Normalerweise herrscht in der Tonhalle ja striktes Rauchverbot. Wenn man aber Gäste aus Kuba hat, dann ist das nicht so leicht durchzusetzen. Schließlich gehört eine dicke Zigarre zu den wichtigsten Lebens-Utensilien eines Kubaners. Und siehe da, einer der zehn Musiker, die sich unter dem Namen "The Havanna Lounge" zusammengetan haben und die Bühne der fast ausverkauften Tonhalle betreten, bedient das Vorurteil auf Beste. Zwischen seinen Lippen klemmt demonstrativ ein handgerolltes Prachtexemplar von guten 20 Zentimetern Länge. Der Mann ist überdies der umjubelte Star des Ensembles. Pio Leyva, 88 Jahre alt, ist einer der mittlerweile legendären Sänger aus Wim Wenders Film "Buena Vista Social Club". Neben ihm ist auch der Vokalist Julio Alberto Fernandez aus dem Film mit von der Partie, daher auch der Zusatz "Live from Buena Vista". Trotz Leyvas greisem Alter und seiner offensichtlichen Gebrechlichkeit beginnt er das Konzert direkt mit dem agilen "Chan Chan", einem der größten Hits aus dem Buena Vista Social Club. Aus Bachs Toccata d-moll leiten die exzellenten Begleitmusiker in den Song über, dessen einzigartiger Hüftschwung die folgenden zwei Stunden diktieren wird. Zuvor von Helfern in kleinen Schritten zum Mikrofon geführt, kommt beim Singen schnell Leben in das ledrige Gesicht des Alten. Nach zwei Songs verlässt er die Bühne wieder, den Duft seines qualmenden Rauchwerks in der Kuppel hinterlassend. Er macht Platz für seine jüngeren Kollegen, die in verschiedenen Zusammenstellungen ihre musikalischen Fertigkeiten zeigen. Fast schon beschämend bekommt man die rhythmische Verkümmerung des Zentraleuropäers vor Augen geführt, während die Perkussionisten Luis Mariano Valiente und Tomás Ramos in mitreißenden Soli auf ihrem einfachen Equipment die Synkope eindrucksvoll als Fidels stärkste Waffe im Klassenkampf demonstrieren. Einen weiteren Höhepunkt setzen Rachid Lopez Gomez (Gitarre), Maikel Elizarde Ruano (Tres) und Cesar Bacaro (Bass), die einen temperamentvollen Streifzug durch die Einflüsse der kubanischen Musik unternehmen. Von barocken Tönen, Flamenco, Rumba, Son und Salsa bis zu Mozarts A-Dur Sonate KV 331 werfen sie sich spielerisch und höchst musikalisch die Bälle zu. Zum Finale gibt es in voller Besetzung mit Guantanamera noch Kubas inoffizielle Nationalhymne, bevor der Saal sich seine Zugabe erklatscht. Wer nach diesem Abend fragt "Hat jemand Feuer?", der scheint offenbar nicht zugehört zu haben. – erschienen im Januar 2006 in der Westdeutschen Zeitung Düsseldorf
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