In Zeiten der Krise beobachtet man, wie sich die Menschen auf den Glauben besinnen. Jürgen Becker dagegen besinnt sich auf sein Programm von 2006 „Ja, was glauben Sie denn?“, das angesichts des gegenwärtigen Zeitgeschehens prompt an aktuellem Bezug gewonnen hat. Die als „religiöse Götterspeise“ untertitelte Show des Kabarettisten widmet sich den gläubigen Menschen als solchen und nimmt deren Entwicklung aufs Korn. Dass diese eigentlich ganz anders verlaufen ist, als es der theologische Diskurs gemeinhin vermittelt, ist Beckers Anliegen, gute zwei Stunden im ausverkauften Savoy Theater zu dozieren. Für Becker sind es die großen Religionsfragen, die es zu stellen gilt: „Was sollen wir im verregneten Rheinland eigentlich mit einer Religion, die während 40 Tagen in der Wüste erfunden wurde?“ Der Germane hätte dereinst doch ein so gutes Verhältnis mit seinen zahlreichen Naturgöttern gehabt, wie konnte es da passieren, dass er sich der monotheistischen „Vorschläge“ des Morgenlandes nicht widersetzte? Der genaue Blick enttarne hier den listigen Ur-Rheinländer, der sich mit der heiligen Dreifaltigkeit, der Got- tesmutter Maria und dem Weihnachtsfest viele Aspekte seiner heidnischen Rituale bewahren konnte. Störend sei lediglich der unglückliche Zeitpunkt von Weihnachten während der Karnevals-Session. Ansonsten sei der Mensch auch evolutionstechnisch eindeutig Rheinländer: „Kann nix, traut sich aber alles zu“. Und so schweift Becker spitzbübisch grinsend mit Wortwitz durch die Jahrhunderte, liefert hanebüchene Zusammenhänge („Attest kommt ja auch von Atheist, da hat man wat schriftlich, dat man da nit hingehen muss“) und schlussfolgert, dass das griechische Wort Mythophilos den gläubigen Menschen hinreichend erkläre. Es bedeute „Mensch, der Geschichten liebt“. Und zwar vor allem solche, in deren Mythen „viel los“ ist. Ein Kriterium, welches die Bibel fraglos erfülle und mithin ihren Erfolg sicherte. – erschienen im August 2009 in der Westdeutschen Zeitung Düsseldorf
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Große Gemälde schmücken die Bühne des Zakk für den Auftritt von Jürgen Becker, der mit seinem Programm „Da wissen Sie mehr als ich“ das Publikum in die Geheimnisse des rheinischen Kapitalismus einweihen möchte. Ganz links, im großen goldenen Prunkrahmen, ist in barocker Überhöhung zu sehen, wie Adam mit dramatisch bewegter Geste Eva davon abzuhalten versucht, den Apfel vom Baum der Erkenntnis zu pflücken. Vergeblich, wie wir wissen. Jürgen Becker weiß eigentlich auch, dass er als Kölner in Düsseldorf eine ziemlich verbotene Frucht des Kabaretts personifiziert. Doch bekennt er sich freimütig zu dieser Art des rheinischen Sündenfalls. Ja, er komme sogar gern nach Düsseldorf, immerhin sei er hier immer gut behandelt worden. Der ausverkaufte Saal zeugt überdies davon, dass es auch genügend Düsseldorfer gibt, die den Nervenkitzel des Verbotenen und Sündhaften suchen. Zumal der Becker-Apfel immerhin ein wenig Erkenntnis verheißt, auch wenn er sich im Programmtitel noch so bescheiden gibt. Bevor es allerdings zum eigentlichen Thema des Abends kommt, jenem nebulös betitelten rheinischen Kapitalismus, teilt der kölsche Komiker erst einmal kräftig in Richtung Adam und Eva der Gegenwart aus. Mit Breitseiten gegen Gerhard und Angela, die sich gegenseitig aus dem bundesrepublikanischen Paradies vertreiben wollen, redet sich Becker in Vorwahl-Stimmung. Dabei lässt er natürlich auch die anderen Teilnehmer der jüngsten Elefantenrunden nicht aus. Ohne ein Blatt vor den Mund zu nehmen, verteilt er Schelte an „liberale Pfeifen“, regt sich über wegretuschierte Merkel-Mundwinkel auf, die beim Namen Merz „direkt wieder Herpes kriegen würden“ und sinniert, ob Paul Kirchhof nicht von Schröder selbst in die CDU eingeschleust wurde, „zur Zerstörung von innen“. Von Stichwort zu Stichwort schwadroniert Becker mittels waghalsiger Wortspielereien (Martin Luther sei etwa Erfinder des „95 Tesa-Films“) und verdrehter Eselsbrücken (in der Schweiz gehe man sofort „in medias rolex“, daher die vielen Uhrmacher). Mit Einwürfen des von ihm so verehrten Konrad Adenauer, Beckers Sinnbild rheinischer Vor- und Frühgeschichte, schlägt er den kabarettistischen Bogen über Kirche, Politik und Wissenschaft, wühlt im Sündenpfuhl des Mittelalters, aus dem er wortreich die Stützpfeiler des heutigen Wirtschaftslebens destilliert, und landet schließlich doch wieder im Rheinland, wo man die Umsetzung dieser Prinzipien vollendet beobachten könne. Kern des rheinischen Kapitalismus sei schließlich ein gehöriges Maß an Mystizismus. Nirgendwo sonst könne man so viele Menschen sagen hören: „Ja, da mystisch mich mal drum kümmern.“ – erschienen im September 2005 in der Westdeutschen Zeitung Düsseldorf |
Der Popwart
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