Wann immer das Berliner Septett "In Extremo" eine Bühne betritt, kann man sich auf munteren Zeiten-Mix freuen. Von Hause aus werden die Musiker mit so klingen Künstlernamen wie "Die Lutter", "Flex der Biegsame" oder "Das letzte Einhorn" meist als Mittelalter-Metal etikettiert. Zwar erweitern In Extremo auch das in Metal und Hardcore-Kreisen übliche Instrumentarium von Bass, Schlagzeug und mächtiger Starkstrom-Gitarre durch mittelalterlich anmutende Dudelsäcke, Zinke, Schalmeien, Drehleiern und Harfen. Doch genauso gerne wird auch antikem Kelten-Kult in Kleidung und Accessoires gehuldigt, ebenso wie mittlerweile den Piraten des 15. Jahrhunderts. Unter reichlichem Licht-Spektakel und viel pyrotechnischem Brimborium ist auch die Bühne des Stahlwerks ganz im Stil des Kinofilms "Fluch der Karibik" in opulenter Art mit seeräuberischer Ausstattung in das Schiffsdeck einer Galeere verwandelt worden. In Extremo spielen hier kurz vor Weihnachten während ihrer "Mein rasend Herz"-Tour Songs der gleichnamigen CD wie auch einige alte Lieder, die die gut gefüllte Halle des Stahlwerks aus vollen Hälsen mitsingt. Jubelnd recken die Fans ihre oberen Extremitäten in die Höhe und bereiten den Mannen einen überaus freundlichen Empfang. Mächtig schiebende Bässe und eindringliche Höhen machen in Sekunden klar, wo hier die musikalische Streitaxt hängt. Früher hieß so eine Musik mal Folkrock und kam von Bands wie "Ougenweide", heute darf man es wohl eher in die Nähe von Klängen wie "Rammstein" oder "Schandmaul" positionieren. Die trotz des massiven Phonpegels gut verständlichen Textzeilen wie "Es regnet Blut" im Song "Spielmannsfluch" rücken In Extremo schnell in solch eine Richtung. Dennoch mühen sich die Berliner mit Rückgriffen auf isländische und mittelhochdeutsche Spielmannslieder redlich um Originalität, auch wenn das Lateinische in ihrer Auslegung des "Ave Maria" seine tatsächliche Eignung als Gesangssprache zur verzerrten Gitarre noch nachweisen muss. Wirklich mit Extremen zu kämpfen haben vor allem die historisierenden Instrumente, die sich auf der vor Hitze dampfenden Bühne ständig verstimmen. Bass und Gitarre leiden dagegen nur unter wenigen kurzen Aussetzern in der Verstärker-Elektrik. Frontmann Michael Rhein schildert die Vorgänge etwas dramatischer, wenn er sagt "Ihr könnt es nicht glauben, hier oben raucht ein Teil nach dem anderen ab". Trotz dieser Widrigkeiten bringen In Extremo ihr Adventssingen der anderen Art äußerlich unfallfrei zu Ende. Und unterm Strich bleibt ein gutes Rockkonzert doch auch irgendwie zeitlos. – erschienen im Dezember 2005 in der Westdeutschen Zeitung Düsseldorf
0 Kommentare
|
Der Popwart
|