Keine Nostalgie - nur Energie! Normalerweise sind Abende, an denen altgediente Bands ein anniversiär in die Jahre gekommenes Album komplett spielen, gern schwierig, weil die Platten mitunter auch mal irgendeinen Füller enthalten. Da werde dann schlappe Songs zu Gehör gebracht, die unnötig Zeit kosten und Platz für die guten Songs kosten. Nun kann man einwenden, dass eine LP früher und eine CD heute sowieso selten länger als 45 Minuten dauerte, insofern ist neben dem Album in voller Länge sowieso noch genug Platz für mehr gute Songs. Die Wildhearts haben das 2015 ganz gut erledigt, als sie zuerst ihr 1995er PHUQ-Album durchgespielt und anschließend rund 45 Minuten Best of Zugaben drauf gelegt haben. D-A-D legen 2016 noch eins drauf, sie spielen nicht nur ein Album in voller Länge, nein, sie kramen gleich zwei LPs ihrer größten Zeit aus der Mottenkiste. Hintereinander weg erklingen heute in der Bochumer Zeche “Riskin’ It All” von 1991 und der einstmalige Durchbruch “No Fuel Left For The Pilgrims” von - boah - 1989. Puh, ist das lange her. Ja, genau, denn erst vor zwei Jahren waren die vier Dänen schon zum 30. Jubiläum unterwegs.Aber genau da setzt Jesper Binzer ein und verkündet eingangs zitiertes Credo. Dieser Abend sei nicht dazu da, in Vergangenem zu schwelgen, sondern die Energie von einst wieder zu beleben. Und wie gut das wieder klappt. Mit “Bad Craziness” von “Riskin’ It All” startet die Zeitreise, bringt das Album in seiner originalen Spielfolge. Die Fans kennen das Album in- und auswendig, haben es unzählige Male mitgesungen. Und als es zu der berühmten Zeile “I won’t cut my hair” kommt, da muss man schon schmunzeln, wenn dies aus Mündern tönt, deren arg gelichtetes Haupthaar längst nicht mehr den Aufwand dieser Gegenwehr rechtfertigt. Anschließend gibt es 15 Minuten Pause für Klo und Bier im Saal sowie frische Klamotten für die Band, bevor es rückwärts durch “No Fuel For The Pilgrims” geht. Angefangen mit dem krachigen Schlußstück “Ill Will” bis zum LP-Opener und heutigem Höhepunkt “Sleeping my Day Away”. Da ist es schon 23:10, und endlich erklingt der Song, auf den viele hier gewartet haben. Und auch nach 30 Jahren spielen D-A-D diesen ihren größten Song so hinreißend, als hinge er ihnen nicht längst zum Halse raus, als wäre er nicht längst Fluch geworden, so wie es Lemmy einst über Motörheads Joch “Ace of Spades” beklagte. Die abschließende Zugabe “It’s After Dark” ist nach Jesper Binzers Ansage wirklich nur eine absolute Ausnahme. Er hält zum “Beweis” einen imaginären Zettel hoch: “Sehen Sie, auf dem Fahrschein steht: Nur zwei Album spielen!” Wenn das der Schaffner wüsste... Am Ende weiß man wieder, warum man gekommen ist. Ein Konzert von D-A-D ist ein höchst unterhaltsames Ereignis, egal, ob es eine aktuelle Platte zu promoten ist oder “nur” ein Jubiläum. Kaum eine Band versteht es, musikalisch so eindrucksvoll, mitreißend und so sympathisch und unterhaltsam einen Abend zu gestalten. Natürlich ist da weit vorne Stig “Stigge” Pedersen, der Ex-Kindergärtner, der sowohl im Napoloen- oder Robin-Hood-Ornat eine gute Figur macht, der mit seinen skurrillen selbstgebauten zweisaitigen Bass-Gitarren-Kreationen gleichermaßen Verwunderung und Begeisterung hervorruft. Oder der sagenhaft gute Laust Sonne, der letzte Rock-Schlagzeuger, der mit traditioneller Jazz-Griffhaltung spielt und in seinem Schlagzeugsolo von den Fans angefeuert wird: “Komm schon, Laust, wir lieben Dich” (diesmal sogar noch von Jesper Binzer gesteigert zu “Komm schon, Laust, verheirate uns!”) . Oder Jacob “Cobber” Binzer, Gitarrist und Schönspieler, wie es nur noch ganz wenige gibt. Noch mehr als mit Laust Sonne ist mit Jacob Binzer endlich die ewige Frage nach dem unterschätztesten Gitarristen der Welt ein für alle Mal beantwortet. Der Mann spielt so unglaublich schöne Sachen… Und schließlich Jesper Binzer, Sänger, Gitarrist und Conferencier erster Güte. Seine Ansagen sind mit das Beste, was einem zwischen guten Rocksongs passieren kann. Seit 1989 haben D-A-D bislang sieben weitere reguläre Alben rausgebracht, wir können uns also auf ein paar weitere Jubiläums-Energie-Abende freuen! Mange tak D-A-D.
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Der Popwart
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