Bislang unbekannte Botschaften in der Musik Johann Sebastian Bachs? Das klingt esoterisch und erinnert auch ein wenig an James Bond. Mit entrücktem Schauer lesen wir von geheimen Nachrichten, die in den Noten des großen Barockmeisters versteckt waren und erst den Zeitenlauf durchwandern mussten, um jetzt endlich dem Dunkel der Geschichte entrissen zu werden. Akribisch wie eine Geheimagentin hat die Musikforscherin Helga Thoene bereits 1994 den Staub der Jahrhunderte beiseite gewischt und will in Johann Sebastian Bachs Partita für Violine solo Nr. 2 d-moll geheimnisvolle Informationen entschlüsselt haben. Nach langwieriger Analyse folgerte sie, dass der in musikalische Zahlenspiele und Denkaufgaben vernarrte Bach insbesondere die Chaconne der Partita offenbar reich mit Choral-Zitaten und bedeutungsschwangerer Zahlensymbolik durchwebt hat. Doch sei dies laut Thoene nicht nur damals übliches Wiederverwenden musikalischen Materials, sondern fuße auf weit emotionaleren und anrührenderen Gründen. Bach habe die 1720 entstandene Partita ursprünglich als Epitaph für seine im gleichen Jahr verstorbene Frau Maria Barbara ausgestalten wollen. Um den klingenden Beweis dieser These von 1994 anzutreten, sind der Violinist Christoph Poppen und die vier Sänger des Hilliard Ensembles zur Zeit auf Tournee und präsentieren die unter dem Titel „Morimur“ auf CD aufgenommene Partita mit den darin entdeckten Chorälen. Als Höhepunkt ertönt die Chaconne, zu der simultan die bisher unsichtbar eingebetteten Choralstellen erklingen. Während Poppen den bekannten Notentext der Chaconne spielt, singen die Hilliards gleichzeitig die von Helga Thoene als Zitat erkannten originalen Choralstellen mit. Der daraus entstehende neue Klang aus Violine und Stimmen soll die Ergebnisse der Studie unmittelbar sinnlich erfahrbar werden lassen. – erschienen im Februar 2005 in der Westdeutschen Zeitung Düsseldorf
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Weihnachten ohne das Weihnachtsoratorium ist wie Helmuth Rilling ohne Johann Sebastian Bach. Beim Konzert der Gächinger Kantorei und dem Bach-Collegium Stuttgart in der bis auf wenige Plätze voll besetzten Tonhalle kommt glücklicherweise alles zusammen. Nur wenige Tage vor dem Fest dirigiert Helmuth Rilling „seine“ beiden Klangkörper sowie die Solisten Simone Nold (Sopran), Ingeborg Danz (Alt), Christoph Genz (Tenor) und Klaus Häger (Bariton) durch das gesamte adventliche Oratorium des von ihm so verehrten Komponisten. Und er tut dies, wie man es von einer Instanz in Sachen Bach erwarten darf. Wissend, erfahren und fokussiert leitet er Musiker auswendig durch den barocken Sechsteiler. In halb geduckter Stellung gräbt er sich beinahe in Chor und Orchester hinein, gerade so, als wolle er die Klänge mit den Händen schöpfen. Rilling zeichnet das Bachwerk Nr. 248 mit weichen Konturen und modelliert es bei straff geführtem Tempo mit hohem Affektgehalt. Seine deutlich angekündigten Einsätze sind aber bei dem ohnehin hellwachen Orchester kaum nötig. Nahezu symbiotisch miteinander verbunden, musizieren Kantorei und Collegium mit merklicher Spielfreude und Anteilnahme. Energetische dynamische Abstufungen und herzliche Innigkeit beleuchten dabei auch die opernhaften Züge des Bach’schen Opus. Verständig offenbart der Chor die symbolträchtige Vielschichtigkeit des Stimmsatzes und immer wieder sieht man Instrumentalisten, die in ihren Spielpausen leise mitsingen. Die vorzüglichen Solisten legen noch weitere Gemütsbewegung in die Musik. Simone Nold verfügt über einen Sopran, dessen lyrische Höhe besonders in der Echo-Arie des IV. Teils bezaubert. Ingeborg Danz lässt ihren Alt mit engelsgleicher Würde hervortreten, wenn ihm auch ein wenig Brillianz fehlt. Der Bariton Klaus Häger gibt mit seiner vollen runden Stimme einen guten Bass ab, der sich zum Ende sogar noch steigert. Als Evangelist stürzt sich Tenor Christoph Ganz mit vollen Zügen in die Rolle eines (im besten Sinne gemeinten) Märchenonkels. Mit dramatischer Anlage und großen Augen hält er den Spannungsbogen bei seiner Schilderung der Weihnachtsgeschichte aufrecht. Da ist es kein Wunder, dass das Publikum ob dieser Leistungen „jauchzet und frohlocket“. – erschienen im Dezember 2004 in der Westdeutschen Zeitung Düsseldorf Die Vorweihnachtszeit ist bekanntermaßen eine anstrengende und ermüdende Zeit. Das erhöhte Laufpensum auf der Pirsch nach der passenden Gabe für die Lieben, gepaart mit den üblichen Widrigkeiten des Alltags, zehrt an der Durchhaltekraft. Besucht man dieser Tage auch noch eine Aufführung des Johann Sebastian Bach’schen Weihnachtsoratoriums, bei der sanfter Kerzenschein heimelig leuchtet, der feine Duft einer großen Tanne Nase und Gemüt streichelt und die Musik des großen Thomaners den Ohren schmeichelt, kann es manch einer nicht vermeiden, dass ihm die matten Lider niedersinken. Ein wirkungsvolles Rezept gegen diese adventliche Entkräftung präsentiert Sebastian Voges in der von Kerzenschein illuminierten Lutherkirche. Im zweiten Konzert der Gesamtaufführung von Bachs Weihnachtsoratorium stehen die im Vergleich zu den Teilen I bis III eher seltener aufgeführten Kantaten IV bis VI auf dem Programm. Voges, als Dirigent und Bass-Solist in einer Doppelrolle, legt mit schnellen Tempi den Grundstein für eine reizvolle und stärkende Aufführung. Das concertino düsseldorf agiert unter Voges Zeichengebung zuverlässig und ausdauernd. Streicher, Orgel und Holzbläser zeigen sich gut präpariert, lediglich im Blech sticht es zeitweise etwas herb hervor. Die Kantorei an der Lutherkirche legt viel Engagement in die Choräle, leidet aber wie so oft an der Unterzahl männlicher Stimmen, die in den offenen Stellen etwas zu dünn erscheinen. Voges überlässt bei kleinen Ensembles den Musikern die Regie, was Intimität und Innigkeit erzeugt. Nur eine noch deutlichere dynamische Abstufung seitens Chor und Orchester könnte eine noch stärkere emotionale Differenzierung bewirken. Überzeugend gelingen auch die Beiträge der Solisten. Neben Sebastian Voges, dessen Bass nach eigener Aussage etwas angeschlagen sei und wirklich etwas belegt klingt, liefert Markus Heinrich einen soliden Tenor mit sehr guten Koloraturen ab. Debra Hays’ Sopran ist schön, aber etwas zu leise, um sich in Ensembles durchzusetzen. Höhepunkt des Abends ist der Alt von Cornelia Maria Orendi. Ihre dunkle Stimmfarbe klingt reif und sanft modelliert. Aus den voll besetzten Bänken dankt langer Applaus für ein Konzert, das anregt, die Kantaten IV bis VI ruhig öfter aufs Programm zu setzen. – erschienen im Dezember 2004 in der Westdeutschen Zeitung Düsseldorf Wenn Anfang August die Regale der Supermärkte mit den ersten Weihnachtsartikeln geflutet werden, löst das nicht bei allen ungeteilte Vorfreude auf das Fest der Feste aus. Wenn aber Mitte November langsam und behutsam die Saison der vorweihnachtlich einstimmenden Kirchenkonzerte beginnt, ist das schon ein Grund zur Freude. Insbesondere wenn man an so einem gelungenen Konzert teilnimmt, wie in der voll besetzten St. Suitbertus Basilika in Kaiserswerth, bei dem Johann Sebastian Bachs Kantate „Lobe den Herren, den mächtigen König der Ehren“ BWV 137 und Wolfgang Amadeus Mozarts Grosse Messe in c-moll KV 427 erklingen. Unter der Leitung von Kantorin Susanne Hiekel musizieren die Solisten Cosima Seitz (Sopran I), Claudia Darius (Sopran II), Markus Francke (Tenor) und der kurzfristig eingesprungene Guido Kaiser (Bass) sowie die Camerata Instrumentale Kaiserswerth und der Chor der Stadtkirche Kaiserswerth als willkommene Gäste in der katholischen Basilika. Bachs Kantate verarbeitet in ihren feinen Continuo-Passagen und den volltönenden Chor-Stellen jene bekannte Melodie, die in allen fünf Teilen herausgehört werden kann. Chor und Orchester gehorchen Susanne Hiekels gestochen scharfen Anweisungen auf’s Wort und verfügen über eine beachtliche technische und musikalische Qualität. Mit sehr guter dynamischer Abstufung und verständlicher Artikulation des Textes bieten sie ein festes Fundament für die vier Solisten. Claudia Darius singt für die Kantate in ihrer eigentlichen Stimmlage und zeigt in der nur von Violine, Cello und Continuo begleiteten Aria ihren weichen und schönen dunklen Alt. Cosima Seitz verfügt über einen sehr strahlenden und fein biegsamen Sopran, der an diesem Abend besonderer Erwähnung bedarf. Die Herren Francke und Kaiser stehen da ein wenig hinten an, sie präsentieren sich etwas leise, aber mit inniger Anteilnahme. Für die Aufführung von Mozarts c-moll Messe hat man sich für die Torsofassung entschieden, bei der der Chor erneut vorführt, dass er auch mit einer vergleichsweise kleinen Zahl an Männerstimmen ausgewogen klingen kann. Insbesondere das Credo der Messe gelingt den Sängern klar und ohne Müdigkeit. Und auch die Camerata Instrumentale kann im letzten Sopran-Solo noch einmal mit starken Soli aufwarten. Verdientermaßen erhalten die Musiker großen Zuspruch aus den Kirchenbänken. – erschienen im November 2004 in der Westdeutschen Zeitung Düsseldorf |
Der Popwart
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