Peter Weiss, Jahrgang 1949, ist im Hauptberuf Schlagzeuger im Engstfeld/Weiss Quartett, das er vor über dreißig Jahren mit dem Tenorsaxofonisten Wolfgang Engstfeld gründete. 1978 begann er, die Jazz- und Weltmusikkonzerte im Hofgarten zu organisieren. Darüber hinaus war er Mitbegründer der Düsseldorfer Jazzschmiede und zeitweise Betreuer der Jazz-Rallye. Seit einigen Jahren werden die Konzerte im Hofgarten sehr erfolgreich gemeinsam mit dem Eine-Welt-Forum e.V. veranstaltet. Im Herbst geht Peter Weiss mit dem Engstfeld/Weiss Quartett auf Tournee. Im Düsseldorf wird er im Frühjahr zu hören sein. WZ: Herr Weiss, wie lange gibt es die Hofgartenkonzerte mittlerweile schon? Peter Weiss: Das hat angefangen 1978, da haben wir mit einigen Leuten einen Verein gegründet, die „Interessengemeinschaft kreativer Musiker Düsseldorfs“. Wir wollten damals den modernen Jazz aus den Kellerräumen nach draußen bringen und einen unverkopften Zugang zu dieser Musik ermöglichen. Uns schwebte so eine Atmosphäre wie die alten Open Air Konzerte in London, Amsterdam oder Kopenhagen vor. 1995 haben wir dann das Lokal Jazzschmiede eröffnet, da feiern wir gerade unser 10-Jähriges, und einen zweiten Verein gegründet, den „Jazz in Düsseldorf“. Der erste war zu diesem Zeitpunkt ein bisschen eingeschlafen und da hat dann der neue einfach die Funktionen des alten übernommen. Ja, und jetzt sind wir schon im 27. Jahr. WZ: Welche Rolle spielt das „Eine Welt Forum“? Weiss: Durch die Arbeit in den Vereinen haben wir Zugang zu vielen Instituten wie etwa das französische oder polnische Institut und eben auch zum „Eine Welt Forum“. Da kamen wir dann auf die Idee, unsere Geldtöpfe zusammenzulegen, um ein attraktiveres Programm zu gestalten und gute Werbung für die Eine-Welt-Arbeit machen zu können. Daher kam dann auch der Untertitel „Jazz und Weltmusik“ für die Konzerte. Die stark steigenden Besucherzahlen der letzten Jahre zeigen uns, dass dies wohl eine gute Idee war. WZ: Wie kommen die Kontakte zu den Musikern zustande? Weiss: Naja, allein durch meine langjährige Arbeit als Musiker kenne ich eine Menge Leute, die wiederum viele Kontakte haben. Außerdem schaue ich, wer ohnehin gerade unterwegs und in der Nähe ist. Nicht zuletzt haben wir dann auch eine ganze Reihe von Bewerbungen vorliegen, sodass schon eine gewisse Auswahl an Programmpunkten besteht. WZ: Schwärmen Sie doch mal von den diesjährigen Gästen. Weiss: Wie immer sind die Hofgartenkonzerte ein wichtiger Farbtupfer in der hiesigen Kulturlandschaft. Wir liegen zeitlich wieder zwischen Jazz-Rallye und Altstadtherbst und bieten einfach hochklassiges Programm. Joe Zawinul ist einer der ganz Großen im Jazz, wir sind stolz, dass er kommt. Aus der Region haben wir das Philipp Endert Trio, daneben kommen aus China Wu Wei und aus der Ukraine Without Ground, alles erstklassige Leute. Un Tango Más und Capitano Futuro machen südamerikanische Musik. Und dann kommen noch El Snyder und Charlie MacWhite, ein tolles Orgel-Schlagzeug-Duo, die ich seit Jahren kenne und schätze. WZ: Wo sehen Sie denn die Hofgartenkonzerte in fünf oder 10 Jahren? Immer noch auf der grünen Wiese? Weiss: Wir halten das Ganze absichtlich ganz unkommerziell und ermutigen die Leute, sich selbst ihren Picknickstuhl etc. mitzubringen. Je nach Interessenslage kann man dann näher an die Bühne heran oder weiter hinten sitzen. Wir wollen es uns allen so unverkrampft und nett wie möglich machen. Keine Eintrittspreise oder Absperrungen, alles ganz natürlich. Wir brauchen auch keinen Bierstand oder so etwas, es reicht, wenn sich jeder selbst vergnügt und verpflegt. – erschienen im Juli 2005 in der Westdeutschen Zeitung Düsseldorf
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Seit gut 35 Jahren singt uns Hermann van Veen mit seiner eigentümlichen Tenor-Stimme schon ins Gewissen. Noch dazu ist er am 14. März 60 Jahre alt geworden. Höchste Zeit also, dem Niederländer eine Ehrung zuteil werden zu lassen. Doch das Festkonzert zu seinem 60. in der Philharmonie Essen veranstaltet van Veen selbst. Auch das obligatorische Geburtstagsständchen muss er dem Publikum im fast ausverkauften Saal erst während eines vorgetäuschten Handy-Gesprächs abluchsen. Wenn man sich eben nicht um alles selber kümmert. Überhaupt kein Geschenk haben ihm die Soundtechniker gemacht. Die Wiedergabe der vielen talentierten Stimmen und Instrumente auf der Bühne machen brummende Rückkopplungen und dumpf dröhnender Klang unter sich aus. Neben Tänzerinnen und seiner 12-köpfigen Begleitband, in denen natürlich die altgedienten Recken wie Harry Sacksioni (Gitarre) und Erik van der Wurff (Klavier, Bass) nicht fehlen dürfen, treten während der gut dreieinhalb Stunden auch van Veens treue Wegbegleiter Klaus Hoffmann, Heinz Rudolf Kunze und der ganz in weiß gewandete Sunnyboy Reinhard Mey auf. Mey, mittlerweile selbst schon 63 Jahre alt, stiehlt dabei dem Jubilar beinah die Schau, als er seinen Abschiedsgruß „Gute Nacht Freunde“ auf Niederländisch anstimmt. Weitere Gäste sind die höchst beeindruckende Gitarristin Edith Leerkes, die Sängerinnen Lori Spee und Karin Hougaard sowie van Veens Tochter Anne. Das Älterwerden ist Herman van Veen gut bekommen, er ist endlich in der Rolle des netten Opas angekommen, der mit seinen unzähligen Geschichten ohne Mühe einen ganzen Abend lang unterhalten kann. Hier und da streift er mit treuherzigem Blick die Grenze zu etwas traniger Betroffenheit, das war aber zu erwarten und gehört nun mal dazu. Höchstleistungen bringt er nicht mit seinen vielen freudig begrüßten Liedern wie „Ich hab ein zärtliches Gefühl“ oder „Später“, sondern mit seinen schelmischen Texten. Etwa die Geschichte des gottfürchtigen kleinen Hermann, der im Flüsterton seine kindliche Angst vor seinem Schöpfer schildert. Da Gott natürlich immer alles sah und wusste, glaubte er, Gott müsse überall Augen haben. Mit Betonung auf Überall, selbst an Stellen, die eigentlich für alles andere als das Sehen gedacht sind. In kleinen katholischen Gemeinden in Deutschland hat er diese Geschichte übrigens nie erzählt, gesteht er. Da zwickt ihn wohl doch sein schlechtes Gewissen. – erschienen im Juli 2005 in der Westdeutschen Zeitung Düsseldorf „Sie werden mich schon erkennen, an mir ist ja nicht viel dran mit meinen 1,63.“ So bescheiden verabredet sich ein Mann zu einem Interview aus Anlass seines Abschieds von der Rheinoper, an der er 32 Jahren lang als Charaktertenor gewirkt hat. Seit 1973 sang er hier als festes Ensemblemitglied, am 4. Juli 2005 hat er seine letzte reguläre Vorstellung als Dr. Blind in der Fledermaus gegeben. Ganz nebenher ist er während seiner Karriere noch zu einem der wichtigsten Wagner-Interpreten geworden, hat mit Namen wie Boulez, Sawallisch, Solti, Kupfer, Alden und Chérau gearbeitet, ist an der New Yorker "Met", der Staatsoper München, den Opern in Paris und San Francisco sowie am Grünen Hügel in Bayreuth aufgetreten. Nach so einer Karriere sind es nicht mehr bloß 163 Zentimeter, an denen man Kammersänger Helmut Pampuch erkennt, es ist seine individuelle Präsenz, die er in den Raum trägt. Bei aller ihm eigenen Bescheidenheit kommt man nicht umhin, seinem Auftreten eine besondere Außenwirkung zu attestieren. Es wäre ja auch noch schöner, wenn es nicht so wäre, schließlich hat sich Helmut Pampuch seinen internationalen Ruf gerade auch wegen seiner herausragenden mimischen Fähigkeiten erworben. Womit bereits eines der wichtigsten Stichworte zu Helmut Pampuch gegeben ist: Der Mime. Sowohl auf die Frage seiner ihm liebsten Rolle als auch während seiner Erzählungen nennt er den Nibelungen-Zwerg immer wieder. Insgesamt fällt der Name des Siegfried-Mimen 42 Mal. Aber es war ein weiter Weg von Pampuchs Geburtsort Großmahlendorf in Schlesien bis zum internationalen Wagner-Star. Im Januar 1945 nahm die Mutter den damals 5-Jährigen Helmut an die Hand, um vor der russischen Armee nach Nürnberg zu fliehen. Dort konnte sich wohl auch Pampuchs fränkisch rollendes ‚r’ entfalten. Nach der Schule war es aber zunächst die Hebebühne, unter der der Automechaniker-Lehrling Helmut Pampuch mit 15 Jahren Lieder von Rudolf Schock trällerte. Mit 17 kam er an das Nürnberger Konservatorium, wo er fünf Jahre bei Willy Domgraf-Faßbänder in Abendkursen studierte. „Nebenher habe ich natürlich weiter als Autoschlosser gearbeitet, wir hatten ja kein Geld“, beschreibt Pampuch die damalige Situation. Mit knapp 23 wurde er Operetten-Buffo in Regensburg, später gelangte er über Braunschweig, Saarbrücken und Wiesbaden ans Düsseldorfer Ensemble, wo er bis jetzt arbeitete. „Hier hat es mir einfach gut gefallen. Ich habe gemerkt, hier sollte ich bleiben.“ Helmut Pampuch hat in Düsseldorf „alles gesungen, was es an Operetten und Opern so gibt“, alles in allem rund 100 Partien. Noch in Nürnberg aber stand für den jungen Automechaniker und Sänger noch die Entscheidung zwischen Meisterprüfung und Meistersingern an. Hin und her gerissen zwischen Kupplung und Notung blieb er dem Metall verarbeitenden Gewerbe insofern treu, als er sich zwar gegen die automobile Antriebswelle wohl aber für das Schmieden des Wagner’schen Helden-Schwertes entschied. 1978 kam dann das entscheidende Engagement nach Bayreuth, wo er als Mime den internationalen Durchbruch feierte, was seinen Namen fest mit dieser Rolle verband. Von dem Skandal bei der Premiere des Jahrhundert-Rings zwei Jahre zuvor hatte er nur aus dem Radio während eines Tirol-Urlaubes erfahren. „Ein solches Ausbuhen habe ich zum Glück nie selbst erleben müssen. Wir haben später dann noch den Ring-Film gemacht und danach war ich berühmt.“ Auf die Frage nach dem Fluch oder Segen eines solchen Rollenstempels ist Pampuchs Antwort klar und entschieden: „Ein Segen! Erstens macht der Mime ungemein Spaß, man kann ihm immer neue Nuancen verleihen, und zweitens wäre ich als deutscher Sänger mit anderen Partien ja kaum so viel ins Ausland gekommen.“ Jetzt, wenn nach 42 Jahren auf der Bühne sein Abschied gefeiert ist und er offiziell in Rente geht, kommt da nicht ein wenig Wehmut auf? Nein, sagt Pampuch und rührt in seinem Kaffee, so ganz lasse er ja nicht von der Bühne. „Mit einem Gastvertrag kann man weitermachen und da werde ich immer mal wieder auftreten, keine Frage.“ Auch von Gram oder gar Ärger über verspätete Ehren zu seinem Abschied will er nichts wissen, er habe immer viel Anerkennung durch den Erfolg beim Publikum genießen dürfen. Er liebe seinen Sängerberuf, könne jedem nur empfehlen, dieses schönste Amt der Welt zu ergreifen. Vor die Wahl gestellt, direkt als Millionär auf die Welt zu kommen oder wieder Sänger zu werden, würde er das dauernde Liegen auf einer Yacht sofort gegen das Stehen auf der Bühne eintauschen. – erschienen im Juli 2005 in der Westdeutschen Zeitung Düsseldorf WZ: Herr Schlingensiepen, bei Neuer Musik winken viele Menschen schnell dankend ab. Ist sie wirklich so schlimm? Mark-Andreas Schlingensiepen: Nein, sicher nicht. Das Problem liegt in dem traditionellen Museumsbetrieb unserer heutigen Konzerthäuser begründet. Merkwürdigerweise leben wir musikalisch betrachtet immer noch im 19. Jahrhundert und nicht in unserer eigenen Zeit. Die Menschen können sich heute gar nicht mehr vorstellen, dass die klassische Musik selbst einmal zeitgenössische Musik war. Es ist für den Einzelnen nicht mehr nachvollziehbar, dass man sich auch in der „alten“ Zeit mit der Musik auseinandersetzen musste, das ist ja mittlerweile alles längst erledigt und wird nur noch museal verarbeitet. WZ: Aber deswegen klingt die Neue Musik doch nicht schöner? Schlingensiepen: Es ist eine falsche Vorstellung, dass Musik, und insbesondere auch die Klassik, immer auf Schönheit und Harmonie abzielen müsse. Die Überraschung, die eine vorklassische Sinfonie mit ihren plötzlichen Crescendi hervorrief, war damals unerhört und klang für Viele auch nicht schön. Der Schritt in die musikalische Jetzt-Zeit ist deshalb für die meisten Menschen zu groß, weil sämtliche Zwischenschritte seit der Klassik von Bartok, Hindemith über Milhaud etc. zu wenig gespielt werden und ihnen daher nicht geläufig sind. Ohne diesen Weg zu kennen, ist auch der Zugang zu aktueller Musik schwer. WZ: Können Sie einen Plattentipp geben, um einen Einstieg in die Neue Musik zu bekommen? Schlingensiepen: Nein, das geht nicht. Viel besser wäre es, oft Konzerte mit Neuer Musik zu besuchen. Man kann das sinnliche Erleben, dem Musiker bei der Klangerzeugung zuzusehen nicht mit der Situation am Lautsprecher ersetzen. Das ist nur der halbe Genuss. Frage: Wie soll Ihre eigene Musik wirken? Schlingensiepen: Ich möchte die Leute im besten Sinne angreifen, sie sollen eine Reaktion zeigen. Wenn die Zuhörer während der Pause über ein Stück sprechen, ist das toll, selbst wenn sie es ganz schrecklich fanden. Keine Reaktion zu ernten ist viel schlimmer. Dann denke ich, meine Musik bleibt nicht mal bis zur Pause in Erinnerung. Frage: Sie sind in England geboren. Was bedeutet das für Sie? Schlingensiepen: Der englische Anteil meiner Biografie spielt für mich schon eine große Rolle, wenn auch weniger musikalisch. Als Kind wusste ich aber beispielsweise nie, zu welcher Mannschaft ich bei der Fußball-WM sein sollte. Rechtlich gesehen bin ich sogar britischer Staatsbürger. Ich muss aber auch sagen, dass das deutsche Bier besser ist als das englische. Frage: Ist es schön, in Düsseldorf zu arbeiten? Schlingensiepen: Nun, es gibt schöne und weniger schöne Aspekte, das ist überall so. Aber ich arbeite dennoch gern hier, weil ich das Gefühl habe, dass meine musikalische Arbeit wert geschätzt wird. Die für das notabu.ensemble in Düsseldorf eingerichtete Haushaltsstelle erlaubt zwar keine großen Sprünge, ist aber doch ein deutliches positives Zeichen. – erschienen im Juni 2005 in der Westdeutschen Zeitung Düsseldorf „Kollega Kappeskopp“ Serdar Somuncu ist Kabarettist, Türke und Provokateur. Er ist rücksichtslos, politisch vollkommen unkorrekt und er hat bei 1428 Auftritten aus Hitlers „Mein Kampf“ vorgelesen. „Wenn Sie heute Abend hier von mir auf die Fresse kriegen, dann ist das alles lieb gemeint“, brüllt er den vollbesetzten Stuhlreihen im Zakk zu Beginn entgegen. In den folgenden zwei Stunden spritzt Somuncu in seinem neuen Programm „Getrennte Rechnungen – Hitler Kebab“ pausenlos Gift und Galle gegen die Dinge, die ihm nicht passen. Angefangen bei sprachlich verarmten Deutschen, die ihre Enkel mit „Kevin, komm mal für die Omma“ zu sich rufen, über Türken, die sich darüber aufregen, dass ihnen „Scheiß-Kanaken“ in Deutschland die Arbeitsplätze wegnehmen, bis hin zu dem Mann, von dem sich Somuncu fast schon als besessen gibt: Hitler, immer wieder Hitler. Seine verbalen Spiralen schrauben sich ständig in psychotische Geschichten, die in die kläffende Stimme des Massenmörders münden, egal ob er nun Brötchen kauft oder als Bassa Selim in Mozarts „Entführung aus dem Serail“ auftritt. Sein Gesicht verzieht sich während dieser sprachlichen Achterbahnfahrten zu Grimassen eines Louis de Funès, die Stimme changiert vom glottalen Röhren eines Marius Müller Westernhagen bis zum rotgesichtigen Schreien eines Klaus Kinski. Somuncu klettert auf Bühne, Tisch und Stuhl herum, wirft den Mikroständer durch die Gegend und steckt sich das Mikrofon auch schon mal vorn und hinten in die Hose. Fäkalhumor sei wichtig, sagt er, damit erreiche man schneller die Grenzen beim Publikum. Im Saal schlagen bei solchen Sprüchen die Hände gleichermaßen auf deutsche und türkische Oberschenkel, der friedensbewegte deutsche Strickpulli schüttelt sich genauso vor Lachen wie die an modischem Accessoire reiche Türkin. Aus seinem neuen Buch liest Somuncu erst nach fast einer Stunde. Binnen Sekunden reißt er darin das emotionale Steuer herum. Aus Lachen über hysterisches Gekeife des Gröfazke wird unversehens stille Anrührung bei der Beschreibung bitterer Ausgrenzung des kleinen Serdar an dessen erstem Schultag. Kaum noch Luft vor Lachen bekommt man wiederum bei den Geschichten seines Vaters, der sich als junger Einwanderer mit Ausdrücken der neuen rheinischen Heimat seinen deutschen Sprachvorrat zusammenzimmerte. Einen wirr daher redenden Menschen nannte er schlicht „Kollega Kappeskopp“! Ein großartiger Abend. – erschienen im Mai 2005 in der Westdeutschen Zeitung Düsseldorf Wenn der Name Sabine Meyer fällt, erklingt im geistigen Ohr sofort ein Dreiklang aus ihrer legendären Stippvisite bei den Berliner Philharmonikern, ihrer seitdem steil verlaufenden Solokarriere und ihrem sehr charakteristischen Klarinetten-Ton. Seit langem pflegt Sabine Meyer aber auch das gesellige Zusammenspiel mit den neun Musikern des nach ihr benannten Bläserensembles. Diese auf die Klarinettistin reduzierte Namensgebung ist aber wohl nur auf den Umstand zurück zu führen, dass sie die Entstehung der Gruppe initiiert hat. Alle Mitglieder sind weder unbeschriebene Blätter noch untergeordnete Klangdiener, ganz im Gegenteil ist jeder für sich ein Künstler von höchstem Rang. Zum Auftakt ihres Konzerts im Robert-Schumann-Saal präsentiert das Bläserensemble Sabine Meyer zunächst Gioacchino Rossinis Ouvertüre der Oper „Wilhelm Tell“ in der Fassung für je zwei Klarinetten, Oboen, Hörner und Fagotte sowie Kontrafagott und Trompete, letztere von Reinhold Friedrich als Gast gespielt. Die eigentlich langsame Einleitung der Ouvertüre, hier direkt schon etwas zügiger angegangen, gelingt bereits superb, überall hört man helle Spielfreude und atmendem Esprit. Rhythmisch voller Witz und Schärfe, intonatorisch von edelstem Schliff sowie mit bewundernswert flinker Technik setzen die Bläser später die im Affentempo gestoßenen Stakkato-Ketten des berühmten Tell-Themas aufs Tapet. Rumms, fertig, nächstes Stück, hier geht es ohne Umschweife zur Sache. Nach einem Ausflug in die heimeligen Menuette für Bläser von Franz Schubert wird der Bogen zu dem hoch expressiven Divertimento für Bläser von Gideon Klein geschlagen. Die im Ghetto von Theresienstadt entstandene Komposition musizieren Sabine Meyer und ihre Kollegen sehr spannungsintensiv und mit fesselnder interpretatorischer Sicherheit. Man hängt den Instrumentalisten förmlich an den zusammengekniffenen Lippen. Insbesondere die erste Oboe ist ein ganz besonderes Erlebnis an schönem Ton und musikalischem Ausdruck. Sabine Meyer führt ihren Ton sehr hart und gerade, die Hörner und Fagotte kontrastieren weich aber mit prägnanten Linien. Dies setzt sich in Franz Schuberts folgendem Oktett für Bläser F-Dur sowie der abschließenden, für Bläser arrangierten Sinfonie Nr. 92 G-Dur „Oxford“ von Joseph Haydn noch weiter fort. Sie fügen den bisherigen Höhepunkten noch zwei weitere mundgeblasene Preziosen hinzu. – erschienen im Mai 2005 in der Westdeutschen Zeitung Düsseldorf WZ: Ingo Appelt, wie lebt es sich so als „Schmutzfink“ der Nation? Ingo Appelt: Eigentlich hatte ich es gar nicht beabsichtigt, ein Schmutzfink der Nation zu sein. Ich wollte ja immer, dass die Leute sagen: „Guck mal, was für ein Ferkel, aber wir lieben ihn trotzdem“. Das ist ja dann erst richtig gut. WZ: Ihr Programm heißt „Superstar“. Was ist denn super daran? Ingo Appelt: Zunächst einmal hat es rein gar nichts mit Dieter Bohlen und diesen fürchterlichen Casting-Shows zu tun! Es kommt zwar inhaltlich drin vor, aber es war nur ein blöder Zufall, dass RTL damals mit diesem schwachsinnigen Superstar-Konzept ankam. Ich wollte ursprünglich Deutschland wieder aus dem Jammertal führen und den Leuten einen echten Superstar zurück geben. So ein bisschen Diva im weißen Anzug, ein bisschen Frank Sinatra, damit wir gemeinsam wieder nach vorne kommen. Wir wollen ja alle so sein wie Michael Schumacher, sind aber nur Roberto Blanco. Im September kommt dann quasi als Fortsetzung das neue Programm „Der Retter der Nation“. WZ: Was war bislang die schlimmste Beleidigung, die man Ihnen an den Kopf geworfen hat? Ingo Appelt: Ach, das waren schon so viele. Die Schlimmsten denke ich mir ja eigentlich immer für mich selbst aus. So was wie „Drecksau“, „Schwein“ oder „schlimmer Finger“ trifft mich nicht. Schlimmer ist dann schon, wenn man mich nicht kennt, so im Sinne von „Wer ist das“. Da fange ich leise an zu weinen. WZ: Gibt es noch eine Zielgruppe, die Sie bisher verschont haben? Ingo Appelt: Nein, bei mir sind sie alle dran. Ich bin ja der Großtherapeut fürs gesamte Land. Rentner, Kinder, Familien, Behinderte, Ausländer, die gehe ich alle durch. Im Übrigen denke ich nicht, dass ich Witze „über“ jemanden mache, sondern vielmehr „mit“ jemandem. Ich habe zum Beispiel eine Menge Rollstuhlfahrer im Publikum, die sich immer sehr über die Schäuble-Witze freuen. Sandra Maischberger dagegen kann da überhaupt nicht drüber lachen. Vom Ansatz her gibt es für mich erstmal kein Tabu. Ich versuche immer, ein Tabu zu brechen, aber so, dass es nicht ganz so wehtut. Idealerweise hat es dann auch was Befreiendes. Sei es das Thema Tod, Behinderung oder Peinlichkeiten. Wir haben schließlich alle vor nichts so viel Angst, wie vor dem eigenen Versagen. Und darüber rede ich am allerliebsten. WZ: Sie waren mit Marius Müller-Westernhagen auf Tournee. Wie hat er auf ihre spezielle Version des Liedes „Dicker“ reagiert? Ingo Appelt: Er kannte das ja schon von der Echo-Verleihung. Insgesamt spricht er aber nicht viel, ist eher verschlossen. Manchmal sagt er kurz „Hallo“, verschwindet dann aber schnell wieder mit seinem Armani-Anzug. Ich habe ihm damals sogar ein „Ficken“-Schild geschenkt, das hat er aber irgendwo stehen lassen. WZ: Wen werden Sie denn bei der anstehenden Kommunalwahl in NRW wählen? Ingo Appelt: Ich bin ja Sozi durch und durch. Das kann ich auch nicht mehr ändern. Selbst wenn wir gemeinsam untergehen. – erschienen im Mai 2005 in der Westdeutschen Zeitung Düsseldorf „Es ist heute sehr bewegend für mich, hier mit zwei Menschen zu stehen, die ich sehr liebe.“ Nicht nur Eric Claptons Augen schimmerten feucht, als er 1993 endlich wieder zusammen mit Ginger Baker und Jack Bruce auf der Bühne stand und diese Worte aus Anlass der Aufnahme ihrer Band „Cream“ in die Rock ’n’ Roll Hall of Fame ins Mikrofon hauchte. Auch viele Fans von Cream, der vielleicht ersten, aber sicherlich einer der wichtigsten Supergroups der 1960er Jahre, mussten schlucken. War dies der Moment der Wiedervereinigung nach Jahren getrennter Wege, auf den sie so endlos gewartet hatten? So richtig beeindruckt schien Clapton von der ganzen Zeremonie aber wohl nicht gewesen zu sein, denn trotz beständiger Überzeugungsversuche, gutem Zureden und feuchter Augen erteilte er einer Reunion von Cream weiterhin eine Abfuhr nach der anderen. Im Rückblick auf den damaligen Kurzauftritt, kann man das auch zum Teil verstehen. Der baumlange, einst so begnadete Schlagzeuger Ginger Baker bemerkte damals nicht, dass er beim Song „Crossroads“ mächtig neben dem Takt lag. Eric Clapton musste ihn sogar gesondert einzählen. So etwas schreckte einen besessenen Perfektionisten wie Herrn Clapton zwangsläufig ab. Bis jetzt. Eigentlich recht unerwartet hat sich Mr. Slowhand kurz vor seinem 60. Geburtstag schließlich doch noch zu gemeinsamer Sache bereit erklärt. Anfang Mai 2005 wird er sich die Bluesrock-Gitarre umschnallen und mit Ginger Baker und Bassist Jack Bruce an vier Abenden in der Londoner Royal Albert Hall wieder als Cream auftreten. Exakt dort, wo damals am 26.11.1968 ihre Geschichte nach zwei unglaublich erfolgreichen Jahren mit den legendären „Farewell-Shows“ endete. Doch bei aller Begeisterung der Fans bleiben Fragen: Schaffen es die drei sich in ihren frühen Sechzigern befindlichen Herren noch, ihre Songs aus den späten Sechzigern überzeugend zu spielen? Wird dabei mehr herauskommen als nur ein kommerzieller Erfolg? Was gab es da nicht schon für „Sensationen“: Deep Purple, Led Zeppelin, Kiss, Black Sabbath oder ganz aktuell Queen und eben Cream. Die Ergebnisse solcher reanimierten Rock-Dinosaurier verkamen meist zu einer von Sound-Technikern brilliant veredelten Wiedergabe spieltechnisch hingeschluderter Hits. Bereichernde Folgen blieben aus, Kritiker argwöhnten über reine Nostalgie-Veranstaltungen. Selbst von der virtuellen Wiedervereinigung der Beatles auf den 1995er „Anthology“-Alben spricht heute kein Mensch mehr. Zu groß, zu übermenschlich schwer hängt den Bands die eigene Legende um den Gitarrenhals. Fast wünschte man, die Herren Clapton, Baker und Bruce würden es bei den guten Erinnerungen belassen. Zu sehr bangt man um ihren Ruf und die unglaubliche Musik. Wer kennt heute eigentlich noch den Begriff „Dalles“? Vermutlich nicht mehr allzu viele Menschen, obwohl er gerade dieser Tage wieder deutlich an Aktualität gewonnen hat. Der Duden umschreibt den aus dem Jiddischen stammenden Terminus als einen umgangssprachlichen Ausdruck für Geldknappheit, Armut, Firmenpleiten oder auch persönlichen Bankrott. Viel gebräuchlicher als heute war der Dalles in den späten 20er und frühen 30er Jahren des letzten Jahrhunderts. Doch im Unterschied zu heute ist aus diesen Tagen keine Litanei des Jammerns überliefert, sondern eine digital restaurierte Sammlung schmissig und kess daherkommender Lieder aus den Jahren 1929 bis 1934, versammelt auf einer bemerkenswerten CD mit dem viel sagenden Titel „Es wird schon wieder besser“. Interpreten wie Dolly Haas, Fritz Schulz, Harry Jackson, Lee Parry, Alfred Beres und viele andere besingen mit Galgenhumor und reichlich Berliner Schnauze Geschichten von Harzer Käse statt Mayonnaise, vom reichen Onkel Eduard und eben auch vom Dalles. Denn der „geht über alles, weil er sich am längsten hält“. Eine heitere Reise in eine Zeit, die einen ganz anderen Eindruck vom Umgang mit Börsencrashs, Arbeitsmangel und Konsumverzicht widerspiegelt. – erschienen im Mai 2005 in der Westdeutschen Zeitung Düsseldorf
Gerhard Oppitz ist kein Mann des Kleckerns, er klotzt richtig ran. Gern stellt er anspruchsvolle Programme aus großformatigen Werken zusammen, denen der Begriff „Brocken“ gut zu Gesicht steht. So auch bei seinem Auftritt in der nur leidlich gefüllten Tonhalle, für den Oppitz Ludwig van Beethovens „33 Veränderungen über einen Walzer von Anton Diabelli“ op. 120 sowie die „Symphonischen Etüden“ op. 13 (inklusive der posthumen Variationen I bis V) von Robert Schumann vorbereitet hat. Mit diesen großen Variationszyklen lässt er zwei Kompendien der Klavierliteratur erklingen, die neben Bachs Kunst der Fuge und den 32 Klaviersonaten Beethovens so etwas wie das neue Testament für Pianisten darstellen. Die Diabelli-Variationen stoßen sogar in ihrer vergeistigten Tiefe und den vom Anspruch der Spielbarkeit befreiten kompositorischen Techniken die Türen zum frühen 20. Jahrhundert auf. Beethoven durchbricht in diesem späten Werk nicht nur die gummizellenartige Beschränkung der Variation auf ein Thema nachhaltig, sondern erteilt dem verhassten Verleger Diabelli gleichzeitig noch 33 schallende Ohrfeigen. Gerhard Oppitz’ untadelige, jahrelang an Liszt erprobte Fingertechnik ist natürlich beeindruckend, er beackert seinen Flügel mit wunderbarer Geläufigkeit und Präzision. Doch das der Musik innewohnende Schatzkästchen emotionaler Vielschichtigkeit öffnet sich nur einen Spalt weit. Kaum hämmert er das eröffnende Thema Diabellis rasant in die Tasten, weiß man: Aha, es geht in Beethoven-fulminanter Manier zu. Etwaige Walzerseligkeit, die andere Kollegen herausgearbeitet haben, lässt Oppitz außen vor. Durch harmonische und erhabene Momente fliegt der passionierte Pilot, ohne sie so genussvoll auszukosten wie er es etwa mit den trotzigen „resoluto“-Vorschlägen der Variation 9, der hämmernden Nr. 28 oder dem schwirrend-diffusen Akkordrausch der 6. Variation tut. Nur an wenigen Stellen fühlt man sich der Zeit enthoben, kann man den von Beethoven aufs Notenpapier gezwungenen Kampf zwischen Walzer und Wahnsinn nachfühlen. In Schumanns Symphonischen Etüden, oder auch „pathetischen“, wie er sie in seinen Briefen an Clara nannte, bleibt Oppitz im Tempo á la Florestan, den lyrischen Eusebius lässt er auch hier meist in der Garderobe. Für viel Applaus streichelt er als Zugabe dann noch ein Intermezzo seines Leib- und Magen Komponisten Johannes Brahms aus den Tasten. – erschienen im April 2005 in der Westdeutschen Zeitung Düsseldorf |
Der Popwart
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