Sie gehört neben Marianne Faithfull, Janis Joplin oder Nico sicherlich zu den Grandes Dames der Rockmusik. In den 70ern zur Rebellin ernannt und zum alternativen Sexsymbol gestempelt, schockierte sie gern und oft mit freizügigen Reden über Selbstbefriedigung und dem Bekenntnis, sich nach einem guten Konzert auch schon mal einzunässen. Patti Smith, US-amerikanische Songschreiberin und Rockpoetin, struppige Schönheit mit zerfurchtem Gesicht, ist längst eine charismatische Göttin mit einem Faible fürs Ordinäre. Im Rahmen der Eröffnungsfeier der diesjährigen RuhrTriennale findet sich die 58-Jährige in der Bochumer Jahrhunderthalle ein, um eines ihrer raren Konzerte zu geben. Rund um die Halle herrscht im Vorfeld des Konzerts Volksfeststimmung. Die pittoresk angelegte Eröffnungsfeier ist im vollen Gange, überall tummeln sich Menschen an den großen und kleinen Veranstaltungsorten. Zwischen Fressbuden und Bierständen unterrichten Festival-Intendant Jürgen Flimm und Gastmoderator Alfred Biolek im Fach „Applaus“, der Kabarettist Richard Rogler giftet unterm Zirkuszelt gegen die politische Grande Dame Angela Merkel und das ChorWerk Ruhr schickt Vokales von Johannes Brahms ins Vestibül der Jahrhunderthalle. Pünktlichkeit mag zwar nicht rebellisch sein, ist aber wichtig für’s Fernsehen, schließlich ist das öffentlich-rechtliche TV live beim Konzert dabei. Also schreitet die Smith pünktlich um 22 Uhr gemessenen Schrittes auf die Bühne, um den Applaus der ausverkauften Halle in Empfang zu nehmen, sich die akustische Gitarre umhängen zu lassen und eine beschwörend-rituelle Initiation in D-Dur anzustimmen. Begleitet wird sie von ihren beiden alten Weggefährten Lenny Kaye (Gitarre) und dem Schwerstarbeit leistenden Jay Dee Daugherty (Schlagzeug) sowie Tony Shanahan (Bass, Keyboard). Sobald Patti Smith ans Mikrofon tritt, wird sofort ihr morbider Reiz aktiv. Mit rauer Stimme und brüchigem Vibrato-Schmelz singt sie von Mozarts unbekanntem Grab und verklärten Selbstmorden, später röhrt, flucht und lärmt sie, dass es eine helle Freude ist. Die vor der Bühne postierten Fotografen verscheucht sie mit einer lapidaren Handbewegung und schlabbernden Manschetten, in der sich die ganze lässige Überheblichkeit der Patti Smith wie in einem Brennglas fokussiert wiederfindet. Da ist sie wieder, die Göttin. Zwischendurch, wenn es richtig laut und rockig wird, wenn die schreiende Patti über die Bühne tobt und die Gitarrenakkorde aus ihrem Instrument herausprügelt, rotzt sie auch gern mal herzhaft in Richtung der ersten Reihen. Da ist sie wieder, die Ordinäre. Für die Coverversion von „Sea of Love“, geschrieben von Rhythm & Blues-Komponist Phil Phillips, greift Patti Smith sogar zur Oboe. Doch leider ruinieren die Musiker das Stück unter ihren Händen beinahe zur Gänze. Die Oboe ist nicht passend zur Band eingestimmt, aus dem eigentlich geplanten Holzbläser-Solo wird nur ein quiekendes, kakophones Gebläse. Augenzwinkernd bestätigt Mrs Smith hinterher, dass man dieses eigentlich schöne Stück nun gerade komplett zerlegt habe. Es soll der einzige Ausrutscher in den gut 100 Minuten des Konzerts bleiben. Das karriereübergreifende Programm präsentiert genauso Stücke von der 75er LP „Horses“ wie aus dem aktuellen Album „Trampin’“. Natürlich fehlen auch die Erfolgskatapulte „Because the Night“, „Dancing Barefoot“ (hier gesellt sich Patti Smith zu ihren tanzenden Fans vor die Bühne) oder das in einer sensationellen Version gespielte „Redondo Beach“ nicht. Das Publikum schafft es, mit viel Jubel noch drei Zugaben herauszukitzeln, danach ist Schluss. Chapeau, Madame! – erschienen im August 2005 in der Westdeutschen Zeitung Düsseldorf
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Der Popwart
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