkenswert ist die aufs dichteste gedrängte Kürze der Stücke. Alle 31 nacheinander gespielt würden nicht einmal drei Stunden in Anspruch nehmen. Die Liste der gespielten Stücke ist daher lang, viele Umbauten sorgen für lebhaftes Kommen und Gehen auf der Bühne. Das notabu.ensemble musiziert mit konstanter Hingabe die vielen ins Extrem getriebenen Kompositionsparameter, die Webern aufs Papier bannte. Sowohl das längste Werk, die „Passacaglia“ op. 1, mit rund zehn Minuten Dauer, als auch das Kürzeste, eines der „Fünf Orchesterstücke“ op. 5, das bereits nach sechs Takten und knapp 20 Sekunden verklingt, kommen zu Gehör. In den „Sechs Stücken für Orchester“ op. 6 ist es wiederum die größte Besetzung, die Webern je vorgesehen hat, dagegen zeigen die minimalistisch besetzten „Drei Lieder“ op. 18 die weitesten Intervallsprünge in der Gesangstimme. Zwischen den tonsetzerischen Polen zeigt Schlingensiepen aber auch den Kern der Webernschen Musik. Trotz aller logischen Strenge ist es immer individuelle Expressivität, nach der Weberns strebte. Zuweilen hat er sogar die Kompositionslogik etwas beschummelt, um den von ihm gewünschten Ausdruck besser zu erreichen. Anna Maria Pammer legt dieses drängende Suchen mit großem Nachdruck in ihre Interpretation der Liedkompositionen. Bewundernswert ihre Leistung, die klippenartigen Melodiegefälle sicher zu meistern. Die musikalischen Rechenspiele und thematischen Knobeleien des „Quartett“ op. 22 und des „Konzert für neun Instrumente“ op. 24 machten Webern später zum Star der seriellen Avantgarde in den 1950er Jahren. Doch für ihn, der trotz aller künstlerischer Anfeindungen und späterer Isolation stets an seinen Klangidealen festhielt, kam der Ruhm zu spät. – erschienen im September 2005 in der Westdeutschen Zeitung Düsseldorf Große Gemälde schmücken die Bühne des Zakk für den Auftritt von Jürgen Becker, der mit seinem Programm „Da wissen Sie mehr als ich“ das Publikum in die Geheimnisse des rheinischen Kapitalismus einweihen möchte. Ganz links, im großen goldenen Prunkrahmen, ist in barocker Überhöhung zu sehen, wie Adam mit dramatisch bewegter Geste Eva davon abzuhalten versucht, den Apfel vom Baum der Erkenntnis zu pflücken. Vergeblich, wie wir wissen. Jürgen Becker weiß eigentlich auch, dass er als Kölner in Düsseldorf eine ziemlich verbotene Frucht des Kabaretts personifiziert. Doch bekennt er sich freimütig zu dieser Art des rheinischen Sündenfalls. Ja, er komme sogar gern nach Düsseldorf, immerhin sei er hier immer gut behandelt worden. Der ausverkaufte Saal zeugt überdies davon, dass es auch genügend Düsseldorfer gibt, die den Nervenkitzel des Verbotenen und Sündhaften suchen. Zumal der Becker-Apfel immerhin ein wenig Erkenntnis verheißt, auch wenn er sich im Programmtitel noch so bescheiden gibt. Bevor es allerdings zum eigentlichen Thema des Abends kommt, jenem nebulös betitelten rheinischen Kapitalismus, teilt der kölsche Komiker erst einmal kräftig in Richtung Adam und Eva der Gegenwart aus. Mit Breitseiten gegen Gerhard und Angela, die sich gegenseitig aus dem bundesrepublikanischen Paradies vertreiben wollen, redet sich Becker in Vorwahl-Stimmung. Dabei lässt er natürlich auch die anderen Teilnehmer der jüngsten Elefantenrunden nicht aus. Ohne ein Blatt vor den Mund zu nehmen, verteilt er Schelte an „liberale Pfeifen“, regt sich über wegretuschierte Merkel-Mundwinkel auf, die beim Namen Merz „direkt wieder Herpes kriegen würden“ und sinniert, ob Paul Kirchhof nicht von Schröder selbst in die CDU eingeschleust wurde, „zur Zerstörung von innen“. Von Stichwort zu Stichwort schwadroniert Becker mittels waghalsiger Wortspielereien (Martin Luther sei etwa Erfinder des „95 Tesa-Films“) und verdrehter Eselsbrücken (in der Schweiz gehe man sofort „in medias rolex“, daher die vielen Uhrmacher). Mit Einwürfen des von ihm so verehrten Konrad Adenauer, Beckers Sinnbild rheinischer Vor- und Frühgeschichte, schlägt er den kabarettistischen Bogen über Kirche, Politik und Wissenschaft, wühlt im Sündenpfuhl des Mittelalters, aus dem er wortreich die Stützpfeiler des heutigen Wirtschaftslebens destilliert, und landet schließlich doch wieder im Rheinland, wo man die Umsetzung dieser Prinzipien vollendet beobachten könne. Kern des rheinischen Kapitalismus sei schließlich ein gehöriges Maß an Mystizismus. Nirgendwo sonst könne man so viele Menschen sagen hören: „Ja, da mystisch mich mal drum kümmern.“ – erschienen im September 2005 in der Westdeutschen Zeitung Düsseldorf Viel kann man nicht sehen von ihm. Versteckt hinter einem großen Flügel sitzt Luciano Pavarotti hinter einer Trutzburg aus Klavierlack und riesigem Blumengesteck, die ihn vor den Blicken des Publikums schützt. Lediglich ab Brusthöhe ist Pavarotti sichtbar, vor ihm seine Notenblätter, ein paar Getränke. Hemdsärmelig, mit offenem Kragen und buntem Tuch um die Schultern thront er da auf der Bühne und wirkt doch wie seine eigene Requisite. Es ist kein schöner Anblick. Der einst so große Tenor sieht müde aus und noch nicht erholt von den letzten gesundheitlichen Anstrengungen. Vor ihm sitzt sein Publikum, das die Messehalle 8 voll besetzt hat und diesem Abend der großen und angeblich endgültigen Abschiedstournee „A Night To Remember“ mit großen Erwartungen entgegen sieht. Doch es ist kein großer Auftritt mehr, den Pavarotti sich und seinen Gästen bieten kann. Kein Spannungssteigerndes Vorspiel, keine musikalische Ankündigung, keine großen Gesten. Kurz nach 20.00 Uhr gehen einfach die Lichter aus, der Vorhang öffnet sich und alle Akteure befinden sich bereits an ihrem Platz. Die Hände zur kollektiven Umarmung halb gehoben, begrüßt Luciano Pavarotti milde lächelnd seine Fans. Das ist alles. Es ist, als ob man den Fernseher einschaltet. Das Programm beginnt mit Arien von Tosti und Bellini, am Flügel begleitet von Pianist und Dirigent Leone Magiera. Die feine belcanto-Kost, die kaum jemand so verinnerlicht hat, wie einst Pavarotti, offenbart schnell, wie es um die Stimme des knapp 70-Jährigen steht. Sein Gesangsbild hat Risse bekommen, sein Glanz ist matt und die Strahlkraft blass geworden. Erinnerungen an die Zeiten des „himmlischen Luciano“ werden überdeckt von Phrasen, die zum Ende seltsam kraftlos klingen, von angestrengt gedrückten Höhen, bei denen ihm die Luft ausgeht und er nahe ans Mikrofon heran muss, um die Lautstärke zu halten. Offensichtlich sehr um die Kontrolle seiner Stimme bemüht, ist es da auch keine Hilfe, gegen die beharrlich summende Hallenbelüftung ansingen zu müssen. Im piano muss er kämpfen, dass ihm tiefe Töne nicht einfach wegbrechen. Seine Partnerin, Simona Todaro, singt dagegen ohne Mühe, ihr weicher Sopran hat einen angenehm tiefen Stimmsitz, voller Elastizität und Reife. Im eingeschobenen Duett „Ave Maria“ zum Gedenken des 11. September singt sie ihn aus, Big Lou bleibt nur so lala. Per Videoleinwand wird das Pavarotti-TV auch in die hintersten Reihen der Halle gebracht, vom Orchester, das für den zweiten Teil des Konzerts hinzutritt, hört man aus den Boxen allerdings nur Violinen und hohe Bläser. Fast unbeweglich in Gestik und Mimik verteilt der malade Chanteur seine verbliebene Kraft auf die forte-Anstrengungen der großen Verismo-Arien von Puccini, Mascagni und Leoncavallo. Richtigen Jubel kann er aber erst mit der Zugabe „O Sole Mio“ entfachen. Nach insgesamt drei Beigaben verschwindet Luciano Pavarotti wieder ganz unspektakulär hinter dem sich schließenden Vorhang. Ein schmerzlicher Abschied. – erschienen im September 2005 in der Westdeutschen Zeitung Düsseldorf „Es wächst wohl ansonsten einfach zuviel Schrott nach“ Ein selbstbewusster Vander erklärt so die Ehrung seiner Band kiesgroup mit dem diesjährigen Förderpreis für Rock und Pop der Stadt Düsseldorf. Der Sänger mit dem alten flämischen Adelsnamen – sein Ausweis ist eigentlich auf Andreas Hubert van der Wingen ausgestellt – findet ad hoc keine andere Erklärung für die Auswahl der Preisverleiher. „Letztes Jahr waren wir schon einmal nominiert, aber geklappt hat es erst dieses Mal“, ergänzt Maximilian „Max“ Stamm, Gitarrist, Cappi-Träger und Produzent der kiesgroup. Womit wir bei der zweiten großen Frage wären: Warum wählt man bloß einen solchen Band-Namen? Ist es eine klangspielerische Hommage an „Kies“ Richards, den ewig rollenden Kieselstein, oder ist es die in ein Wort gepresste Anstrengung des Musiker-Alltags, unter all den gewöhnlichen Klang-Steinchen endlich ein güldenes Nugget hervor zu buddeln. Vander enttäuscht auch derlei Fantastereien: „Zunächst ist es einfach der Wortwitz, der uns gefiel. Außerdem sind wir eine Group und haben jetzt durch den Preis auch endlich etwas Kies.“ Bei einer Tasse Kaffee an der Stehbar in Max Stamms Bilker „Wild Wood Studio“, eingekeilt zwischen alten Verstärkern, Computern und kostbarer 70er Jahre Reliquien wie einem signierten Poster von Christian Anders, erklärt Max den Produktionsprozess der kiesgroup-Songs: „Vander und ich schreiben die Texte und die Musik. Wir holen uns dann eine Backingband mit Gitarre, Bass, Schlagzeug, Klavier und sogar eine Flötistin dazu. Mit denen spielen wir dann die Songs hier im Studio ein.“ Auf diese Weise sind in den ehemaligen Räumen einer Branntweinfabrik bereits die EP „Und Überhaupt“, die erste CD „dativ boys“ sowie natürlich auch der jüngste Streich "Gladbach oder Hastings" entstanden. In die Läden kommt die neue Platte allerdings erst im kommenden Februar. Zu Hören bekommt man darauf, wie Vander und Max froh gelaunt durch poppige Gitarrenmusik schlendern und lockere Referenzen der psychedelischen 60er, rotzigen 80er und elektronischen 90er um die wippenden Füße spielen lassen. Sie selbst würden ihre Musik zwischen Punkchansons und jazzigem Pop einordnen, mit skurrilen Texten über Liebe, Politik und Krankheiten, in denen auch Staubsauger-Soli durchaus ihren Platz finden können. Gegründet wurde kiesgroup 1999 nach 10-jähriger Pause als multilinguales und polystilistisches Musikprojekt. Zuvor hatten Vander und Max Stamm bereits gemeinsam in Vorgängerbands wie Stunde X oder Tainted Children gespielt. Neben der Arbeit für kiesgroup produziert Max Stamm unter anderem die Bands Mouse on Mars, Soul’s Off Fire, Angelika Express und Stereolab. Er restauriert darüber hinaus alte analoge Tonbänder, für die er eine antiquarische Sammlung entsprechender Bandmaschinen bereithält. Für Plattenfirmen und Privatleute hat er bereits alte Schätze von Can oder Blue Cheer wieder zum Leben erwecken können. Für die Zukunft steht für Vander unbedingt noch ein kiesgroup-Film auf dem Plan, für ihn eine echte Herzensangelegenheit mit 111 Minuten Lauflänge. Höchstens die Chance auf eine Teilnahme am Grand Prix würde ihn diesen Traum noch aufgeben lassen, bekennt er mit schiefem Blick auf den gerahmtem Christian Anders an der Wand. – erschienen im September 2005 in der Westdeutschen Zeitung Düsseldorf Sie gehört neben Marianne Faithfull, Janis Joplin oder Nico sicherlich zu den Grandes Dames der Rockmusik. In den 70ern zur Rebellin ernannt und zum alternativen Sexsymbol gestempelt, schockierte sie gern und oft mit freizügigen Reden über Selbstbefriedigung und dem Bekenntnis, sich nach einem guten Konzert auch schon mal einzunässen. Patti Smith, US-amerikanische Songschreiberin und Rockpoetin, struppige Schönheit mit zerfurchtem Gesicht, ist längst eine charismatische Göttin mit einem Faible fürs Ordinäre. Im Rahmen der Eröffnungsfeier der diesjährigen RuhrTriennale findet sich die 58-Jährige in der Bochumer Jahrhunderthalle ein, um eines ihrer raren Konzerte zu geben. Rund um die Halle herrscht im Vorfeld des Konzerts Volksfeststimmung. Die pittoresk angelegte Eröffnungsfeier ist im vollen Gange, überall tummeln sich Menschen an den großen und kleinen Veranstaltungsorten. Zwischen Fressbuden und Bierständen unterrichten Festival-Intendant Jürgen Flimm und Gastmoderator Alfred Biolek im Fach „Applaus“, der Kabarettist Richard Rogler giftet unterm Zirkuszelt gegen die politische Grande Dame Angela Merkel und das ChorWerk Ruhr schickt Vokales von Johannes Brahms ins Vestibül der Jahrhunderthalle. Pünktlichkeit mag zwar nicht rebellisch sein, ist aber wichtig für’s Fernsehen, schließlich ist das öffentlich-rechtliche TV live beim Konzert dabei. Also schreitet die Smith pünktlich um 22 Uhr gemessenen Schrittes auf die Bühne, um den Applaus der ausverkauften Halle in Empfang zu nehmen, sich die akustische Gitarre umhängen zu lassen und eine beschwörend-rituelle Initiation in D-Dur anzustimmen. Begleitet wird sie von ihren beiden alten Weggefährten Lenny Kaye (Gitarre) und dem Schwerstarbeit leistenden Jay Dee Daugherty (Schlagzeug) sowie Tony Shanahan (Bass, Keyboard). Sobald Patti Smith ans Mikrofon tritt, wird sofort ihr morbider Reiz aktiv. Mit rauer Stimme und brüchigem Vibrato-Schmelz singt sie von Mozarts unbekanntem Grab und verklärten Selbstmorden, später röhrt, flucht und lärmt sie, dass es eine helle Freude ist. Die vor der Bühne postierten Fotografen verscheucht sie mit einer lapidaren Handbewegung und schlabbernden Manschetten, in der sich die ganze lässige Überheblichkeit der Patti Smith wie in einem Brennglas fokussiert wiederfindet. Da ist sie wieder, die Göttin. Zwischendurch, wenn es richtig laut und rockig wird, wenn die schreiende Patti über die Bühne tobt und die Gitarrenakkorde aus ihrem Instrument herausprügelt, rotzt sie auch gern mal herzhaft in Richtung der ersten Reihen. Da ist sie wieder, die Ordinäre. Für die Coverversion von „Sea of Love“, geschrieben von Rhythm & Blues-Komponist Phil Phillips, greift Patti Smith sogar zur Oboe. Doch leider ruinieren die Musiker das Stück unter ihren Händen beinahe zur Gänze. Die Oboe ist nicht passend zur Band eingestimmt, aus dem eigentlich geplanten Holzbläser-Solo wird nur ein quiekendes, kakophones Gebläse. Augenzwinkernd bestätigt Mrs Smith hinterher, dass man dieses eigentlich schöne Stück nun gerade komplett zerlegt habe. Es soll der einzige Ausrutscher in den gut 100 Minuten des Konzerts bleiben. Das karriereübergreifende Programm präsentiert genauso Stücke von der 75er LP „Horses“ wie aus dem aktuellen Album „Trampin’“. Natürlich fehlen auch die Erfolgskatapulte „Because the Night“, „Dancing Barefoot“ (hier gesellt sich Patti Smith zu ihren tanzenden Fans vor die Bühne) oder das in einer sensationellen Version gespielte „Redondo Beach“ nicht. Das Publikum schafft es, mit viel Jubel noch drei Zugaben herauszukitzeln, danach ist Schluss. Chapeau, Madame! – erschienen im August 2005 in der Westdeutschen Zeitung Düsseldorf WZ: Herr Schneider, freuen Sie sich auf Ihren 50. Geburtstag? Helge Schneider: Ach ja, eigentlich schon, aber wahrscheinlich habe ich am Tag vorher wieder jede Menge Arbeit. Mal sehen, hoffentlich bin ich dann nicht zu kaputt zum Feiern. WZ: Wie feiern Sie denn diesen runden Geburtstag? Schneider: Ich bin immer zuhause, wenn ich Geburtstag habe. Da muss ich nicht arbeiten und es kommen dann immer ein paar Leute vorbei und wollen mich besuchen. Obwohl ich ja keine Einladungen schreibe. WZ: Wer kommt denn da so unangemeldet? Schneider: Och, meine Schwester, die Familie, Freunde... WZ: Sind Sie ein typischer 50-Jähriger? Schneider: Kann ich nicht sagen, ich weiß gar nicht, wie ein typischer 50-Jähriger aussieht. Ich glaube aber eher nicht, dass ich einer bin. WZ: Wie sehen denn typische 50-Jährige für Sie aus? Schneider: 20 Jahre älter, würde ich mal sagen. WZ: Wie könnte man Ihnen zum 50. Geburtstag noch eine Freude machen? Haben Sie nicht längst alles erreicht? Schneider: Nee, mit allem Möglichen kann man mir noch eine Freude machen, ich freue mich über Vieles. Aber ich hab da eigentlich keinen besonderen Wunsch. Muss ja auch nichts Großes sein, es reichen ganz einfache Sachen. Jetzt zum Beispiel würde ich mich schon über ein richtig leckeres Essen freuen. WZ: Denken Sie am 50. Geburtstag schon an die Rente? Schneider: Ich denke schon an die Rente, seitdem ich mit 14 die Schule verlassen habe. Neulich habe ich so einen Brief von der Rentenanstalt bekommen, da stand, dass ich ungefähr 370 Euro im Monat kriege. Das ist ja besser als 360 Euro. WZ: In Ihrer Autobiografie schreiben Sie, Sie wollen so sein wie die Opas, die bei Eduscho Kaffee trinken. Ihnen imponiere deren Souveränität. Fühlen Sie sich heute mit 50 souverän? Schneider: Wissen Sie, ich habe heute noch viel Kontakt zu alten Leuten. Ja, ich glaube, ich bin etwas souveräner geworden, auch gelassener. Souverän heißt für mich, dass man sich manchmal mehr in Ruhestellung befindet. Obwohl ich mich immer noch ganz schön über alles und nix aufregen kann. WZ: Was macht denn Helge Schneider mit 60? Schneider: Oh, das ist ja schon bald, muss ich da feststellen. Tja, ich denke, da werde ich immer noch auf der Bühne stehen und spielen. WZ: Nicht als Opa im Eduscho stehen? Schneider: Nee. Der Kaffee da schmeckt mir nicht. Ich mag diesen Maschinenkaffee nicht mehr. Ich trinke nur noch zuhause Kaffee, den ich mir selber mache. WZ: Der WDR hat zu Ihrem Geburtstag einen Film über Sie gedreht. Finden Sie den gut? Schneider: Ja, kann man sich angucken. Ist informativ und gibt so ein Bild von mir wieder. Der Titel „Mister Katzeklo“ war übrigens meine Idee. WZ: Ärgert es Sie nicht, dass manche Leute von Ihnen nur Katzeklo kennen und sonst nichts? Schneider: Nein, überhaupt nicht. Ist nun einmal so. Da stehe ich zu. WZ: Was haben Sie noch für Pläne? Schneider: Bis lange ins nächste Jahr hinein habe ich erstmal überhaupt keine Zeit vor lauter Arbeit. Und dann muss ich vielleicht mal ein bisschen Pause machen. Oder Urlaub, dann aber länger. – erschienen im August 2005 in der Westdeutschen Zeitung Düsseldorf Nun ja, das Pseudonym war einfach zu erraten: El Snyder & Charlie McWhite ist für Fans des Mühlheimer Komikers und Musik-Clowns Helge Schneider ein klare Sache. Dahinter verbirgt sich eine kleine Zwei-Personen-Band mit Schneider an der Hammond-Orgel und dem Schlagzeuger Charlie Weiss. Zusammen treten die beiden beim Abschlusskonzert der diesjährigen Jazz- und Weltmusikreihe im Hofgarten auf, wobei sie sogar ein Jubiläum feiern können. Vor gut 27 Jahren haben El Snyder & Charlie McWhite bereits an besagtem Ort ein Konzert gegeben, damals natürlich noch weitgehend unbekannt, von Erfolgen wie „Katzeklo“ und Konsorten konnte Helge Schneider nur träumen. Entsprechend großen Zuspruch erfährt der 49-jährige Schneider diesmal von seinen zahlreich erschienen Fans. Die vor der Bühne platzierten Stühle reichen bei weitem nicht aus, mehrere Reihen an Stehplätzen beziehen dahinter Stellung. Gemächlich schlendern der im ollen Blaumann und roten Socken steckende Schneider und sein alter Kompagnon Weiss (er ist mit buntem Hawaiihemd, Schirmmütze und weißem Sakko ausgerüstet) zu ihren Instrumenten, um sich mit betörend schreiender Orgel und schepperndem Schlagzeug durch knappe 45 Minuten mit Jazz und freier Improvisationen zu spielen. Das vermutlich ad hoc entstandene Programm schaut bei alten Standards wie „Take the A-Train“ vorbei, schlittert unversehens in einige Takte des Gainsbourg-Klassikers „Je t’aime“ und landet schließlich auch noch bei der alten Rock-Hymne „In A Gadda-Da-Vida“ von Iron Butterfly, inklusive geröcheltem Gesang von Helge Schneider. Wer mit kopflastigen Jazz-Standards nichts anzufangen weiß, für den haben Helge und Charlie auch noch einen optischen Sinnesgenuss im Gepäck. Sergej Gleithmann, Halbglatzen- und Vollbartträger, hopst zwischendurch als anarchischer Augenschmaus im senfgelben Nicki-Overall über die Bühne und praktiziert eine sehr ungewöhnliche Form des Ausdruckstanzes. Einem Auftritt mit soviel musikalischem Spaß und alberner Ausgelassenheit zu folgen, ist für die zweite Band des Tages, Capitão Futuro, eine sehr schwere Aufgabe. Unter der Anleitung des Kölner Perkussions-Dozenten Alfonso Garrido präsentieren die zehn internationalen Musiker ihre Interpretationen brasilianischer Musik. Von funky und jazzig bis hin zu Bossa nova und regionalen Stilrichtungen führen sie die klangliche Bandbreite vor Ohren, bleiben aber im Schatten von Helge. – erschienen im August 2005 in der Westdeutschen Zeitung Düsseldorf Ein ungewöhnlicher Ort für ungewöhnliche Musik ist die Bunkerkirche St. Sakrament in Heerdt. Das geschichtsträchtige Gebäude ist Schau- und Hörplatz für ein engagiertes Kunsterlebnis mit zeitgenössischer Musik und großformatigen Gemälden, welches mit einem Pontifikalamt am Vorabend des Weltjugendtages zelebriert wird. In der voll besetzten Kirche sind die vielen roten Jacken der „Volunteers“, der freiwilligen Helfer beim Weltjugendtag, kaum zu übersehen. Rund ein Drittel der Stuhlreichen ist von den jungen Leuten besetzt. An den sonst nüchternen weißen Wänden der Bunkerkirche hängen riesige, leuchtend bunte und abstrakte Tableaus des Künstlers Uwe Appold, die als fünfteiliger Zyklus die einzelnen Teile der heiligen Messe illustrieren. Der Wiener Thomas Daniel Schlee hat für diesen Anlass seine „Missa“ op. 61 komponiert, die hier ihre Uraufführung feiert. Schlees Werk hält sich an die vorgegebene Abfolge der tradierten Messe-Teile, vertont aber Texte sowohl aus dem Ordinarium Missae als auch von der Heiligen Edith Stein. Bereits im Kyrie, gleichsam als Introitus verwendet, singt der Solo-Bariton (Benno Remling) Worte von Edith Stein über Orgel (Iris Rieg) und Chor (Sängerinnen und Sänger des Vocalensembles Ars Cantandi sowie der Chor des Kath. Kantorenkonvents Düsseldorf), der in kurzer ostinater Motivik das Kyrie eleison intoniert. Der insistierende und strenge Charakter dieser Musik wird unterstrichen durch den Einsatz einer Marschtrommel (Tobias Liebezeit), deren anschwellende Wirbel laut durch den Saal rauschen. Das Gloria und später auch das Credo klingen mit hinzutretender Trompete (Thomas Gerstel), Posaune (Thomas Brand) und weiterem Schlagwerk (Glockenspiele, große Trommel) weit freudiger, wenn auch Melodik und Rhythmik für viele schwer fasslich bleiben. Bischof Dr. Friedhelm Hofmann aus Würzburg, der die Messe feiert, würdigt an Schlees Musik die „Fülle an Neuem und Ungewohntem“ die zwar eine Herausforderung sei, aber das Hörerlebnis aus der Belanglosigkeit des Alltags enthebe. Im Antiphon klingt Bariton Remling in der Tiefe etwas beengt, der von Regionalkantor Odilo Klasen geleitete Chor zeigt im melismatisch geführten Halleluja schöne Stimmsicherheit. Sanctus und Agnus Dei sind feierlich angelegt, das Postludium schließt mit sehr breitem Adagio, welches die Segnungsformel melodisch weiterführt und die Besucher würdevoll aus der Messe entlässt. – erschienen im August 2005 in der Westdeutschen Zeitung Düsseldorf Bei kaltem Licht betrachtet, ist es ja völlig altmodische Musik, die der Gitarrist und Sänger Brian Setzer auf der Bühne des ausverkauften Kölner E-Werks präsentiert. Rockabilly der ganz alten Schule spielt der 46-jährige Amerikaner im funkelnden rot-schwarzen Flammen-Anzug und er ist erfolgreich damit wie selten zuvor. Bis in die Top 20 hat es sein aktuelles Album “Rockabilly Riot! Vol. 1: A Tribute To Sun Records” bereits in Deutschland gebracht. Darauf feiert er die Helden des legendären Sun-Plattenstudios, die ihre größten Tage hatten, als man hierzulande noch mit drei Programmen und ohne Farbe im TV auskam: Carl Perkins, Jerry Lee Lewis, natürlich Elvis und viele mehr. Sun Records, das löst bei den Anhängern von Petticoat und Pomade einen ähnlichen Schauer der Ehrfurcht aus wie für Klassik-Freunde die legendären Langspielplatten mit dem Hund vorm Grammophon. In den langen Jahren, während der sich Setzer viele Verdienste um die Musikkultur des frühen Rock’n’Roll erworben hat, ist die einstmalige Tanzkeller-Musik durchaus lauter und verzerrter geworden, die Kleidung schriller, die Koteletten länger und die Haartollen höher, aber das Flair der frühen Jahre bleibt greifbar. Mit seiner Begleitband, den „Nashvillains“ (Buddy Holly-Doppelgänger Bernie Dresel am Schlagzeug; Kevin McKendree an Klavier und Gitarre sowie Ronnie Crutcher am Slap Bass) zelebriert er auf der Bühne ein Programm mit den Archiv-Schätzen der Sun-Studios sowie seinen eigenen Hits, die er als Frontmann der Stray Cats und dem Brian Setzer Orchestra schrieb. Kracher wie "Red hot", "Peroxide blonde"und "Cat clothes" werden von den Fans ebenso bejubelt wie der „Stray Cat Strut“ oder „Sleepwalk“. Setzers Fans halten indes nicht nur den Wirtschaftzweig der Frisiercremes am Leben, sie sind bemerkenswert gemischt. Neben dem reich tätowierten Neo-Ted knapp unter 30 stehen Synkopen-süchtige Senioren, die zusammen ausgelassen feiern. Höhepunkte des Abends markieren Ronnie Crutcher in „Fishnet Stockings“ mit seinem spektakulären Solo am Schlagbass, dem er mit seinen bandagierten Fingern ordentlich die Saiten versohlt, und Setzer selbst mit einer jazzig-feinen Instrumental-Version von „Blue Moon“. Hier kann der Instrumentalist Brian Setzer glänzen und seine Gretsch-Gitarre, die er zwischendurch witzigerweise einfach so in alten Blech-Kübeln abstellt, in überaus warmem Licht erstrahlen lassen. – erschienen im Juli 2005 in der Westdeutschen Zeitung Düsseldorf |
Der Popwart
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