Weihnachten ohne das Weihnachtsoratorium ist wie Helmuth Rilling ohne Johann Sebastian Bach. Beim Konzert der Gächinger Kantorei und dem Bach-Collegium Stuttgart in der bis auf wenige Plätze voll besetzten Tonhalle kommt glücklicherweise alles zusammen. Nur wenige Tage vor dem Fest dirigiert Helmuth Rilling „seine“ beiden Klangkörper sowie die Solisten Simone Nold (Sopran), Ingeborg Danz (Alt), Christoph Genz (Tenor) und Klaus Häger (Bariton) durch das gesamte adventliche Oratorium des von ihm so verehrten Komponisten. Und er tut dies, wie man es von einer Instanz in Sachen Bach erwarten darf. Wissend, erfahren und fokussiert leitet er Musiker auswendig durch den barocken Sechsteiler. In halb geduckter Stellung gräbt er sich beinahe in Chor und Orchester hinein, gerade so, als wolle er die Klänge mit den Händen schöpfen. Rilling zeichnet das Bachwerk Nr. 248 mit weichen Konturen und modelliert es bei straff geführtem Tempo mit hohem Affektgehalt. Seine deutlich angekündigten Einsätze sind aber bei dem ohnehin hellwachen Orchester kaum nötig. Nahezu symbiotisch miteinander verbunden, musizieren Kantorei und Collegium mit merklicher Spielfreude und Anteilnahme. Energetische dynamische Abstufungen und herzliche Innigkeit beleuchten dabei auch die opernhaften Züge des Bach’schen Opus. Verständig offenbart der Chor die symbolträchtige Vielschichtigkeit des Stimmsatzes und immer wieder sieht man Instrumentalisten, die in ihren Spielpausen leise mitsingen. Die vorzüglichen Solisten legen noch weitere Gemütsbewegung in die Musik. Simone Nold verfügt über einen Sopran, dessen lyrische Höhe besonders in der Echo-Arie des IV. Teils bezaubert. Ingeborg Danz lässt ihren Alt mit engelsgleicher Würde hervortreten, wenn ihm auch ein wenig Brillianz fehlt. Der Bariton Klaus Häger gibt mit seiner vollen runden Stimme einen guten Bass ab, der sich zum Ende sogar noch steigert. Als Evangelist stürzt sich Tenor Christoph Ganz mit vollen Zügen in die Rolle eines (im besten Sinne gemeinten) Märchenonkels. Mit dramatischer Anlage und großen Augen hält er den Spannungsbogen bei seiner Schilderung der Weihnachtsgeschichte aufrecht. Da ist es kein Wunder, dass das Publikum ob dieser Leistungen „jauchzet und frohlocket“. – erschienen im Dezember 2004 in der Westdeutschen Zeitung Düsseldorf
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