In der Abenddämmerung des 15. September 1945 hat der amerikanische GI offensichtlich geglaubt, er sähe einen bewaffneten Schwarzhändler vor dem Haus im österreichischen Mittersill. Das Aufglimmen der Zigarre, die sich Anton Webern dort vor der Wohnung seines Schwiegersohns trotz Ausgangssperre gönnte, hat in tragischer Missdeutung der Situation schließlich dazu geführt, dass die US-Streife drei Schüsse auf den Komponisten abfeuerte, an denen dieser noch am Abend verstarb. Dabei ging von dem Komponist der Zweiten Wiener Schule doch höchstens eine Bedrohung der Hörgewohnheiten des übereifrigen Soldaten aus. Zum Gedenken an Weberns 60. Todestag präsentiert Mark-Andreas Schlingensiepen mit dem notabu.ensemble und der Sopranistin Anna Maria Pammer ein umfangreiches Programm aus Weberns Oevre im Robert-Schumann-Saal. Weberns Kompositionen, von denen er nur 31 mit einer Opus-Zahl versah, sind auf der Suche nach neuen Ausdrucksmitteln zunächst atonal komponiert, später folgte er seinem Lehrer Arnold Schönberg auf den Weg der Zwölftontechnik nach. Bemerkenswert ist die aufs dichteste gedrängte Kürze der Stücke. Alle 31 nacheinander gespielt würden nicht einmal drei Stunden in Anspruch nehmen. Die Liste der gespielten Stücke ist daher lang, viele Umbauten sorgen für lebhaftes Kommen und Gehen auf der Bühne. Das notabu.ensemble musiziert mit konstanter Hingabe die vielen ins Extrem getriebenen Kompositionsparameter, die Webern aufs Papier bannte. Sowohl das längste Werk, die „Passacaglia“ op. 1, mit rund zehn Minuten Dauer, als auch das Kürzeste, eines der „Fünf Orchesterstücke“ op. 5, das bereits nach sechs Takten und knapp 20 Sekunden verklingt, kommen zu Gehör. In den „Sechs Stücken für Orchester“ op. 6 ist es wiederum die größte Besetzung, die Webern je vorgesehen hat, dagegen zeigen die minimalistisch besetzten „Drei Lieder“ op. 18 die weitesten Intervallsprünge in der Gesangstimme. Zwischen den tonsetzerischen Polen zeigt Schlingensiepen aber auch den Kern der Webernschen Musik. Trotz aller logischen Strenge ist es immer individuelle Expressivität, nach der Weberns strebte. Zuweilen hat er sogar die Kompositionslogik etwas beschummelt, um den von ihm gewünschten Ausdruck besser zu erreichen. Anna Maria Pammer legt dieses drängende Suchen mit großem Nachdruck in ihre Interpretation der Liedkompositionen. Bewundernswert ihre Leistung, die klippenartigen Melodiegefälle sicher zu meistern. Die musikalischen Rechenspiele und thematischen Knobeleien des „Quartett“ op. 22 und des „Konzert für neun Instrumente“ op. 24 machten Webern später zum Star der seriellen Avantgarde in den 1950er Jahren. Doch für ihn, der trotz aller künstlerischer Anfeindungen und späterer Isolation stets an seinen Klangidealen festhielt, kam der Ruhm zu spät. – erschienen im September 2005 in der Westdeutschen Zeitung Düsseldorf
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