Felix und Fanny Mendelssohn Bartholdy gelten als eines der musikalisch innigsten Geschwisterpaare in der Kunstgeschichte. Beide hochtalentiert und in eine Familie geboren, die sich die besten Ausbildungsmöglichkeiten der Zeit leisten konnte, werden Fanny und vor allem Felix in der Literatur zumeist als unbekümmerte und vergnügte Künstlerseelen dargestellt, denen sich das Leben nur von der Sonnenseite zeigte. So auch in dem moderierten Konzert im Lesesaal des Heinrich-Heine-Instituts anlässlich des 200. Geburtstags von Fanny Hensel, geborene Mendelssohn Bartholdy. Prof. Dr. Ute Büchter-Römer hat für den runden Geburtstag am 14. November in ihrem Archiv gegraben und eine Auswahl von Briefen, Zitaten, Anekdoten und Dokumenten zusammengestellt, die das Bild einer sehr freundlichen, humorvollen, gleichzeitig scharfsinnigen und eigensinnigen Persönlichkeit zeichnen, die nicht gerade gegen das Rollenverständnis ihrer Zeit aufbegehrte, aber es doch immerhin als unbequem empfunden hat. Die ausgewählten Texte stammen dabei sowohl von Fanny selbst, als auch von den sie umgebenden Menschen wie die Eltern Abraham und Lea, Sohn Sebastian, Ehemann Wilhelm Hensel, Freunde wie Goethe und Heine sowie natürlich aus dem engen Briefwechsel mit Bruder Felix. Ergänzt wird der Vortrag von einigen Liedern Fanny Hensels, vorgetragen von Prof. Michaela Krämer (Sopran) und Michael Zieschang (Klavier). Das Oeuvre Fanny Hensels umfasst die erstaunliche Anzahl von über 400 Kompositionen, bis heute ist dieser musikalische Schatz aber erst zu sehr kleinen Teilen gehoben. Ihre Werke erklangen zumeist im Rahmen der Sonntagsmusiken im Berliner Palais der Mendelssohns, einer der wichtigsten Treffpunkte der geistigen Elite ihrer Zeit. Bis kurz vor ihrem Tod wurde Fanny von der Familie nicht zugestanden, ihre Werke auch zu veröffentlichen. Das sei allein dem Bruder vorbehalten, der im Unterschied zu ihr die Musik als Beruf, nicht nur als Zierde ausübe. Trotz der wenigen zugänglichen Werke lässt sich das altehrwürdige Lexikon der "Musik in Geschichte und Gegenwart" dazu hinreißen, Fanny Hensel als die "bedeutendste Komponistin des 19. Jahrhunderts" zu adeln. Büchter-Römer geht sogar soweit, in Fanny Hensels Klavierstück "November" eine Vorwegnahme der Anfangstakte von Wagners "Tristan" zu erkennen. Leider bleibt es bei der Erwähnung, zu gerne hätte man diese These am Klavier noch näher beleuchtet bekommen. Übrigens ist der Ort der Sonntagsmusiken heute noch existent. Die Leipziger Straße 3 in Berlin ist heute die Adresse des deutschen Bundesrates. – erschienen im November 2005 in der Westdeutschen Zeitung Düsseldorf
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Dass Fußball für Frauen ein ähnliches Mysterium darstellt, wie Schuhe für Männer, ist mittlerweile bekannt. Gemeinhin liegt die Lösung dieses Konflikts in gegenseitiger Vermeidung des Themas. Anders beim Auftritt von Queen Bee im Savoy Theater. Bevor sich das Duo am Jahresende auflösen wird, versuchen Ina Müller und Edda "Schniddie" Schnittgard mit ihrem Programm "Abseits ist, wenn keiner pfeift" allen Warnungen zum Trotz noch ein letztes Mal, diesem größten aller Rätsel zwischen Mann und Frau auf die Spur zu kommen. Nun muss man sagen, dass Ina Müller eine der ganz seltenen Ausnahmen darstellt, outet sie sich doch recht schnell als glühende Verehrerin des FC Bayern München. Und das als Friesin! Im Publikum findet sie in Fortuna-Fan Michael und Sitznachbar Hendrik schnell zwei Verbündete. Der eine bekräftigt "Es geht um Ideale", der andere bekennt "Fortuna ist das Leben". Wir werden später noch mehr von den beiden hören. Allerdings darf die sportliche Ina nur vom runden Leder plaudern, wenn die drallere Edda gerade mal nicht zugegen ist. Sobald diese aber wieder vom Schuhe(!) oder Wasser holen zurück auf der Bühne ist und auf ihrem Gesundheitsball am Flügel sitzt, ist Fußball wieder tabu. Aber es gibt ja zum Glück noch so viele andere Klischees über die ewigen Geschlechterkämpfe, da findet sich genügend Material. Und so singen die zwei mit Stimmen zum Verlieben über den Trend zur "Zweitflasche" im Bett, über verklemmte Jugendverehrer und natürlich über die ewigen Muttersöhnchen, denen man im Mannesalter erstmal die Illusion der sich selbst reinigenden Wohnung nehmen muss. Ina Müller intoniert die Lieder dabei gerne im plattdeutschen Zungenschlag ihrer Heimat, Coverversionen von Seal oder Selig veredelt sie mit ihrer rauchigen Soul-Stimme. Queen Bee erinnern sehr oft an die Missfits, was auch nicht verwundert, schließlich führt mit Gerburg Jahnke eine Hälfte des großen Vorbilds bei Ina und Schniddie Regie. Das Lachniveau schiebt sich dennoch über weite Strecken eher im Mittelfeld hin und her, erst kurz vor Ende der regulären Spielzeit werden die beiden auch vor dem Tor richtig gefährlich. Hendrik und Michael müssen im Finale noch mal ran und als lebende Requisiten mit aufblasbarer Gitarre und grellen Trommelstöcken als Begleitmusiker-Staffage herhalten. Ina Müller bringt die zwei optisch noch ein bisschen in Schwung, "ohne die Strickjacke siehst Du direkt 100 Jahre jünger aus", zerzauselt ihnen kräftig die Haare, dann müssen die zwei Ärmsten im Bühnennebel alles geben. Tosender Applaus belohnt alle vier. Mit einem Zusammenschnitt aus früheren Programmen hängen die Damen dann auch noch etwas Nachspielzeit an. – erschienen im November 2005 in der Westdeutschen Zeitung Düsseldorf Es ist schon bemerkenswert, wie eng so manche Biographie mit dem Namen Udo Jürgens verbunden ist. Beispielsweise meine eigene. Meiner Kindheit entsinne ich mich klanglich hintermalt von einem bereits sensationell erfolgreichen Udo, der mit halblanger Fönwelle und ordentlichen Koteletten seine Harry-Belafonte-Adaption "Mathilda" auf allen drei TV-Kanälen singt. In den folgenden Jahren ist Udo-Jürgens-Musik im elterlichen Haushalt omnipräsent, erst viel später erkenne ich daher, dass es sich bei den Erinnerungen an "Aber bitte mit Sahne", "Der Teufel hat den Schnaps gemacht", "17 Jahr, blondes Haar" oder eben auch jener "Mathilda" gar nicht um Lieder handelt, die das betreuende Personal damals mit uns im Kindergarten gesungen hatte, sondern um die Kompositionen des Österreichers Udo Jürgen Bockelmann. Um allerdings der überwiegend mütterlichen Verehrung den Weg zu bahnen, musste schon einige Jahre früher dazu erst der Name Bockelmann verschwinden. Erster Versuch 1951: Udo Bolan. Unter diesem Namen versucht es der 17-jährige Udo als Jazzer am Piano. Er studiert bereits seit drei Jahren am Konservatorium in Klagenfurt Klavier, Komposition und Gesang, hat erste Höreindrücke von Count Basie, Benny Goodman sowie Tommy Dorsey aufgesogen und will es jetzt wissen. Es reicht für eine erste Single "Es waren weiße Chrysanthemen". Doch von diesen Themen will kaum jemand etwas wissen, die Single floppt, der Name Bolan ist erledigt. Ab 1954 heißt es nur noch: Udo Jürgens. Seine harte Arbeit der nächsten zahlt sich aus, er wird vom anerkannten Jazzpianisten zum erfolgreichen Liederkomponisten. Auftritte beim Grand Prix Eurovision de la Chanson krönt er 1966 mit "Merci Chérie", er ist zudem einer der ganz wenigen, deren Karriere diesen Tümpel der Eintagsfliegen recht unbeschadet übersteht. Ja gut, Abba haben sich auch nicht schlecht geschlagen. Udos berufliches Leben nimmt weiter Fahrt auf, er wird in den 70ern zum Aushängeschild des deutschen Schlagers, komponiert Songs für Stars wie Shirley Bassey, Caterina Valente, Brenda Lee oder Matt Monroe. Seinen griechischen Wein exportiert er bis nach Las Vegas, wo Bing Crosby ihn als "Come share the wine" in den Glitzerwelten der Casinos reichlich ausschenkt. 1980 hat Udo Jürgens laut dem Institut Allensbach einen Bekanntheitsgrad von 95% unter den Deutschen. Trotzdem verlieren wir uns im Laufe der 80er doch ein wenig aus den Augen, der Udo und ich. Der eine hat genug mit Problemen zwischen Pickeln und Schule zu tun, der andere schlüpft lieber in silbern glänzende Zweireiher und setzt sich hinter einen gläsernen Flügel. Für uns beide beginnen aber in jenen Jahren die ganz eigenen Probleme mit den Frauen. Erst nach dem Bezug einer eigenen Studentenbude wird der ehemals so enge musikalische Lebensabschnittsgefährte wieder aktuell. Oft schwirrt das "ehrenwerte Haus" durch den Kopf, wenn es mit Feudel und Eimer bewaffnet durch den Flur des Mietshauses ging - kontrollierende Blicke hexenartiger Nachbarinnen durch den Türspion inklusive. Und als es dann vor wenigen Jahren zur grellen Wiederbelebung des Schlagers kommt, als Guildo Horn und Dieter Thomas Kuhn davon schwärmen, noch niemals in New York gewesen zu sein, als sie immer und immer wieder die Sonne aufgehen lassen, da staunen alle über die eigene Textsicherheit und erfreuen sich daran, dem Werk von Udo Jürgens einen Teil ihrer musikalischen Sozialisation zu verdanken. Solch ein Schwelgen in plüschigen Erinnerungen riecht schnell ein bisschen nach guter alter Zeit, aber davon will Udo Jürgens selbst nichts wissen: "Es gibt keine gute alte Zeit. Man verklärt nur immer gerne die Jugend, das machen alle Menschen so. Das war die Zeit der großen Gefühle im Leben, der Liebe." Und wo er schon einmal dabei ist, mit falschen Etiketten aufzuräumen, wischt er auch den Begriff "Schlagersänger" beiseite: "Das hat mich früher ungemein geärgert, wenn alle in mir nur den Schlagersänger sahen. Ich habe eigentlich Lieder geschrieben, die ich als Chansons angesehen habe." So manches künstlerische und private Leben sei schon an solchen Missverständnissen zerbrochen, erzählt er. "Roy Black hat bei einem Glas Wein schon manches Mal eine Träne zerdrückt, weil er nicht sein wollte, für das ihn alle hielten." Heute liegt mit "Jetzt oder nie" Udo Jürgens 50. Studioproduktion in deutscher Sprache auf dem Tisch. Man muss das etwas sperrig umschreiben, denn nimmt man die vielen Live-Alben hinzu sowie die international in acht Sprachen veröffentlichten LPs, dann ist die Zahl noch ein erhebliches Stück größer. Für dieses musikalische Mammutwerk erhält Udo Jürgens Ehrungen zuhauf, unter anderem Goldene Europa, Goldene Kamera, Bambi, Deutscher Schallplatten-Preis, Goldenes Concert Ticket, Star des Jahres, Sänger des Jahres, Concert of the Year, Deutscher Filmpreis bis hin zur Auszeichnung zum Kultsänger des Jahres 1997. Von den Rekordzahlen seiner Tourneen ganz zu schweigen – zig Millionen verkaufte Tonträger, hunderttausende Konzertbesucher, Tourneen mit weit über hundert Stationen - man fragt sich, hat der Mann mit seinen 71 Jahren nicht alles erreicht? Was ist es, das ein "Jetzt oder nie" herausfordert? "Es geht nicht darum, was ich selbst erreiche", sagt Udo, "es geht darum, was jeder Einzelne von uns in jedem Moment seines Lebens mit Entschlossenheit und Begeisterung tun kann. Ich vermisse heute etwas den Pioniergeist der 50er Jahre. Mich einfach zurückzulehnen, hieße nur noch auf das Ende zu warten. Das wäre überhaupt nicht meine Vorstellung vom Lebenssinn. Leben heißt für mich, sich immer neue Ziele zu setzen." Wie ernst es ihm mit solchen Ankündigungen ist, mag man daran ablesen, dass er nicht nur ein neues Buch über die Gedanken beim Schreiben von Liedern plant, sondern dass ihn immer noch selbst völlig abwegig erscheinende Ideen durchaus reizen. Für eine gemeinsame Single mit den Brachial-Rockern von Rammstein würde er zum Beispiel sofort zur Verfügung stehen. Meinen Segen hat er. Dafür kennen wir uns schließlich lange genug. – erschienen im Oktober 2005 in der Westdeutschen Zeitung Düsseldorf Niemand brachte eine Trompete, ein weißes Taschentuch und eine strahlende Zahnreihe so in Einklang wie der amerikanische Jazz-Trompeter Louis "Satchmo" Armstrong. Von seinen Fans geliebt, warfen ihm seine Kritiker aber vielfach eine zu starke Anbiederung an die Kultur der Weißen vor. Miles Davis ereiferte sich gar, sein großes Vorbild als "Dauergrinser" zu schmähen. Mittlerweile sind sich aber alle Kenner über Armstrongs festen Platz am Jazz-Himmel längst einig. 35 Jahre nach dem Tod des Schöpfers von "Hello Dolly" ist dessen Popularität nach wie vor groß genug, um das Stadttheater Ratingen für die Aufführung des Musicals "Satchmo – The Louis Armstrong Story" fast auszuverkaufen. In einem kurzweiligen Zweiakter werden Episoden aus dem Leben Armstrongs in Rückblenden erzählt, an die sich der 70-Jährige während eines Interviews erinnert. Bei der Besetzung des Louis Armstrong steht man natürlich vor dem großen Problem, jemanden zu finden, der nicht nur äußerlich der Jazz-Ikone ähnelt, sondern auch die Trompete spielen kann wie Satchmo. Ersteres ist Regisseur Michael Oberer mit dem Schauspieler Alvin Le-Bass hervorragend gelungen. Die Physiognomie des Musical-erprobten Mimen kommt dem Vorbild erstaunlich nahe, Spielhaltung und das bekannte breite Lächeln sitzen sehr gut. Ja, selbst die eigentümliche Stimme Armstrongs kann er imitieren. Allerdings bleibt die Illusion nur so lange, wie Le-Bass Stimme und Spiel beibehält. Die meiste Zeit spricht er aber im natürlichen Stimmfall und singt mit seinem hohen Bariton. Das erledigt er allerdings – wie alle seine Kollegen – mit sehr solider Professionaliät, daran lässt sich wirklich nichts aussetzen. Musikalisch ist es Antoine Lydell Drye, der sich dem klingenden Vergleich mit dem "King of Jazz" stellt. Angeführt vom musikalischen Leiter und Arrangeur Marty Jabara liefert auch er eine saubere Leistung ab. Von den ärmlichen Jugendjahren über erste Erfolge in den "roaring 20ies" bis zum Aufstieg des Weltstars in den 50er und 60er Jahren fächert die Handlung das Leben Louis Armstrongs auf, auf dem Bühnenhintergrund sieht man dazu passende originale Fotos aus der jeweiligen Zeit, alles untermalt von viel Jazz-Musik. Die Dialoge sind zwar schon aufs Wesentliche reduziert, eine schwache Tontechnik verhindert aber dennoch gute Verständlichkeit der Texte in den hinteren Reihen. Zum Schluss erklingt natürlich das lang erwartete "What A Wonderful World", bevor langer Applaus das Ensemble belohnt. – erschienen im Februar 2005 in der Westdeutschen Zeitung Düsseldorf Blicken wir kurz zurück auf das Jahr 1976. Vier schlaksige Hänflinge in abgerissenen Jeans, Ringel-T-Shirts und schwarzen Lederjacken wählen in New York City als gemeinsamen Nachnamen "Ramones" und veröffentlichen unter gleichem Titel ihre erste LP. Sie haben die Nase voll von erstarrten Dinosaurier-Bands wie Led Zeppelin, Deep Purple oder Genesis. Sie wollen wieder den puren Rock'n'Roll. Aus Mangel an spieltechnischem Können und mit achselzuckender Unbekümmertheit erfinden die Ramones in den 1970ern ihren eigenen Musikstil, der wenig später als Punk vor allem in Großbritannien für Furore sorgen wird. Die Ramones gehen dabei als Vorbilder und eine der archetypischen Punkbands in die Geschichte ein. Zurück ins Heute. Die Band ist seit knapp 10 Jahren aufgelöst, von den vier Gründungsmitgliedern sind Joey Ramone, Johnny Ramone und Dee Dee Ramone mittlerweile verstorben, nur Ur-Trommler Tommy Ramone lebt noch. Aus Gründen, die nur er selbst kennt, hat er Anfang des Jahres die musikalische Leitung des ersten Ramones-Musicals "Gabba Gabba Hey! – A Lower East Side Story" übernommen, das jetzt auch in der Kölner Live Music Hall über die Bühne geht. Nun mag man zurecht einwenden, dass die musikalischen Schluchten zwischen dem Punkrock à la Ramones und der Gattung Musical an sich als eigentlich unüberwindbar scheinen. Stellt man sich dann noch vor, die drei toten Ramones kämen zurück und würden ihren verbliebenen "Bruder" um eine Rechtfertigung für das Stück bitten - er hätte ernste Probleme. Das, was da in einer knappen Stunde vor den rund 400 erschienenen Besuchern heruntergekaspert wird, ist von den Verantwortlichen vorsorglich als Hommage an die Ramones und als Musical-Parodie deklariert worden. Doch beides stimmt nicht. Inszeniert von Trash-Regisseur Jörg Buttgereit hampeln und zappeln die Darsteller (der bekannteste Name ist Rolf Zacher, der mit Punk so rein gar nichts am Hut hat) auf der mit Stellwänden anspruchslos dekorierten Bühne herum. Zu "Sheena is a Punk Rocker" ereifert sich das achtköpfige Ensemble im Luftgitarre-Spielen, die Party-Hymne "Blitzkrieg Bop" verkommt zum albernen Rumgehopse. Die dazwischen zusammenhangslos plätschernde und erschreckend dämliche Story, in der alle noch so einfallslosen Teenie-Klischees verwurstet werden, bietet lediglich den bedauernswerten Vorwand für eine Auswahl von Ramones-Songs, die von dem begleitenden Trio "Forgotten Souls" ziemlich lieblos heruntergeknüppelt und von den dünnen Stimmchen der Akteure vollends ruiniert werden. Als wäre das alles nicht schon schlimm genug, besiegeln beständig nervende Mikrofon-Geräusche den nachhaltigen Verdruss. Über die unsägliche Darstellung eines weiteren verglühten Punk-Sterns, dem New York Dolls-Gründer Johnny Thunders, wollen wir dann auch besser schweigen und zum Trost lieber die Orginal-LPs aus dem Schrank ziehen. – erschienen im Oktober 2005 in der Westdeutschen Zeitung Düsseldorf An sich ist Helge Schneider ein ausgesprochen heimatverbundener Mensch. Seit Jahr und Tag wohnt und lebt er in seiner Geburtsstadt Mühlheim an der Ruhr, Gedanken an einen Umzug sind für ihn kein Thema. "Nee, da wo ich wohne ist es so schön, das kann man sich kaum vorstellen und das Wetter ist auch gut", bekannte er sich einst zu der kleinen Stadt im Ruhrgebiet. So nimmt es sich denn auch nicht Wunder, dass Helge Schneider nicht einmal für eine Expeditionsreise rund um die Welt das Haus verlässt. Alles, was er benötigt, um ein Buch wie seinen zuletzt erschienenen Reisebericht "Globus Dei" zu verfassen, findet er offenbar am Schreibtisch in Mühlheim an der Ruhr. Auf 125 Seiten kann man hier nachlesen, was der gefühlte Enkel von Roald Amundsen und Sir Robert Scott auf seiner Tour vom Nordpol bis Patagonien so alles erlebt hat. Doch selber lesen ist bei einem Autor wie Helge Schneider nur der halbe Spaß. Weitaus lustiger wird es, wenn Schneider selbst Stimme und Augenbraue erhebt und seine Texte rezitiert. Die jüngste Gelegenheit bietet sich dazu im Savoy Theater, wo ein gut aufgelegter Schneider die Bühne betritt und zum Einstieg erst einmal "Grüße aus dem Wienerwald" auf einer quietschigen Mini-Orgel anstimmt. Er sei ein wenig erkältet, sagt Helge, doch das schade ja der Märchenonkel-Erzählstimme eigentlich nicht. Zum Beweis beginnt er mit ausgeprägt knarziger Stimme seine Lesestunde mit dem ersten Buchkapitel über den Nordpol. Untermalt von der sirenenartig winselnden Orgel treibt er die Artikulation der einzelnen Worte umgehend ins Absurde, kaum verständlich zerkaut er die einzelnen Silben und Buchstaben im übertrieben erschöpften Tonfall des einsamen Expediteurs. Später verfällt er auch in friesischen Singsang, imitiert Peter Maffay oder sächselt steinerweichend. Der ausverkaufte Saal liegt ihm hier bereits kichernd zu Füßen. Doch trotz aller skurrilen Geschichten über halbgefrorene Stiefel, Eisbärexkremente im Polarrucksack von Tchibo oder Rezepte aus Salz und Pfeffer gegen anfrierende Augenlider, "Globus Dei" ist nicht Schneiders bestes Buch. Zwar ist vieles darin ganz witzig, man kann auch oft schmunzeln, doch so richtig lustig wird der Abend erst, als Schneider seinem Text spontanen Irrsinn hinzudichtet, wenn er beginnt zu improvisieren und den vermeintlichen roten Faden komplett über Bord wirft. Dann liest er nur noch quer durch sein Buch wahllos kurze Sätze, versieht sie mit lakonischen Kommentaren und lässt so die Helge-typischen Albernheiten entstehen. Nach so einer weltumfassenden Reiseerfahrung ist klar, welches Ziel sich für Helge Schneider als nächstes stellen wird. Es bleiben ja eigentlich nur noch die Weiten des Raumes. Diesen Schluss legt zumindest der Titel des neuen Programms "Kampf im Weltall" nahe, mit dem Helge Schneider Anfang März nächsten Jahres in Düsseldorf wieder zu sehen sein wird. – erschienen im Oktober 2005 in der Westdeutschen Zeitung Düsseldorf
Es ist erst knapp 50 Jahre her, dass alle fünf Akte der zweiteiligen Oper "Die Trojaner" von Hector Berlioz an einem Abend des Jahres 1957 zusammen aufgeführt wurden. Zuvor wurde die Oper stets an zwei Abenden getrennt gespielt, zumeist sogar nur einer der beiden Teile allein. Selbst Berlioz hörte zu Lebzeiten nur den zweiten Teil seiner monumentalen Heldenverehrung. Stattgefunden hat die erste Gesamtaufführung aber noch nicht einmal in Berlioz französischer Heimat, sondern am Covent Garden in London. Erst weitere 21 Jahre hat es gedauert, bis in Marseille das kolossale Mythenwerk 1978 am Stück über die Bühne ging. Die Gründe für diese lange Vernachlässigung sind nicht einfach zu finden, allein die Spieldauer kann es nicht sein, ein "Siegfried" oder eine "Götterdämmerung" sind ein gutes Stück länger. Beim Werkstattgespräch im Düsseldorfer Opernhaus zur bevorstehenden Premiere der "Trojaner" am 29.10. wundern sich die Beteiligten ebenfalls über diese schmähliche Rezeptionsgeschichte. Befragt von Dramaturg Peter Heilker erzählen Regisseur Christof Loy, Bühnenbildner Herbert Murauer, die Solisten Evelyn Herlitzius (Kassandra), Jeanne Piland (Dido), Katarzyna Kuncio (Anna), Albert Bonnema (Aenneas) sowie der Marburger Professor Hermann Hofer dem reichlich erschienenen Publikum etwas vom trojanischen Pferd. An der Deutschen Oper am Rhein kommt das Stück nach 10 Probenwochen zum allerersten Mal auf den Spielplan. Dabei werden die Akte I und II im Theater Duisburg ab 15.00 Uhr zu sehen sein, um 19.30 Uhr geht es dann in Düsseldorf mit den Akten III bis V weiter. Diese außergewöhnliche Aufteilung einer Oper auf zwei Häuser sei nie passender gewesen als im Fall der "Trojaner", so Peter Heilker. Es gäbe kaum eine bessere Gelegenheit, die seit 50 Jahren bestehende Theater-Ehe von Düsseldorf und Duisburg zu feiern, des weiteren ist der gigantische Apparat der Bühnenbilder eigentlich nur auf zwei Bühnen realisierbar. Auf die Frage, ob die Odyssee von Duisburg nach Düsseldorf nicht der Stimme schade, antwortet Aeneas-Darsteller und Tenor Albert Bonnema gelassen: "Solange mich eine große Limousine fährt, mache ich das gerne." Einen ganz besonderen Auftritt hat sich der musikalische Leiter John Fiore zurecht gelegt. Am Flügel liefert der bekennende Berlioz-Fan im prestissimo eine überaus lebhafte Inhaltsangabe des "französischen Rings" mit vielen kurzen Musikbeispielen ab. Mehrmalig sieht man ihn mit ausgebreiteten Armen wie ein Adler vor dem Instrument flattern, um der klanglichen Dramatik auch optisch gerecht zu werden. Wie immer gründlich vorbereitet, zieht er während seines humorigen Vortrags eine CD mit der kompletten Werkeinführung aus der Hosentasche. Vielsagender Titel, der auch auf das Werkstattgespräch gepasst hätte: Die John-Fiore-Show! – erschienen im Februar 2005 in der Westdeutschen Zeitung Düsseldorf Das Gefühl kennt sicher jeder Autofahrer, dessen Wagen mal nicht anspringt, kaputt geht oder durch anderweitig zickiges Fahrverhalten den Unmut des Lenkers auf sich zieht. Zu gerne möchte man dem störrischen Fahrgerät dann mit beherzten Tritten wieder Manieren beibringen. Christian von Richthofen und Kristian Bader scheinen von ihren Kraftfahrzeugen in besonderem Maße enttäuscht worden zu sein, denn sie zelebrieren in ihrem Bühnenspektakel "Auto Auto!" das Treten, Schlagen und Zerlegen eines Kompaktklasse-Wagens mit derart lustvoller Hingabe, dass man kaum mehr überschäumende Affekte als einzige Erklärung anführen mag. Gegenstand ihrer Verkehrserziehung der besonderen Art beim Altstadtherbst im Isis-Zelt ist ein Opel Kadett E. Doch angeblich sei es weniger die besonders hohe Verfügbarkeit des Kadetts an den hiesigen Schrottplätzen, die dieses Modell zum bevorzugten Instrument der beiden Musiker und Schauspieler werden ließ, sondern allein der besonders gute Klang. Er sei der Steinway unter den Konzertmobilen, sagen die beiden, ihr Programm nennen sie auch die erste echte "Opelette". Nach kurzem musikhistorischen Abriss über die ach so unterschätzte Bedeutung des Opel Kadett E legen die beiden auch schon erste Hand an die (noch) strahlend weiße Karosse des wehrlosen Gefährts. Es ist erstaunlich, welche höchst authentischen Schlagzeug- und Percussionklänge die Opel-Gang aus dem Wechselspiel von Schlägen auf Scheiben und Dach, mit klappernden Griffen und zugeschlagenen Türen entstehen lassen kann. Im schmissigen Bossa-Nova-Rhythmus umkreisen von Richthofen und Bader ihren Rüsselsheimer Liebling und singen dazu bestechend präzisen a-cappella Gesang. Doch bei diesen vergleichsweise netten Streicheleinheiten soll es beileibe nicht bleiben. Der mechanisch-musikalische Crash-Kurs geht in rasanter Fahrt weiter in Richtung Irrwitz. Mit angeklatschtem Seitenscheitel und keifender Stimme sorgt Kristian Bader mit seinem Spiel als am TÜV gescheiterter Fahrzeug-"Führer" für makaber-boshaften Scherz, später serviert Christian von Richthofen dem Publikum so profane Werkstattarbeiten wie den Ausbau einer Windschutzscheibe hochkulturell unterlegt mit der Rezitation von Gustav Schwabs Gedicht "Der Reiter und der Bodensee". Im Finale, zu dem aus einem Geigenkasten auch noch eine Flex hervorgeholt wird, geht dieses letzte und ultimate Duell Mann gegen Maschine seinem Funken sprühenden Höhepunkt entgegen, zu Tschaikowskys "Schwanensee" tanzen die beiden mit Vorschlaghämmern bewaffnet um ihr musikalisches Verschleißteil und ziehen ihm das Blechkleid endgültig über die verbeulten Ohren. Verschwitzt, dreckig und stolz stehen sie schließlich vor den dampfenden Trümmern ihrer künstlerischen Arbeit und nehmen den begeisterten Applaus des ausverkauften Zelts entgegen. Eins bleibt merkwürdig, irgendwie scheint das eigene Auto auf der Heimfahrt plötzlich viel folgsamer zu fahren. – erschienen im Oktober 2005 in der Westdeutschen Zeitung Düsseldorf Ein Oberkörper, der sich oberhalb der Hüfte um 360 Grad dreht, ein Kopf, der plötzlich dem Rumpf um Armeslänge vorausschwebt, man mag seinen Augen kaum trauen, wie glaubhaft Victoria Chaplin und Jean Baptiste Thierrée beim "Cirque Invisible" allen anatomischen und optischen Gesetzen widersprechen. Das Künstler-Ehepaar zeigt auf der Bühne des Isis-Zelts beim Altstadtherbst zwei Stunden lang großes Kino für Augen und Herz. Seit 30 Jahren sind die beiden als Missionare für eine neue Art des Zirkus unterwegs, suchen nach neuen Inhalten und Formen für diese Kunst. Die traditionelle Manege ist bei ihnen nur noch durch einen großen stilisierten Kreis präsent, Sägemehl fehlt ebenso wie lärmende Musik oder wilde Tiere, mal abgesehen von Kaninchen und einer kleinen Entengruppe, die überaus goldig zu einem Okarina-Duett singt, respektive quakt. Mit "Cirque Invisible" setzen die zierliche Chaplin mit ihrer langen schwarzen Mähne und der verschmitzt grinsende Thierrée mit Andy-Warhol-Frisur auf leise, verträumte Töne, sie verzaubern durch fantasievollen Mummenschanz und mimikryhafte Verwandlungen von vermeintlich unbelebten Gegenständen zu stolzen Fabelwesen sowie durch viel magischen Schabernack, von Thierrée stets feixend aus einer großen Sammlung von Koffern vorgeführt. Victoria Chaplin, die von ihrem berühmten Vater den unschuldigen Blick aus den großen Kulleraugen geerbt hat, zeigt mit vielen Kostümierungen scheinbar unmögliche Metamorphosen. So wird aus einer weit ausgestellten Rokoko-Robe in wenigen, beiläufig dahinschwebenden Handgriffen plötzlich ein Pferd. Jede ihrer Bewegungen ändert das Bild, kaum meint man das Dargestellte zu erkennen, entsteht schon wieder etwas Neues. Ein Höhepunkt ist sicher ihr Auftritt als wandelnde Spieluhr, bei dem sie mit Kristallschüsseln und Blechtöpfen "bekleidet" über die Bühne schreitet und dabei mit Holzschlägeln höchst poetische Klänge hervorbringt. Ihr Drahtseil-Balanceakt demonstriert außerdem, dass die 54-Jährige auch das klassische Terrain beherrscht. Jean Baptiste Thierrée ist dagegen fürs Komische zuständig. Natürlich kann er auch richtig zaubern, Häschen und Tauben inklusive, aber bei ihm darf auch mal etwas daneben gehen. Seine Jonglage-Nummern oder die klassische "zerteilte Jungfrau" etwa vergeigt er aufs Köstlichste, rettet sich dann gerne mit kleinen Albernheiten aus den gespielten Malheurs. Manche seiner Auftritte sind nur wenige Sekunden lang, präsentieren ihn in überdrehten Verkleidungen, die die Nonsense-Komik eines Helge Schneider oder der britischen Monty Python streifen. Wie auf einer Kette reihen sich die illusorischen Kostbarkeiten aneinander, jede circensische Perle schimmert in anderem Licht und löst bei den Betrachtern wonnige Freude am Gesehenen aus. Schon zur Pause dröhnt donnernder Applaus, am Ende springt das Publikum aus den Sitzen und überschüttet die Zirkuskünstler mit frenetischem Jubel. – erschienen im September 2005 in der Westdeutschen Zeitung Düsseldorf Muss das denn wirklich sein? Da hat man sich so gerade von der Idee des hiesigen Sommers verabschiedet, da kommt Meret Becker daher und besingt in einer Hommage an Finnland die Freude an Schnee, Polarluft und einem halben Jahr Dunkelheit. "Høllekin gen 41°" ist der erklärungsbedürftige Titel ihres Konzerts beim Altstadtherbst, zu dem sie ihre Ars Vitalis Begleiter Buddy Sacher (Gitarre) und Peter Wilmanns (unter anderem an Klarinette und Mundorgel) mitgebracht hat. "Høllekinkøllekin" ist die traditionelle Formel, die sich der Ottonormalfinne bekanntermaßen gern und oft zum erhobenen Starkbier zuruft und den Meret - an diesem Abend verzichtet sie auf ihren offenbar zu unskandinavischen Nachnamen – mit viel schwärmerischer Empfindung auf 41° gen Nord-Nordost sendet. Nach rund 1500 Kilometer erreicht man auf diese Art Helsinki. Finnland heißt also das liebeserklärte Ziel der melancholischen Schwelgerei in leisen Tönen, die das Trio vor ausverkauften Reihen im Isis-Zelt präsentiert. Neben einer ganzen Reihe an illustren Musikinstrumenten wie singender Säge, Kinderklavier, Spieluhren oder auch einer Hutschachtel als Schlagzeug-Ersatz hat Meret Becker auch ganz viel trauriges Liedgut aus dem hohen Norden im Gepäck. Im weißen langen Kleid, schwarzem Tuch um die Schultern und hochgesteckten Haaren ist sie optisch eine Mischung aus Björk und den Bewohnern des Schwarzwaldhauses von 1900. Sie bekennt, selbst noch nicht in Finnland gewesen zu sein, doch die gängigen stereotypen Häppchen über die Kultur der eisigen Nordmänner beherrscht sie dennoch aus dem Effeff. Natürlich muss deshalb die Bühne mit halbleeren Bier- und Schnapsflaschen übersät sein und es müssen auch ein paar rotweinselige Aphorismen dran glauben: "Wenn ich alles getan hätte, was ich könnte, dann wäre ich heute tatenlos". Das ist ein bisschen abgegriffen und liebäugelt etwas zuviel mit Klischees, aber was die Drei an musikalischer Poesie hervorzaubern, ist von feiner Klasse und raffinierter Klangschönheit. Buddy Sacher, glaubhafter Bohéme mit weißen Lederschuhen, lässt seine Gitarren wunderbar beseelt singen, Peter Wilmanns ergänzt mit verträumter Bassklarinette und Meret singt in glitzernden Facetten. Zwar sind manche der Kinderlieder, französischen Chansons und lagerfeurigen Country-Balladen eigentlich zu tief für ihre Stimme, manchmal röhrt sie auch zum finnischen Tango wie eine freche Göre oder krächzt sich als Eishexe durch windschiefe Polkas. Aber das alles fügt sich zusammen, verbindet sich zu Musik wie im Abspann eines Aki-Kaurismäki-Films. Die surreale Stimmung vertiefen projizierte Stimmungsbilder, so dass zu sphärisch klingender Glasorgel der vor einer Leinwand singenden Meret auch mal ein finnisches Rentiergeweih aus dem Kopf wächst. Das Publikum ist angerührt von so vielen schwermütigen Seufzern und verklärtem Andenken an die Kindheit, es dankt mit langem Applaus nach dem "Finnale". – erschienen im September 2005 in der Westdeutschen Zeitung Düsseldorf |
Der Popwart
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