"Eine Oper, ohne auch nur ein Stück, das einem Begeisterung abzwinge oder das einen elektrisiere. Ohne den großen Aufwand sei sie nicht bis zum Finale zu ertragen." Derart harsch beschwerte sich einst ein heute längst vergessener Signor Bertani bei Giuseppe Verdi über dessen damals neue Oper Aida. Er ging sogar soweit, dem Maestro die Erstattung seiner für den Besuch der Aufführung entstandenen Unkosten abzutrotzen. Wir wissen leider nicht, wie hart Signor Bertani mit der jüngsten Aida-Produktion in der LTU arena ins Gericht gegangen wäre, aber gefallen hätte sie ihm vermutlich immer noch nicht. Die Arena, von ihrer schieren Imposanz an die Pyramiden heranreichend, an der Form aber klar europäisch zu erkennen, birgt in ihrem Innenraum ein Fußballfeld-großes Tableau ägyptischen Alltags. Lange vor Beginn der Ouvertüre wuseln hier bereits eifrige Statisten zwischen den meterhohen Requisiten im aufgeschütteten Wüstensand umher. Rund 600 Personen sollen hier in den kommenden dreieinhalb Stunden ihren Beitrag zur Untermalung der tragischen Geschichte um Aida und Radames leisten. Doch das allein reicht den Produzenten der Arena-Aida noch lange nicht. Das als Mega-Spektakel inszenierte Popcorn-Schauspiel lässt sich auch in Sachen Spezialeffekten aller Art nicht lumpen. Sogar Pferde, Kamele und einen Geier bieten die Veranstalter auf, um aus Aida eine Mega-Aida zu machen. Das Publikum wird dabei als Volk von Theben integriert, alle gehören dazu, Du bist Ägypten, Du bist Aida. Womit das Problem des Abends umrissen wäre. Denn als Ergebnis dieser opulenten Materialschlacht wird die Oper von hunderten Füßen in den Sand getrampelt. Der symbolisch kreisende Geier hätte blendend ins Bild gepasst, wäre das bemitleidenswerte Tier nicht bei seinem Auftritt mit lautem Knall an einem der Bühnenbauten havariert. Eben dieser durchaus anerkennenswert detailverliebt ausstaffierte Bühnenraum mag noch so groß sein, für die Handlung der "amor fatale" zwischen Sklavin und Feldherr bietet er keinen Platz. Die von inneren Kämpfen getriebenen Charaktere – selten lässt Verdi seine Figuren so leiden wie hier – stehen nicht nur viel zu weit voneinander entfernt, um aus einem Duett oder Terzett ein Opernspiel erwachsen zu lassen, sie sind auch vom Publikum ohne Fernglas nur als kleine Figuren auf dem riesigen Areal wahrzunehmen. Überdies ist es nicht leicht, in der Melange aus Sandalenfilm, Rosenmontagszug und Sandkastenspiel die gerade aktiven Sänger und Sängerinnen auszumachen. Womit aber die erfreulichen Aspekte des Abends angesprochen sind. Die Düsseldorfer Symphoniker unter GMD John Fiore, der Städtische Musikverein zu Düsseldorf sowie die Solisten der Deutschen Oper am Rhein bieten sehr ansprechende Leistungen. Die Symphoniker kennen Aida natürlich in- und auswendig, auch Fiores Verehrung für Signor Verdi ist kein Geheimnis. Aber auch wenn die Aida unzählige Stellen hat, an denen ein bisschen schludern nicht auffiele, ausgerechnet an "der" Szene im Triumphmarsch darf ein Orchester den Fanfaren auf der Bühne nicht vorauseilen, schleppendes Tempo hin oder her. Das Ensemble der Rheinoper mit Morenike Fadayomi (Sopran, Aida), Keith Olsen (Tenor, Radames), Boris Statsenko (Bariton, Amonasro), Chariklia Mavropoulou (Mezzosporan, Amneris), Thorsten Grümbel (Bass, Pharao) und Felipe Bou (Bass, Ramfis) überzeugt, wobei Fadayomi, Olsen und Mavropoulou hervorstehen. Giuseppe Verdi, erfolgreich und souverän, hat übrigens damals dem so bitter enttäuschten Bertani die Eintrittskosten anstandslos überweisen lassen. Heute ist so etwas selten geworden. O Isis und Osiris... – erschienen im September 2006 in der Westdeutschen Zeitung Düsseldorf
0 Kommentare
Dass es Geschichten von Liebe und Eifersicht oft mächtig in sich haben, wussten schon die alten Ägypter. Zumindest scheint dies auf die Vorstellungswelt eines Giuseppe Verdi zuzutreffen, weshalb er mit der Aida eine Oper aus pharaonischer Zeit geschaffen hat, deren Handlung an emotionaler Tragik kaum zu überbieten ist. Von ihrer Premiere am Suez-Kanal war es ein langer Weg zur jüngsten Aufführung am Spiegelweiher von Schloss Benrath, an dem die Tragödie der „amor fatal“ nun von den Musikern der Loreley Klassik gegeben wird. Für die Sänger und Musiker ist es eine besondere Herausforderung, die dramatische Zweischneidigkeit der Partitur herauszuarbeiten. Kaum ein Werk verdichtet derart die zwickmühlenartige Situation seiner Protagonisten, die zwischen Liebe und Pflicht hin und her gerissen werden. Sei es Aida (Michèle Crider, mit fantastischem piano), die weder ihrem Vater Amonasro (energisch: Predag Stojanovic) noch ihrem geliebten Radamés (mit auffälligem Vibrato: Lawrence Bakst) Siegesglück im Krieg wünschen kann, da dies zwangsläufig den Tod des jeweils anderen zur Folge hätte, oder sei es die nicht minder tragische Amneris (überragend: Eugenie Grunewald), Tochter des Königs (stark: Alexander Teliga), die den ebenfalls geliebten Radamés von Aida trennen will aber durch ihr eifersüchtiges Taktieren das Todesurteil durch Ramfis (kraftvoll: Lothar Fritsch) mitverschuldet. Die pyramidenschwere Last auf den Schultern der Figuren wird nicht nur von den Solisten beeindruckend gut dargestellt, sondern auch von Chor und Orchester der Loreley-Festspiele unter Ivan Anguélov mit viel Anteilnahme und ausgezeichneter Artikulation mitgetragen. Chor und Orchester sind für Verdi’sche Verhältnisse zwar eher klein, zeigen sich aber unterstützt von moderner Klangverstärkung sehr gut auf die Gegebenheiten eines Openair-Auftritts eingestellt. Schade nur, dass ausgerechnet die Aida-Trompeten an „ihrer“ Stelle im Triumphmarsch den Einsatz verkieksen. Auch das Bühnebild (Rolf Cofflet) scheint mit seiner strengen Symmetrie zu versuchen, den schmerzlich asymmetrischen Gefühlen Halt zu geben. Gerade in den großen Duett- und Ensembleszenen stehen die Akteure weit von einander entfernt, so dass musikalische Nähe und räumliche Trennung augenfällig die gespaltene Gefühlslage illustrieren. Nach dem Finale belohnt langer lebhafter Applaus die Künstler. – erschienen im August 2004 in der Westdeutschen Zeitung Düsseldorf |
Der Popwart
|