Gerhard Oppitz ist kein Mann des Kleckerns, er klotzt richtig ran. Gern stellt er anspruchsvolle Programme aus großformatigen Werken zusammen, denen der Begriff „Brocken“ gut zu Gesicht steht. So auch bei seinem Auftritt in der nur leidlich gefüllten Tonhalle, für den Oppitz Ludwig van Beethovens „33 Veränderungen über einen Walzer von Anton Diabelli“ op. 120 sowie die „Symphonischen Etüden“ op. 13 (inklusive der posthumen Variationen I bis V) von Robert Schumann vorbereitet hat. Mit diesen großen Variationszyklen lässt er zwei Kompendien der Klavierliteratur erklingen, die neben Bachs Kunst der Fuge und den 32 Klaviersonaten Beethovens so etwas wie das neue Testament für Pianisten darstellen. Die Diabelli-Variationen stoßen sogar in ihrer vergeistigten Tiefe und den vom Anspruch der Spielbarkeit befreiten kompositorischen Techniken die Türen zum frühen 20. Jahrhundert auf. Beethoven durchbricht in diesem späten Werk nicht nur die gummizellenartige Beschränkung der Variation auf ein Thema nachhaltig, sondern erteilt dem verhassten Verleger Diabelli gleichzeitig noch 33 schallende Ohrfeigen. Gerhard Oppitz’ untadelige, jahrelang an Liszt erprobte Fingertechnik ist natürlich beeindruckend, er beackert seinen Flügel mit wunderbarer Geläufigkeit und Präzision. Doch das der Musik innewohnende Schatzkästchen emotionaler Vielschichtigkeit öffnet sich nur einen Spalt weit. Kaum hämmert er das eröffnende Thema Diabellis rasant in die Tasten, weiß man: Aha, es geht in Beethoven-fulminanter Manier zu. Etwaige Walzerseligkeit, die andere Kollegen herausgearbeitet haben, lässt Oppitz außen vor. Durch harmonische und erhabene Momente fliegt der passionierte Pilot, ohne sie so genussvoll auszukosten wie er es etwa mit den trotzigen „resoluto“-Vorschlägen der Variation 9, der hämmernden Nr. 28 oder dem schwirrend-diffusen Akkordrausch der 6. Variation tut. Nur an wenigen Stellen fühlt man sich der Zeit enthoben, kann man den von Beethoven aufs Notenpapier gezwungenen Kampf zwischen Walzer und Wahnsinn nachfühlen. In Schumanns Symphonischen Etüden, oder auch „pathetischen“, wie er sie in seinen Briefen an Clara nannte, bleibt Oppitz im Tempo á la Florestan, den lyrischen Eusebius lässt er auch hier meist in der Garderobe. Für viel Applaus streichelt er als Zugabe dann noch ein Intermezzo seines Leib- und Magen Komponisten Johannes Brahms aus den Tasten. – erschienen im April 2005 in der Westdeutschen Zeitung Düsseldorf
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Der Popwart
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