Nein, ein sensibler Feingeist wird er wohl nie werden. Der letzte Drill-Sergeant der deutschen Comedy-Szene, Ausbilder Schmidt, ist mit Freuden der Mann für's Grobe, reißt einen bösen Kalauer nach dem anderen auf Kosten aller Zivis, Langhaarigen, Hippies und sonstigen Randgruppen. Eben alle, denen er mangelnde Männlichkeit unterstellt und die er am liebsten unter seinem Lieblingsschlagwort Luschen subsumiert. Die Fans des Ausbilders fügen sich gerne in die Rolle der Lusche, lieben seine gebrüllten Tipps wie: "Du willst ein Pony? Dann geh zum Frisör!" und strömen in freudiger Erwartung seiner zackigen Strenge entgegen. So tritt auch zur Premiere des neuen Programms "Ruck Zuck – Comedy zum Kuscheln" eine ordentliche Zahl an Fans im Savoy Theater zum erhofften Lachappell an. Für das neue Programm hat sich der Ausbilder, bürgerlich Holger Müller, mit Lars Hohlfeld seinen angeblich eigenen Schwager als neuen Partner in die Kompanie geholt. Hohlfeld dient dabei hauptsächlich als Vorzeige-Lusche, aus der der Ausbilder mit Einpauken des "Luschen-ABCs" einen echten Kerl machen will. Aber so gut wie früher ist der Ausbilder diesmal nicht. Einst konnte man über seine so schön politisch unkorrekt rausgeschnodderte Offenheit herzlich lachen. Seine ewig gestrige Art, das Leben so einfach wie möglich zu sehen, machte ebensoviel Spaß wie Zeuge seiner platten Verherrlichung diverser Männlichkeits-Riten zu werden. Mittlerweile aber scheint der Ausbilder ins zweite Glied der hiesigen Komiker zurückgetreten zu sein. Die derben Scherze über einzelne Besucher, die auf den Namen "Stefan und/oder Stefanie" hören und sich auf Zuruf zum Affen machen müssen, nutzen sich doch schneller ab, als man erwartet hätte. An vielen Stellen der ersten Hälfte tritt statt augenscheinlich eingeplanten Lachern und Applaus nur Stille ein, witziges Tempo kommt zwischen solchen Rohrkrepieren nur wenig auf. Manche ohnehin eher lahme Nummer zwischen albernem Klamauk und schon besser gesehener Pantomime in Zeitlupe wird dann auch noch durch das defekte Mikrofon von Hohlfeld torpediert. Zu den wenigen Highlights, die die lastende Trägheit im Saal doch noch etwas in Bewegung bringen, gehört Lars Hohlfelds sprühend extravagante Parodie auf Freddie Mercury, für dessen Posen er sich in einen ausgesprochen hautengen und sehr detailverliebten Feinripp-Anzug wirft. Holger Müller findet gegen Ende noch einmal zu gewohnter Form, wenn er kleinen Kindern ("Willst Du was Süßes? Geh zum Opa, der hat Zucker!") genauso herzlos begegnet wie Menschen mit Flugangst, die er während des Flugs mit hektischen Fragen nach einem Ersatz-Piloten verschreckt. Dafür gibt es noch kräftigen Applaus, ansonsten heißt es schnell wegtreten. – erschienen im Januar 2006 in der Westdeutschen Zeitung Düsseldorf
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Normalerweise herrscht in der Tonhalle ja striktes Rauchverbot. Wenn man aber Gäste aus Kuba hat, dann ist das nicht so leicht durchzusetzen. Schließlich gehört eine dicke Zigarre zu den wichtigsten Lebens-Utensilien eines Kubaners. Und siehe da, einer der zehn Musiker, die sich unter dem Namen "The Havanna Lounge" zusammengetan haben und die Bühne der fast ausverkauften Tonhalle betreten, bedient das Vorurteil auf Beste. Zwischen seinen Lippen klemmt demonstrativ ein handgerolltes Prachtexemplar von guten 20 Zentimetern Länge. Der Mann ist überdies der umjubelte Star des Ensembles. Pio Leyva, 88 Jahre alt, ist einer der mittlerweile legendären Sänger aus Wim Wenders Film "Buena Vista Social Club". Neben ihm ist auch der Vokalist Julio Alberto Fernandez aus dem Film mit von der Partie, daher auch der Zusatz "Live from Buena Vista". Trotz Leyvas greisem Alter und seiner offensichtlichen Gebrechlichkeit beginnt er das Konzert direkt mit dem agilen "Chan Chan", einem der größten Hits aus dem Buena Vista Social Club. Aus Bachs Toccata d-moll leiten die exzellenten Begleitmusiker in den Song über, dessen einzigartiger Hüftschwung die folgenden zwei Stunden diktieren wird. Zuvor von Helfern in kleinen Schritten zum Mikrofon geführt, kommt beim Singen schnell Leben in das ledrige Gesicht des Alten. Nach zwei Songs verlässt er die Bühne wieder, den Duft seines qualmenden Rauchwerks in der Kuppel hinterlassend. Er macht Platz für seine jüngeren Kollegen, die in verschiedenen Zusammenstellungen ihre musikalischen Fertigkeiten zeigen. Fast schon beschämend bekommt man die rhythmische Verkümmerung des Zentraleuropäers vor Augen geführt, während die Perkussionisten Luis Mariano Valiente und Tomás Ramos in mitreißenden Soli auf ihrem einfachen Equipment die Synkope eindrucksvoll als Fidels stärkste Waffe im Klassenkampf demonstrieren. Einen weiteren Höhepunkt setzen Rachid Lopez Gomez (Gitarre), Maikel Elizarde Ruano (Tres) und Cesar Bacaro (Bass), die einen temperamentvollen Streifzug durch die Einflüsse der kubanischen Musik unternehmen. Von barocken Tönen, Flamenco, Rumba, Son und Salsa bis zu Mozarts A-Dur Sonate KV 331 werfen sie sich spielerisch und höchst musikalisch die Bälle zu. Zum Finale gibt es in voller Besetzung mit Guantanamera noch Kubas inoffizielle Nationalhymne, bevor der Saal sich seine Zugabe erklatscht. Wer nach diesem Abend fragt "Hat jemand Feuer?", der scheint offenbar nicht zugehört zu haben. – erschienen im Januar 2006 in der Westdeutschen Zeitung Düsseldorf Dass Musik manchmal auch für die Augen etwas hermachen muss, ist nicht mehr nur in den Reihen von Pop-Sternchen bekannt. Auch die Klassik hat den angenehmen Vorzug der gleichzeitigen Umschmeichelung von Auge und Ohr längst erkannt. Ob gewollt oder nicht, seit jeher bietet auch der lettische Cello-Star Mischa Maisky mit seinem versonnenen Blick aus dem charakteristisch geschnittenen Gesicht und dem wallend-silbernen Schopf einen besonderen Anblick. Beim Konzert mit den Düsseldorfer Symphonikern unter Gustavo Dudamel trägt er sein Instrument in grauer Schwalbenschwanz-Jacke aus Chiffon aufs Podium der Tonhalle. Auf dem Programm stehen Stücke, mit denen Maisky schon oft konzertiert hat, Max Bruchs "Kol Nidrei" und das Konzert für Violoncello und Orchester a-moll op. 129 von Robert Schumann. Doch es ist nicht Maiskys bester Tag zum Konzertieren. Wie schon optisch, bleibt er auch musikalisch die meiste Zeit für sich allein. Bruchs Werk wirkt schroff aufs Griffbrett hingeworfen, das starke und schnelle Vibrato sorgt für zusätzlichen Eindruck eines gehetzten Virtuosen. Gustavo Dudamel hat seine liebe Not, den enteilenden Maisky mit den Düsseldorfern wieder einzuholen, sehr zum Leidwesen von dadurch wackeligen und unhomogenen Einsätzen bei Holz und Streichern. Zu einem luftig rauschenden Orchesterklang, das diese Komposition braucht, können die Symphoniker aber so nicht gelangen. Schumanns Cellokonzert verändert das Bild nicht wesentlich. Zwar erlaubt sich Maisky im langsamen Teil ein schönes Duett mit den Bratschen und pizzicato-Streichern, aber der rechte Funke will nicht überspringen. Mit scharfem, fast schneidendem Ton widmet sich Maisky seiner Arbeit, seine gestische Vehemenz im Spiel findet jedoch kaum Widerschein im musikalischen Ausdruck. Etwas enttäuscht sieht man nach der Pause Felix Mendelssohn Batholdys Sinfonie Nr. 5 d-moll op. 107 entgegen. Doch was Gustavo Dudamel mit der Reformations-Sinfonie anstellt, ist weit mehr als nur Wiedergutmachung für den ersten Teil. Er rettet den Abend mit Mendelssohn Bartholdy nicht nur, sondern verwandelt ihn in ein echtes Felix-Erlebnis. Dudamel faltet die Exposition des ersten Satzes mit den plötzlich wieder erstarkten DüSys derart gelungen auf, dass man fast ein anderes Orchester vor sich wähnt. Auswendig legt er seine ausdrucksstark agierenden Hände an jede wichtige Stelle, an jeden Einsatz, an jedes Instrument. Der 25-Jährige aus Venezuela stampft auf dem Podium auf, reißt mit den Händen imaginäre Vorhänge beiseite und hält das Orchester ständig an, nicht nachzulassen. Das sieht nicht nur gut aus, das klingt auch fabelhaft. Kein Wunder, dass er nach den mächtigen Schlusstakten großen Jubel entgegen nehmen kann. – erschienen im Januar 2006 in der Westdeutschen Zeitung Düsseldorf Wann immer das Berliner Septett "In Extremo" eine Bühne betritt, kann man sich auf munteren Zeiten-Mix freuen. Von Hause aus werden die Musiker mit so klingen Künstlernamen wie "Die Lutter", "Flex der Biegsame" oder "Das letzte Einhorn" meist als Mittelalter-Metal etikettiert. Zwar erweitern In Extremo auch das in Metal und Hardcore-Kreisen übliche Instrumentarium von Bass, Schlagzeug und mächtiger Starkstrom-Gitarre durch mittelalterlich anmutende Dudelsäcke, Zinke, Schalmeien, Drehleiern und Harfen. Doch genauso gerne wird auch antikem Kelten-Kult in Kleidung und Accessoires gehuldigt, ebenso wie mittlerweile den Piraten des 15. Jahrhunderts. Unter reichlichem Licht-Spektakel und viel pyrotechnischem Brimborium ist auch die Bühne des Stahlwerks ganz im Stil des Kinofilms "Fluch der Karibik" in opulenter Art mit seeräuberischer Ausstattung in das Schiffsdeck einer Galeere verwandelt worden. In Extremo spielen hier kurz vor Weihnachten während ihrer "Mein rasend Herz"-Tour Songs der gleichnamigen CD wie auch einige alte Lieder, die die gut gefüllte Halle des Stahlwerks aus vollen Hälsen mitsingt. Jubelnd recken die Fans ihre oberen Extremitäten in die Höhe und bereiten den Mannen einen überaus freundlichen Empfang. Mächtig schiebende Bässe und eindringliche Höhen machen in Sekunden klar, wo hier die musikalische Streitaxt hängt. Früher hieß so eine Musik mal Folkrock und kam von Bands wie "Ougenweide", heute darf man es wohl eher in die Nähe von Klängen wie "Rammstein" oder "Schandmaul" positionieren. Die trotz des massiven Phonpegels gut verständlichen Textzeilen wie "Es regnet Blut" im Song "Spielmannsfluch" rücken In Extremo schnell in solch eine Richtung. Dennoch mühen sich die Berliner mit Rückgriffen auf isländische und mittelhochdeutsche Spielmannslieder redlich um Originalität, auch wenn das Lateinische in ihrer Auslegung des "Ave Maria" seine tatsächliche Eignung als Gesangssprache zur verzerrten Gitarre noch nachweisen muss. Wirklich mit Extremen zu kämpfen haben vor allem die historisierenden Instrumente, die sich auf der vor Hitze dampfenden Bühne ständig verstimmen. Bass und Gitarre leiden dagegen nur unter wenigen kurzen Aussetzern in der Verstärker-Elektrik. Frontmann Michael Rhein schildert die Vorgänge etwas dramatischer, wenn er sagt "Ihr könnt es nicht glauben, hier oben raucht ein Teil nach dem anderen ab". Trotz dieser Widrigkeiten bringen In Extremo ihr Adventssingen der anderen Art äußerlich unfallfrei zu Ende. Und unterm Strich bleibt ein gutes Rockkonzert doch auch irgendwie zeitlos. – erschienen im Dezember 2005 in der Westdeutschen Zeitung Düsseldorf Über 45 Jahre hat sie mittlerweile auf der Bühne gestanden, hat seit 1959 angeblich über 1350 Lieder gesungen, noch dazu in so ziemlich allen europäischen Sprachen. Eine Karriere, die sich von Schlager über Folklore bis zum Jazz spannte und deren stärkster Eindruck doch seit jeher von einem schwarzen Kassengestell und einem Strauß weißer Schnittblumen ausgingen. Heute, mit 71 Jahren, hat Nana Mouskouri offenbar genug von Brille und Rosen. Ihm Rahmen ihrer großen Abschiedstournee unter dem Motto "Ich hab gelacht– ich hab geweint" ist die Philipshalle Schauplatz ihres wohl vorletzten Auftritts in Deutschland. Nach einem Diavortrag über Stationen ihres musikalischen Lebens tritt die Mouskouri in wallender Robe auf die Bühne und nimmt die freundliche Begrüßung des Publikums huldvoll entgegen. Schon vor Konzertbeginn liegen Sträuße und Geschenke am Bühnenrand, während der folgenden zwei Stunden werden es stetig mehr. Die Fans sehen es ihr nach, dass ihre Stimme in den Jahren rauer und brüchiger geworden ist, dass ihr Timbre sich von kristallklar zu naturtrüb gewandelt hat. Schon wenige Takte rufen eine merkwürdige Assoziation zu Janis Joplin hervor, die sich erst auflöst, als Nana später tatsächlich deren "Me & Bobby McGhee" anstimmt. Auch anderen Liedern bekommt die Blues-Behandlung gut, mit der sehr guten Begleitband unter Luciano di Napoli bringt sie ein paar Ecken und Kanten in sonst so glatte Schlager-Töne. Trotzdem wirkt Nana Mouskouri über weite Strecken des Abends fahrig, geradezu zerstreut. In ausschweifenden Ansagen zerredet sie Themen, die eigentlich nichts mit der Musik zu tun haben, verhaspelt sich im deutschen Grammatik-Unterholz, rettet sich dann schnell ins nächste Lied. Doch schon zu Beginn, im dritten Song "Mein Herz hat noch Platz für Dich", passiert ihr gar, wovon wohl jeder Sänger übel träumt: Sie muss abbrechen und von vorn beginnen – der Text ist weg. Später verpasst sie in einem Lied noch einmal den Einsatz. "Ich dachte, wir hätten gestern, da hat dieses Lied ein Freund gesungen." Der Saal ist in wohlwollender Stimmung, macht nix, kann ja mal passieren, meint man in den Gesichtern zu lesen. Ohnehin wartet die bis auf wenige lichte Stellen besetzte Halle nur auf ein Lied. Und nach einer Reihe von bekannten und bejubelten Hits – zu "Guten Morgen Sonnenschein" lädt die Mouskouri spontan drei verkleidete Nana-Doubles auf die Bühne ein – folgen dann schließlich jene weißen Rosen aus Athen, die in der französischen Fassung übrigens aus Korfu stammen. Aber darüber jetzt zu sinnieren, hieße Eulen nach Athen zu tragen. – erschienen im Dezember 2005 in der Westdeutschen Zeitung Düsseldorf “Don't let another day go by my love, Als John Lennon am späten Abend des 8. Dezember 1980 vor dem Eingang des Dakota Buildings mit Yoko Ono aus der Limousine stieg, lag ein langer Tag mit Plattenaufnahmen für Yokos neue Single hinter ihm und er wollte sich im heimischen Apartment nahe des Central Parks erholen. Seit 1975 hatte Lennon keine Studios mehr von innen gesehen, die Umstellung auf das neue alte Leben als Musiker und Rockstar war anstrengend und aufregend für den wohl einflussreichsten und wichtigsten Beatle. Nach fünf Jahren hatte es der zurückgezogen lebende Privatier, Vater und Ehemann endlich wieder geschafft, kreativ zu werden und Musik zu schreiben. In kurzer Zeit waren über 20 Songs entstanden, das anbrechende Jahrzehnt gab ihm Auftrieb und neue Inspiration. Als Ergebnis wurde am 17. November 1980 die LP "Double Fantasy" veröffentlicht, bereits am 9. Oktober, Lennons 40. Geburtstag, war die erste Single "Starting over" in die Läden gekommen. Mit dem symbolischen Neuanfang markierte Lennon sein Comeback, auf das die Fans seit 1975 und dem letzten, eher enttäuschenden Album "Rock'n'Roll" gewartet hatten. Die Kritiken gingen zwar nicht gerade zimperlich mit "Double Fantasy" ins Gericht, doch die Verkaufszahlen rechtfertigten immerhin die Planung einer Welttournee. Alles in allem kein schlechter Start in ein neues Leben. Und doch sollten an diesem Dezemberabend die Pläne für John Lennon jäh enden, als der dickliche junge Mann, dem er am Mittag bereits ein Autogramm auf eine Kopie von "Double Fantasy" gegeben hatte, erneut auf ihn zutrat. Dieses Mal aber wollte Mark David Chapman kein Autogramm, dieses Mal feuerte er fünf Schüsse aus seiner Pistole ab. Lennon wurde in den Rücken getroffen und brach im Hauseingang des Dakota zusammen. Noch im Polizeiwagen, der den schwer verletzten Musiker hastig in das Roosevelt Hospital brachte, starb John Lennon. Geboren als John Winston Lennon - seit 1969 nannte er sich John Ono Lennon - ist er seit seinem Tod zu einer Ikone des 20. Jahrhunderts aufgestiegen. Als Musiker, Schauspieler, Schriftsteller, Friedensaktivist, ätzender Zyniker und höchstkreativer Künstler ist sein Einfluss auf das popkulturelle Gefüge der letzten 40 Jahre immens, ja einzigartig. Sein Vergleich der Beatles mit Jesus inmitten der Beatlemania, die Begeisterung und herbe Enttäuschung über die Lehren des Maharishi Yogi, die "War is over"-Kampagnen zu Weihnachten 1969, der an die Queen zurückgesandte MBE-Orden, das Nacktfoto auf der ersten Solo-LP "Two Virgins" mit Yoko Ono oder die friedensbewegten "Bed-Ins" in Hotels in Amsterdam und Montreal - alles längst Teile der Lennon-Legende. Seine Fans erkoren ihn dafür zu ihrer Stimme, zur Stimme einer Generation. Doch hinter der Fassade des "Imagine" trällernden Friedensengels war Lennon mit sich selbst im Krieg. Erdrückt vom engen Beatles-Korsett, das er schon seit Jahren sprengen wollte, eingeholt vom tragischen Verlust der Mutter in seiner Kindheit, entlud sich sein Frust nach der Trennung der Beatles in radikalen Solo-Alben und einem Umgang mit seinen Mitmenschen, der ihn nicht eben zu einem liebenswerten Zeitgenossen machte. Er lieferte sich eine hässliche Scheidung von seiner ersten Frau Cynthia, grätzte gegen seinen alten Busenfreund Paul McCartney, betrog Yoko mit seiner persönlichen Assistentin, floh schließlich in harte Drogen. Die inneren Konflikte, die er früher so erfolgreich in Musik und Texte gießen konnte, brachte er nicht mehr unter kreative Kontrolle. Als Künstler schwieg er schließlich, blieb fünf Jahre lang still. Bis im Dezember 1980 die gerade wieder zu Atem gekommene Stimme endgültig verstummte. "Double Fantasy" wurde zu Lennons Schwanengesang, nach seinem Tod stiegen das Album und die Single auf Platz 1 der internationalen Charts. In der Folge gingen sämtliche Produkte, die sich mit Lennon in Verbindung bringen ließen, weg wie warme Semmeln. Die Plattenhülle von "Double Fantasy", die sich Chapman vor den tödlichen Schüssen hatte signieren lassen, wurde zuletzt im Jahr 2003 für 525.000 Dollar versteigert. Und das Klavier, auf dem Lennon 1971 sein wohl bekanntestes Lied "Imagine" komponierte, ersteigerte der Pop-Star George Michael 2001 für rund 2,1 Millionen Dollar. Im New Yorker Central Park wurden zu Ehren Lennons die "Strawberry Fields" angelegt, ein Gartenareal mit einem tränenförmigen Mosaik in der Mitte. Bis heute legen die Fans dort jeden Tag Blumen, Kerzen und ähnliche Andenken ab. John Lennon wäre in diesem Jahr 65 Jahre alt geworden. Seine Legende hat ihn längst unsterblich gemacht. Weltweit löste die Nachricht von der Ermordung Fassungslosigkeit aus. Mehrere tausend Menschen versammelten sich vor dem Hospital und dem Dakota Building, um dem ex-Beatle zu gedenken und seine Lieder zu singen. Chapman, der sich nach der Tat auf die Straße setzte und zu lesen begann, ließ sich widerstandslos von der Polizei festnehmen, schilderte in der Gerichtsverhandlung abstruse Geschichten und paranoide Wahnvorstellungen, die er als Motive für seine Tat nannte. Er wurde zu zwanzig Jahren bis lebenslanger Haft verurteilt. Der heute 49-Jährige hat bereits mehrfach Gesuche auf vorzeitige Entlassung eingereicht, die allesamt abgewiesen wurde, nicht zuletzt aufgrund Yoko Onos massiver Einsprüche. 2006 kann er erneut ein Gnadengesuch einreichen. Seine Aussichten auf eine Entlassung werden allerdings als sehr gering angesehen. Seit Anfang Oktober 2000 reichte der bereits mehrmals Gesuche auf ein, bisher wurde dies jedes Mal vom zuständigen Ausschuss des US-Staates New York abgelehnt. Nicht zuletzt gaben Briefe von Yoko Ono hierfür den Ausschlag, in dem sie sich gegen eine vorzeitige Haftentlassung Chapmans aussprach. Ono fürchte nicht nur um ihr eigenes, sondern vor allem um das Leben der Söhne Sean und Julian. Die umfangreiche Legendenbildung, die nach dem Tode Lennons eingetreten ist, hat dafür gesorgt, dass weitgehend alles, was mit Lennon in Zusammenhang zu bringen ist, schnell in klingende Münze verwandelt wurde. So kletterten die Verkaufszahlen des Albums "Double Fantasy" nach der Ermordung des Beatle in Millionenhöhe. Zuvor hielten sich die Absätze bei 700.000 weltweit verkauften Exemplaren. Aber auch die einstigen Kollegen der Pilzköpfe blieben nicht tatenlos. Die "Anthology" CDs und DVD mit teilweise bislang unveröffentlichtem Material aller vier Beatles gingen sie wie warme Semmeln über den Ladentisch und unterstrichen das nach wie vor ungebrochene Interesse an Lennon und den Beatles. Am 10. Dezember 1980 wurde John Lennon im Hartsdale Krematorium in New York feuerbestattet. Angeblich steht seine Urne heute noch auf einem Regal in der gemeinsamen Wohnung im Dakota Building, in der Yoko Ono nach wie vor wohnt. – erschienen im Dezember 2005 in der Westdeutschen Zeitung Düsseldorf So richtig geht der Spaß bei Yo-Yo Ma immer erst bei den Zugaben los. Dann ist es eigentlich auch schon fast egal, was er spielt, der Saal liegt ihm gemeinhin längst zu Füßen. Auch in der ausverkauften Tonhalle springen die Zuhörer nach den beiden zugegebenen Klanghupferln aus den Sitzen und bejubeln den Ausnahme-Cellisten. Ma, der in Düsseldorf als Station zwischen London und Stockholm auf seiner Europa-Tournee Halt macht, lässt erst einmal den überreichten Blumenstrauß ins freudig raunende Parkett segeln, dann mimt er den Unentschlossenen, der sich aber dann doch – ach komm, was soll's – zu weiteren Kostproben seines imponierenden Könnens hinreißen lässt. Damit setzt Ma den Geist seines sich zunächst sehr streng ausnehmenden Programms fort, einem exklusiven Abend ganz im Zeichen von Altmeister Johann Sebastian Bach. Ma spielt dessen drei Suiten Nr. 3 C-Dur BWV 1009, Nr. 5 c-moll BWV 1011 und Nr. 6 D-Dur BWV 1012 für Violoncello solo. Zwar hat Bach diese Werke in erster Linie als explorative Etüden erdacht, die die spieltechnischen und klanglichen Möglichkeiten des zu seiner Zeit noch jungen und unausgereiften Instruments Cello weiträumig ergründet und in den Mittelpunkt stellt. Doch was macht Yo-Yo Ma daraus? Von lehrmeisterlicher Strenge oder fingerfertiger Pflichtübung ist er meilenweit entfernt, er erhebt sich über lapidares Exerzieren. Bei ihm entsteht lebendige, traumhaft schöne Musik. Barock, wie man ihn selten in solcher Klangkunst und Musikalität erleben kann. Nur auf einem einzelnen Stuhl auf der Bühne unter der blauen Kuppel, diesmal auch wieder mit kleinen Sternen verziert, entlockt Ma seinem Instrument die Melodien, als ob es kaum Leichteres auf der Welt gäbe. Entspannt zurück gelehnt vollbringt er technisch noch so fiese Fingersätze, die nicht einmal von erhöhter Hustenfrequenz oder vorzeitigem Applaus aus der Konzentration gebracht werden können. Virtuose Effekte sind Ma fremd, wo andere blenden, leuchtet er in feinem piano, strahlt Ruhe und selbstsichere Gelassenheit aus. Und als ob es sonst nichts weiter wäre, zaubert er als Schlusspunkt des regulären Programms noch eine Fassung der "Gigue" der Suite Nr. 6 hervor, die an Sanglichkeit und Dynamik schier überschäumt. Stupende Doppeltriller, federndes Spiccato, flirrend schnelle Läufe und reine Arpeggio-Pracht, das gibt es bei Yo-Yo Ma quasi gratis dazu, vor allem seine innige Verbindung zu Instrument und Werk sind es, die seine Auftritte zu außergewöhnlichen Abenden werden lassen. Wieder einmal sitzt man Yo-Yo Ma mit erstauntem Kopfschütteln ob diesen Übermaßes an musikalischem Können gegenüber. Eine helle Sternstunde unter der Sternenkuppel. – erschienen im Dezember 2005 in der Westdeutschen Zeitung Düsseldorf Taktisch unklug haben die Rolling Stones ihre letzte Studio-CD "A bigger bang" etwas voreilig schon im September veröffentlicht. Da ist Kollege Williams deutlich pfiffiger. Superstar Robbie wirft nämlich seine neuen Klangträger regelmäßig zum Weihnachtsgeschäft auf den Markt. Nun sind aber die Herren Jagger und Co. wiederum in der komfortablen Situation, dass sie nach 40 Jahren immer mal wieder etwas aus den Archiven buddeln können, was man der geneigten Hörerschar angedeihen lassen kann. Und so schieben die Stones unter dem Titel "Rarities" eine Sammlung von 16 Songs aus den Jahren 1971 – 2003 nach, die zeitlich noch locker in alle Weihnachts-Strümpfe passt. Geboten werden feine Trouvaillen alter Live-Aufnahmen und seltener B-Seiten, die insbesondere den treuen Stones-Sammlern die Herzen im Shuffle-Rhythmus hüpfen lassen werden. Ob es aber unbedingt auch Disko-Ausfälle wie den Remix von „Miss you“ hätten sein müssen, lassen wir mal der Festlichkeit halber unkommentiert. Ganz unweihnachtliches Detail am Rande: Bill Wyman, Ex-Bassist und heute persona non grata, ist extra vom Coverfoto entfernt worden. – erschienen im Dezember 2005 in der Westdeutschen Zeitung Düsseldorf
Es gibt ja Spötter, die behaupten, Johannes Brahms' großes Monumentalwerk "Ein deutsches Requiem" op. 45 enthalte eigentlich nur zwei schöne Stellen. Die geringschätzige Anspielung bezieht sich zum einen auf den zweiten Satz "Denn alles Fleisch, es ist wie Gras" und zum anderen auf die Jubelpassage im sechsten Satz zu den Worten "Tod, wo ist dein Stachel". Dass Brahms' Komposition nach Worten der Heiligen Schrift natürlich noch eine ganze Reihe weiterer Höhepunkte bereithält, ist sicherlich auch Leon Botstein bewusst, der bei der Aufführung des deutschen Requiems in der Tonhalle die Düsseldorfer Symphoniker und den Städtischen Musikverein zu Düsseldorf dirigiert. Die Solisten-Partien übernehmen Stephan Ganz (Bariton) und Julie Kaufmann (Sopran), letztere ist kurzfristig für die erkrankte Miah Persson eingesprungen. Leon Botstein hat es also in der Hand, die ganze emotionale Palette des Requiems von Bestürzung und Trauer bis Trost und Hoffnung zu zeigen. Doch leider reicht es nur für eine durchschnittliche Aufführung. Nehmen wir uns als Beispiel den bereits angesprochenen zweiten Satz vor. Es fällt beileibe nicht schwer zu bekennen, dass diese knappe Viertelstunde sicher zum Aufwühlendsten gehört, was der große Schrank der Musikgeschichte bereithält. Die gravitätische Macht der einleitenden Quartschritte und der von den tiefen Chorstimmen zunächst in zartem piano vorgetragene Choral, der sich nach einer gewaltigen Steigerung in hünenhaftem forte entlädt, können den Zuhörer zutiefst erschüttern und mit Macht in den Konzertsessel pressen. Richtig gespielt, kann diese Stelle eine Gänsehaut erzeugen, auf die jeder noch so kalte Winter mit Recht neidisch wäre. Wie gesagt, wenn sie nur richtig gespielt wird. Botstein aber verschenkt große Teile des Wirkungspotenzials durch ein arg schleppendes Tempo und große Zurückhaltung bei dynamischen Steigerungen. Den tröstlichen und ruhigen Aspekte der Partitur mag das gut bekommen, aber über weite Strecken klingt sein Brahms dadurch wie in Watte verpackt, die Konturen des Chors bleiben unter dem dominierenden Orchester unscharf und verwischt. Wobei die Akustik des Saals jetzt nicht mehr als Grund herhalten kann. Durchaus erfreulich dagegen die Leistungen von Julie Kaufmann und Stephan Genz, deren Soli gut in Botsteins Brahms-Bild passen. Kaufmann überzeugt mit ruhig geführter Stimme und samtweichem Vibrato, Genz deklamiert mit eindringlichem Gestus. Viel Applaus aus fast ausverkauften Reihen. – erschienen im November 2005 in der Westdeutschen Zeitung Düsseldorf WZ: Joja Wendt, Sie treiben ja ganz schön viel Schabernack in Ihren Programmen. Joja Wendt: Ja, und das mit wachsender Begeisterung! Schon seit meinen frühen Konzerten hat sich das eingebürgert. Ich bin ja auch eigentlich Kind der Straße, habe als Straßenmusiker angefangen und viel in kleinen Clubs gespielt. Da war die Kommunikation mit dem Publikum immer sehr wichtig. Und das habe ich dann einfach in die großen Konzertsäle mitgenommen. Ich wollte immer schon gerne erzählen, wie die Stücke entstanden sind, was den Musiker umtreibt, wollte auch selbst was über die Musik erfahren. Ich bin gerne dicht dran, das ist nun mal mein Naturell. WZ: Was sind Sie eigentlich für ein Musiker? Sie spielen Jazz, Boogie, Klassik, schreiben Filmmusik und erzählen lustige Geschichten – können Sie sich nicht für eins entscheiden? Wendt: Nein, mir macht einfach viel zu viel Musik Spaß, als dass ich mich auf nur eine Art festlegen wollte. Es wäre ein Jammer, die ganze andere Musik auszugrenzen. Natürlich gibt es Sachen, die ich besser kann, zum Beispiel ganz alte Jazzmusik, dafür schlägt ohnehin mein musikalisches Herz, aber von meiner Mutter habe ich auch ganz viel Klassik mitbekommen. Die habe ich lieben gelernt, genau wie viele Pop-Stücke, die mir sehr gut gefallen. Warum soll man das nicht alles mit einfließen lassen? Wär doch schade drum. WZ: Wie würden Sie dann Ihren Stil mit einem Wort beschreiben? Wendt: Ich bin Pianist und alles, was auf dem Klavier Spaß macht, spiele ich. Meine Message ist: Klavierspielen macht Spaß! Musik ist Musik, da kann man mich schlecht auf einen Punkt bringen. WZ: Gibt es einen Teil, einen Song, auf den Sie sich bei Ihren Auftritten am meisten freuen? Wendt: Oh ja, meistens sind das die Jazz-Stücke und die ruhigeren Balladen. Klar machen die virtuosen Sachen auch viel Spaß, aber wenn in einem Saal mit vielen Leuten so eine romantische Atmosphäre entsteht, finde ich das schon ganz toll. WZ: Stimmt es, dass extra für Sie ein Mini-Flügel gebaut wurde? Wendt: Ja, richtig. Den nehmen wir auch zurzeit mit auf Tour. Der ist ungefähr halb so groß wie ein normaler Flügel und spielt sogar richtig. Den werde ich auch im Savoy Theater dabei haben, Christoph Buhse begleitet mich dazu auf einem Kinderschlagzeug und unser Bassist Thomas Briller auf einem Cello. Zusätzlich ist meine Stimme eine Oktave höher, das ist immer sehr witzig, wenn wir so spielen. Außerdem habe ich noch einen Flügel mit einer Hydraulik, so dass ich mit dem Instrument richtig tanzen kann. Auf den war sogar schon Elton John scharf, er wollte unbedingt auch so ein Teil. WZ: Wer sollte sich ein Konzert mit Joja Wendt anhören? Wendt: Wenn ich mir überlege, welche Leute bisher so alles da waren, kann ich wohl sagen, da ist für jeden was dabei. Sogar für Leute, die sich nicht für Musik interessieren. Für die gibt es eine große Leinwand, auf denen man meine Hände in Großaufnahme beim Spielen sehen kann. Ich versuche, allen etwas zu bieten und bin sicher, es würde allen gefallen, wenn Sie denn erstmal da wären. Das will ich mir erarbeiten, dafür bin ich ein unermüdlicher Kämpfer im Dienste des Klaviers. – erschienen im November 2005 in der Westdeutschen Zeitung Düsseldorf |
Der Popwart
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