Große Erwartungen und mindestens ebenso große Vorfreude von 10.000 Besuchern füllen den ISS Dome bis endlich die schmale Silhouette des Protagonisten nach zwei Stunden erschöpfenden Vorprogramms am Bühnenhintergrund auftaucht. Sofort tost der Jubel dem aktuell mächtigsten Drahtzieher im Popgeschäft entgegen. Pharrell Williams, Sänger, Komponist, Produzent, Mode-Designer und schneidiger Geschäftsmann seines eigenen Vermarktungskonzerns „I Am Other“, hält in Düsseldorf auf seiner „Dear Girl Tour“ schlicht, aber effektiv inszeniert Hof. Natürlich trägt er dazu einen seiner zum Markenzeichen avancierten Hüte, dazu knallig rote Turnschuhe und an Hals und Hose eine Menge an städtisch-jugendlichem Mode-Firlefanz. Der 41-jährige, musikalisch beachtlich multipel begabt, spielt in Düsseldorf eine Revue seines retro-soulgetränkten Schaffens. Dabei verlässt er sich neben seiner exzellenten 4-köpfigen Begleitband nur auf zwei Sängerinnen sowie eine Handvoll Tänzerinnen, die auf der aufgeräumten Bühne hin und herflitzen und damit wohl dem Tourneetitel fleischgewordenen Tribut zollen. Weiters verzichtet Williams möglichst auf Tamtam, lässt superb live musizieren und spielt gerne den bemerkenswerten Charme seiner Falsettstimme aus. Reihenweise dürfen dazu auch handverlesene Fans zu ihm auf die Bühne, um mit ihm zu tanzen. Vieles bleibt dabei allerdings angedeutet, Songs werden nur halb gespielt, um schnell in den nächsten überzuleiten. „There are other songs I had something to do with, you know?“ Ob dies nun im Saal jeder wissen will, sei infrage gestellt, aber so kommen auch noch Songs an die Reihe, die Pharrell für andere Künstler geschrieben oder produziert hat. Etwa „Hot in Herre“ von bzw. für Nelly oder „Drop it like it‘s hot“, welches Snoop Dogg einst zu Ruhm brachte. Das weitere Programm liefert Lieder wie „Hollabonk Girl“, „Marylin Monroe“, „Blurred Lines“ und natürlich am Ende auch die erwarteten „Get Lucky“ und „Happy“. In Summe also vielleicht ein kaum überraschender, aber durchweg überzeugender Abend, der nach rund 90 Minuten ohne Zugabe, aber viel Konfetti zu Ende geht. – erschienen im September 2014 in der Westdeutschen Zeitung Düsseldorf
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Der Stand-Up Comedian Reginald D. Hunter ist in seiner Wahleimat Großbritannien (einer der wenigen sprichwörtlichen Hochburgen des Humors) alles andere als ein unbeschriebens Blatt. Mit Programmtiteln wie „A Nigga Runs Through It“, „Trophy Nigga“ oder auch „Pride and Prejudice… and Niggas“ hat er bereits einige Leute ordentlich vor den Kopf gestoßen. Wer ihn einmal selbst auf der Bühne erlebt hat, merkt schnell, dass er sich wirklich nicht lange mit trockenem britischen Humor aufhält. Vielmehr mag es der 45-jährige US-Amerikaner direkt, mitunter auch sehr direkt. „Engländer sind viel zu verliebt in das Indirekte“, beschwert er sich. Vielleicht schlägt er auch deshalb gerne feste dort drauf, wo es politisch unkorrekt weh tut. Das blieb nicht ohne Folgen und es hagelte üble Vorwürfe. Grund genug also, sich einmal mit ihm zu unterhalten. Aber schon vor der ersten Frage platzt es aus ihm heraus: Reginald D. Hunter: Oh, ich bin noch nie von einem Deutschen interviewt worden, das ist sehr aufregend! P: Sie waren noch nie in Deutschland? RDH: Doch, einmal. Aber das war während meiner Zeit beim US-Militär. P: Aber noch nie vor deutschem Publikum aufgetreten? RDH: Ja, so muss man es wohl ausdrücken. P: Nun, ich fürchte, Sie sind in Deutschland noch nicht so bekannt wie in ihrer Wahlheimat Großbritannien. RDH: Sie haben da nichts zu befürchten. Es sollte eher mir Angst machen! P: Mit das Erste, was man über Sie im Internet findet, ist der Vorwurf, sie seien rassistisch und frauenfeindlich. RDH: Ach, ja, das habe ich auch gelesen... P: Nicht der beste Einstieg, oder? RDH: Das sollen andere beurteilen. Ich bin eigentlich maximal indifferent gegenüber solchen Vorwürfen. Allerdings finde ich bei diesem Thema vor allem eines ärgerlich: Das soll alles sein, was ich bin? Mehr gibt es nicht über mich zu sagen? Niemand ist doch bloß zwei Dinge, oder? P: Ihre Programme heissen „A Nigga Runs Through It“, „Trophy Nigga“ oder auch „Pride and Prejudice… and Niggas“. Damit haben Sie offensichtlich Leute verärgert. Vielleicht benutzen Sie zuviele Kraftausdrücke? RDH: Ich benutze zuviele Kraftausdrücke? Verglichen mit wem? P: Mit mir...?! RDH: Oh ja, ich habe Sie noch nicht schimpfen hören, insofern, ja, dann benutze ich vielleicht mehr Schimpfworte. Aber ich bin Künstler und benutze viele Worte. Und nichts von dem, was ich sage oder tue, halte ich für besonders schmutzig, unter der Gürtellinie oder beleidigend. Die Dinge, die Sie über mich gelesen haben, sind von über-privilegierten, über-anspruchsvollen und leicht zu schockierenden Weißen geschrieben worden, die von allem geschockt sind, woran sie nicht glauben. Auch der Vorwurf, frauenfeindlich zu sein, kommt aus dieser Ecke. Aber wissen Sie, welche Frage Sie mir eigentlich hätten stellen müssen? Warum ich nach all den Erfahrungen, die ich mit Frauen hatte – ich wurde hintergangen, betrogen und habe mich mit ungewollten Schwangerschaften auseinander gesetzt - warum bin ich eigentlich noch nicht wirklich frauenfeindlich geworden? Warum mag ich sie immer noch? Das ist die eigentlich interessante Frage. P: Versuchen Sie vielleicht, den Menschen mit ihren Geschichten über Probleme im interkulturellen und intersexuellen Umgang miteinander einen Spiegel vorzuhalten? RDH: Nein, das habe ich früher gemacht. Irgendwann hab ich diese Überzeugung aber abgelegt. Die Menschen, denen man versucht, einen Spiegel vorzuhalten, sind hinterher immer noch die gleichen Arschlöcher wie vorher. P: Wenn ich Sie empfehlen sollte, mit welchem anderen Künstler darf ich Sie vergleichen, den man vielleicht bei uns kennt? RDH: Sting! Ich bin Sting sehr ähnlich. Ich schreibe auch künstlerisch sehr tiefgründige Texte, benutze schöne Worte und beschreibe verschiedene Formen der Liebe, allerdings mit mehr Witzen und Intensität. P: Sie stammen aus Georgia, USA, und sind mit 27 nach London gekommen. Warum? RDH: Nun, ich war 27 und habe darauf gewartet, dass etwas Außergewöhnliches passiert. Und ich wusste, dass mir nicht mehr viel zeit blieb. Also sagte ich mir, egal, geh ich halt nach London. P: Warum London? RDH: Das war der möglichst weit entfernteste Ort, an den ich mit meinem verbliebenen Geld und meinen Sprachkenntnissen gehen konnte. Wäre ich reicher gewesen oder könnte ich Deutsch oder Französisch, wäre ich vielleicht auch woanders gelandet. P: Und Ihre Absicht war, Stand-Up Comedian zu werden? RDH: Nein, ich habe erst Schauspielerei studiert. Stand-Up habe ich einfach mal ausprobiert, ohne mich groß vorzubereiten. Ich war pleite, gerade gefeuert worden und dachte, ist doch egal, versuch ich's einfach mal. Und manchmal klappt "ist doch egal" ganz gut, deshalb bin ich dabei geblieben. P: Also würden Sie diesen Weg auch anderen empfehlen? RDH: Naja, es kommt immer auf den jeweiligen Menschen an. Wissen Sie, warum es bei mir geklappt hat? Weil ich Amerikaner bin! Wir Amerikaner sind programmiert auf Optimismus, selbst wenn es offensichtlich hoffnungslos erscheint. Amerika hat die meisten selbstsicheren dummen Leute auf der Welt produziert. P: Ihr Programm wird auf Englisch sein. Wie ist Ihre Erfahrung, vor Publikum zu spielen, dessen Muttersprache nicht Englisch ist? RDH: Ganz unterschiedlich. In Teilen Europas sprechen die Menschen gut Englisch, woanders nicht. Mein Programm ist sehr universell und ich selbst habe eine sehr gute englische Aussprache, insofern sollte jeder mit rudimentären Englischkenntnissen viel Vergnügen mit mir haben. Aber Sie haben recht, es ist ein bisschen wie ein blind date. P: Freuen Sie sich auf Ihren ersten Auftritt in Deutschland? RDH: Oh ja, ich kann es kaum abwarten, etwas Neues zu erleben. Deutschland kann der Anfang von etwas Neuem sein, oder auch nicht, aber ich freue mich, ich liebe Herausforderungen. Egal, ob mich alle verstehen oder mich nicht kennen, ich werde der beste Reginald sein, der ich sein kann und es wird mir einen Riesenspaß machen. – erschienen in gekürzter Form im September 2014 in der Westdeutschen Zeitung Düsseldorf
Der Schnellpoptopf: Musikgeschichte(n), schnell erzählt und ohne harten Faktenzwang. Heute: Metallica. Cliff Burton. Black Album. Yeeaaawwwww! Eigentlich reichen diese drei Hinweise, um es Metal-Fans herausprusten zu lassen: 'tallica!! Was diese dann nicht mehr so gerne hören wollen, sind so Worte wie: St. Anger. Lars Ulrich. Lulu. Das sind ziemliche Abturner und der Umgang mit diesen Kapiteln der Bandgeschichte unterscheidet zwischen den so-ein-bisschen-Metallica-Fans und echten Metallica-Die-hard-Anhängern. Letztere sehen der Band nämlich sogar *das* nach. Warum wir heute eigentlich noch über Metallica reden und wofür man James Hetfield, Lars Ulrich, Dave Mustaine und Cliff Burton zunächst natürlich in die offiziellen Metal-Annalen eintragen darf, ist die Tatsache, dass sie Anfang der 1980er – während die anderen Schwermetaller damals ihre Haare noch im Vierviertel-Galopp von Iron Maiden, Saxon oder Judas Priest schwingen ließen – dem Heavy Metal ein neues Genre hinzugefügt haben: Speed Metal*. Metallica brachialisierten den Sound ihrer Zeit in eine Musik, die endlich danach klang, wonach Kiss immer ausgesehen haben. Die "Schockrocker" Kiss dagegen klangen damals leider immer mehr so, wie die Bay City Rollers aussahen. Wofür man Metallica heute am liebsten im Gedächtnis hält, ist, dass sie mit Cliff Burton mal den coolsten Bassisten der Welt hatten, der in Zeiten von Neon-Spandex-Hosen (hallo Bruce Dickinson) immer noch als Hippie rumlief, inklusive Geezer-Butler-Matte, Schlaghosen, verzerrtem Wah-Wah-Bass und – wie cool ist der Kerl – ein Bass-Solo auf der Debüt-LP. Allein dafür sei ihm ewiger Ruhm zuzugestehen. Er ist der Einzige, der jemals Lemmy von Motörhead auf den Thron des personifizierten Heavy Metals hätte folgen können. Hätte. Denn am 27. September 1986, Metallica waren in Schweden auf Tour, kredenzte ihnen das Rock'n'Roll-Schicksal einen fest gemeißelten Eintrag in das dicke Buch der Musiktragödien: Der Tourbus verunglückte und Cliff Burton kam bei dem Unfall mit gerade mal 24 Jahren ums Leben. Metallica verloren den Mann, von dem sie selbst immer sagten, er sei der Musikalischste von ihnen gewesen. In der Besetzung James Hetfield, Lars Ulrich, Jason Newsted am Bass und Kirk Hammett an der Gitarre wuchsen Metallica in den Jahren danach zu Stadiongröße heran, wurden immer erfolgreicher, an Reichtum reicher und, wie so oft, an Sympathien ärmer. Sie veröffentlichen einen Genre-Klassiker nach dem anderen, bis in der Folge des "Black Albums" die stilistische Zerfaserung und Suche losging. Mit den Alben "Load" und "Reload" waren die Metallica ursprünglicher Prägung dann eigentlich erledigt. Das sind aber andererseits zwei sehr gute Platten, Marianne Faithful singt auf einer mit. Aber es nur eben keine Metallica-Platten mehr. Und weil sie mit Musik nix mehr vom Teller zogen und es ihnen offenbar auch sonst langweilig wurde, suchten sie sich andere Betätigungen. James Hetfield professionalisierte seine Trunksucht, Jason Newsted flirtete mit anderen Bands (wofür er dann auch später rausgeworfen wurde) und Schlagzeuger Lars Ulrich machte in Kunst. Sein Modell: Irgendwelche Bilder kaufen und dann teuer verhökern, weil sie dann ja mal ihm gehörten. Und er outete sich im Rahmen seines digitalen Kriegs gegen die Download-Börse Napster als unglaublich humor- und sympathieloser Typ, wofür er heute noch inbrünstig gehasst wird. Die als "Reiß-Dich-zusammen"-Selbsterneuerung geplante Platte "St. Anger" ging dummerweise komplett "dans le pantalon", wie der Tscheche sagt. Auf der das Drama dokumentierenden DVD "Some Kind of Monster" kann man sich das Debakel schön mit ansehen, inklusive der Wahl des sehr, sehr fähigen, aber auch sehr, sehr unpassenden neuen Bassisten Robert Trujillo. Traurig. Tja, das bis dato letzte Album "Death Magnetic" war auch nix, Metallica sind im Jahr 2014 zu einer Festival-only-Band erstarrt, die alte Metallica-Hits on demand runternudelt. Auch traurig. Und Lulu. Alter Schwede. Lulu! Darüber mag man kaum sprechen. Dass die Zusammenarbeit von Metallica und Lou Reed (Lou Reeeeed!!) derart unnütz und frappierend ennuierend werden würde, hätte man sich nicht träumen lassen. Sehr traurig. Fazit: Alter Metallosaurus, der mal stilprägend wirkte. Hatten mal den coolsten Bassisten der Welt, haben heute nur noch den unsympathischsten Drummer der Welt. * Speed Metal? Der ein oder andere mag aufschreien: Das ist doch Thrash Metal! Oder Trash Metal! Oder sonstwas. Wie auch immer. Vielleicht widmen wir dem Thema Stilkunde und seinen wirren Blüten auch noch mal einen Aufsatz ;) Eure Mütter aus Stuttgart haben sich in der Vergangenheit ja schon immer gerne den ganz großen Fragen der Zeitgeschichte gestellt. Sie haben dem deutschen behördlichen Urheberrechtsverwalter mit dem Song „Der Typ, der bei der GEMA die Titel eintippt, ist ein ganz blöder Penner“ ein ewig gültiges Denkmal gesetzt und sich mit fester Meinung zu solchen Phänomenen wie Mittelalter-Märkten geäußert. Tja, und dann war da eben auch noch diese Sache mit der Skrotum-Frisur... Ein Thema, dessen sich die Mütter mit der ihnen eigenen besonderen Umsicht unter Abwägung aller Vor- und Nachteile angenommen haben. Ich zitiere aus dem mütterlichen Youtube-Chanel: Gut, dass wir da nochmal drüber gesprochen haben. Aber zurück zum aktuellen Auftritt der Mütter in Düsseldorf. Es kommt nicht oft vor, dass ein ohnehin schon sehr guter Abend durch eine Zugabe noch zu etwas ganz Hervorragendem geadelt wird. Noch dazu, wenn es sich sogar schon um die zweite Zugabe handelt. Denn eigentlich war im mittlerweile fünften Mütter-Programm „Bloß nicht menstruieren jetzt!“ im ausverkauften Savoy Theater bereits alles gesagt, alles besungen und über alles gelacht. Fast! Denn nach guten zwei Stunden führen Andreas „Andi“ Kraus, Donato „Don“ Svezia und Matthias „Matze“ Weinmann vor, wie man einen Comedy-Abend in aller Form und gründlich vollendet. Dazu brauchen sie noch nicht mal mehr als etwas so alltägliches wie die Haarpflege. Die drei veranstalten ein „Synchron Haare waschen“ Spektakel, bei dem sich die statt wie sonst in schwarz bekleideten Jungs mit weissen T-Shirts (alle mit „Duftig“ beschriftet) sowie weissen Unterbuxen hinter drei Eimer positionieren, sich gegenseitig mit Tanzbewegungen einer Boygroup Shampoo ins Haupthaar (und jene engen Buxen) verabreichen, um dann gemeinsam ihre Köpfe in die besagten Eimer zu stecken, dass es nur so spritzt. Anschließend werfen sie ihre klatschnassen Häupter in ausladenden Bewegungen zum Rhythmus der Musik hin und her, wobei sie auf der Bühne ein wunderbares Schlamassel aus Schweiß, Schaum und Wasser anrichten. Ein vor Freude johlendes Publikum ist der Dank für derlei wunderbar anzusehende Mühen. Darin liegt wohl auch das Geheimnis des Humors mütterlicherseits. Aus vermeintlichen Nebensächlichkeiten zaubern unsere Mütter mit leichtfüßiger Musik epische Schilderungen voller Dramatik und Tiefe. Das Benutzen öffentlicher Verkehrsmittel („Erstmal aussteigen lassen“) ist ihnen als Thema genauso geeignet wie der Einkauf von Gemüse, auf dessen Verpackung „Brokkoli extrem“ zu lesen ist. Was die Mütter zu einer dreistimmig gesungenen Ode an weitere Power-Pflanzen wie „Spinat brutal“ oder „Blumenkohl bizarr“ inspiriert. Desgleichen gilt für die individuellen Eindrücke vom Brustschwimmen („Das geht auch schneller“) oder ein kleines Auto-Musical mit einem pedantischen und lispelnden TÜV-Prüfer. Zwischendurch werden auch noch Femen-Aktivistinnen als „Sexy Femen Baby“ und ein Galaxy SS als Beitrittsgeschenk zur NPD abgehandelt. Und als ob das noch nicht genug wäre, zeigen die Mütter auch noch, wie man die Programmpause mit einem kleinen Literaturwettbewerb im Publikum sympathisch überbrückt. So wird‘s gemacht! – erschienen in gekürzter Form im September 2014 in der Westdeutschen Zeitung Düsseldorf
„Meines Erachtens jagt hier heute ein Witz den anderen!“ Das verkündet ein glänzend aufgelegter Helge Schneider selbstsicher auf der Bühne der „Mitsibishi Elektrohalle“, wie Schneider den Ort seines Gastspiels in Düsseldorf nennt. Als „Pretty Joe & die Dorfschönheiten“ ist er im Rahmen dieser seiner angeblichen Abschiedstournee an der Siegburger Strasse zu Gast. Er betont im Laufe des Abends immer wieder, dass er im Februar 2015 endlich in Rente ginge und ihm dann sage und schreibe 405,16€ monatlich zustünden. Dem Anlass entsprechend hat der 59-Jährige nebst Perücke eine enge schwarze Lederhose sowie eine passende schwarze Lederjacke mit langen Fransen angelegt. Auf seinen bereits zum Markenzeichen gewordenen hohen Plateau-Schuhen stolziert, stakst, tanzt und schlendert er über die Bühne und macht sich für die rund 3.000 Besucher in der Halle zum Kasper. Bereits im Vorfeld hatte Helge angekündigt, dass er ein Programm spielen wolle, dass ganz in der Tradition seiner frühen Phase mit der Band „Hardcore“ stehe. Und ja, er erzählt wie früher unglaublich abstruse Geschichten und viel lustiges dummes Zeug, das von vielen alten Liedern wie „Ladiho“, „Tanz auf dem Vulkan“, „Meisenmann“ oder auch „100.000 Rosen“ unterbrochen wird. Helge greift dabei zu einer Reihe verschiedener Instrumente, zeigt am Vibraphon, Hammond-Orgel, E-Gitarre und Saxofon sein Können Mit Peter Thoms ist in der aktuellen, erstklassig aufspielenden Begleitband sogar ein Original-Mitglied von Hardcore dabei. Auch mit von der Partie sind Bodo, der langjährige Teekoch sowie Sergej Gleithmann in seiner Paraderolle als Gymnastiktrainer und Ausdruckstänzer. Seine Mitmusiker, die ihrem Chef sowohl auf‘s Wort bzw. Handzeichen folgen – selbst wenn dieser mit der linken Hand gerade Klavier und mit der rechten Hand gleichzeitig Trompete spielt – haben offenkundig großen Spaß, sie lachen hinter Schneiders Rücken immer wieder über dessen Albernheiten. Wie schwer muss es da sein, wenn Helge nach einer skurrillen Story plötzlich ansatzlos in ein Lied verfällt und die Band sofort mitziehen muss. Doch es gelingt immer wieder ohne erkennbare Mühe. Glaubt man Helge, dass er seine Konzerte nicht groß probt, darf man Peter Thoms (Percussion), Carlos Boes (Blasinstrumente), Sandro Giampiedro (Gitarre), Willy Ketzer (Schlagzeug) sowie Kai Struwe (Bass) und Rainer Lipski (Tasteninstrumente) ob dieser musikalischen Konzentrationsleistung höchsten Respekt zollen. Helge brilliert an diesem Abend wieder einmal als die grelle Parodie eines Schlagerfuzzies, zelebriert einen Retro-Helge in Höchstform. Und natürlich fehlt auch nicht das „Katzeklo“, mit dem er vor mittlerweile 20 Jahren berühmt wurde. Dieses Lied sei übrigens mittlerweile Schulstoff in Japan! Ein großartiger Helge-Abend! – in gekürzter Form erschienen im September 2014 in der Westdeutschen Zeitung Düsseldorf
Heute habe ich von Apple das neue Album "Songs of Innocence" von U2 geschenkt bekommen.
Uih. Boah. Einfach so. Voll nett. Allerdings bewegt sich das Gefühl mit der geschenkten Platte irgendwo zwischen "geschenktem Gaul" und "bitte keine Werbung". Denn bestellt oder gewollt hab ich die neue von U2 eigentlich nicht. Können U2 nix für, die waren mir noch nie richtig wichtig (bis auf die eine Party 1988, wo ich gerne Klammer-Blues zu "Sunday, Bloody Sunday" tanzen wollte). Aber nun drückt mir Apple einfach so ungefragt eine Platte in meine Musiksammlung. Ist natürlich naiv zu glauben, dass das "einfach so" passiert. Ich vermag zwar als Letzter die wirkliche Tragweite dieses musikgeschäftlichen Schachzugs einzuschätzen, aber zuerst mal haben U2 jetzt mal schlappe 500 Millionen Alben abgesetzt. Nicht schlecht für eine Band, deren letzte Veröffentlichung vermutlich nicht direkt 500 Millionen Abnehmer gefunden hat. Aber undankbar wie wir nun mal sind, mehren sich die Stimmen jener, die sich auch nicht so recht über dieses Geschenk freuen mögen. Ein höfliches "Thanks, but no thanks" ist des Öfteren zu vernehmen. Vergleicht man U2 jetzt mal mit der normalerweise üblichen Wirtschaftlichkeit von Spam (dabei kommt auf 12,5 Mio. Aussendungen ein (in Worten: 1) Kaufabschluss zustande, also knapp 0,00001%), dann haben 500 Mio. Alben immerhin noch 40 Leute glücklich gemacht. Ist doch was. Apropos: Reingehört habe ich in die "Songs of Innocence" natürlich auch mal. Nun ja. Wie gesagt, ich mache mir nicht viel aus U2, heute immer noch nicht. Mein Punkrock-Herz wollte ein bisschen weinen, als ich las, dass es Joey Ramone in den Eröffnungstitel "geschafft" hat. Aber komm, ob U2 sich mit Joey Ramone schmücken oder Celine Dion "You shook me all night long" covert, das können wir locker aushalten, das tut weder dem Joey noch AC/DC wirklich weh. Also, Apple und U2, danke vielmals. Aber darf ich nächstes Mal stattdessen lieber einen iTunes Gutschein haben? “It’s a litte known fact, I see everything black. And I don’t want to face it.” Irgendwie schaut er ja immer ein wenig traurig drein, der Herr Kotzen. Einen richtigen Grund dafür kann man von außen eigentlich nicht feststellen, auch wenn ihm im deutschsprachigen Raum die ewigen Witzchen über seinen Nachnamen vermutlich schon sauer aufstoßen. Dabei gibt es so viele schöne Dinge davon zu berichten, als er mit den Winery Dogs auf der Bühne der Matrix in Bochum, ein an diesem Abend mit rund 800 Menschen gefüllter Keller, bei der Arbeit zu beobachten ist. Zumal der Mann beneidenswert multipel begabt ist. Er spielt mit seinem eigentümlichen Fingerpicking unheimlich gut eine unheimlich hübsche Telecaster, er tastet unheimlich schön auf einem alten E-Piano herum und sein Gesang klingt unheimlich kräftig und bluesig. Manchmal so, wie Chris Cornell gerne klingen würde, der wiederum unheimlich ähnlich wie der junge David Coverdale intoniert. Und dann sieht Richie Kotzen auch noch unheimlich gut aus (wobei ich mich auf das Urteil der überraschend vielen anwesenden Damen verlassen muss, die den Herrn Kotzen teils sehr verliebt anschauen...) Den Winery Dogs, wie sich heute präsentieren, hat man aufgrund der Provinienz ihrer Beteiligten bereits schnell das Prädikat Supergroup verpasst. Stehen bzw. sitzen neben Richie Kotzen schließlich noch die hochprofilierten Frickler Billy Sheehan am Bass und Mike Portnoy am Schlagzeug. Unser Mr Kotzen spielte ja weiland schon bei Poison und Mr Big Gitarre, wo er bei letzteren auch mit Billy Sheehan gemeinsame Sache machte. Nimmt man dann noch jenen Mike Portnoy dazu, der mit Dream Theater den Progressive Rock der frühen 1970er wieder in die Gegenwart verfrachtet und mit ordentlich Heavy Metal angereichert hat, würde man eigentlich schon vorab abwinken wollen. Zu nah liegt bei einem so geballten Potenzial an instrumentaler Fingerfertigkeit, gepaart mit selbstverliebter Spielfreude, der Generalverdacht, dass man sich bei einem Winery Dogs Konzert einen Abend lang drei Meister beim Angeben antun muss. Das wissen die Winery Dogs natürlich auch selbst. Einer Kampfansage gleich und als Selbstverständnis zu verstehen, betreten die drei Amerikaner die Bühne nach Grand Funk Railroads "We're An American Band". Dieser Song ist als Intro eine kluge und sinnstiftende Wahl, referenziert er doch sowohl die musikalischen Wurzeln, das Bandformat als auch jenen den Amerikanern eigenen Nationalstolz. Nach dem eröffnenden "Elevate" spielen die Dogs in Bochum ihr selbstbetiteltes Debüt komplett durch und ergänzen es mit einigen Songs aus den jeweiligen Solo-Karrieren von Sheehan (das etwas krawallige "Shyboy") und Kotzen (eine unheimlich schöne Akustik-Verson von "Doin' What The Devil Says To Do") sowie einigen Coverversionen (u.a. "Hey Joe", sehr schön aus ihrem "Six Feet Deeper" hinein verschleppt). Auch wenn sich Kotzen und Co. beim Songwriting ihres gefälligen Hardrocks gerne mal für genretypische und manchmal etwas klischeehafte Lösungen entscheiden, kann man die Winery Dogs nicht als schlichte Epigonen-Kapelle abtun. Dafür ist ihre Musik dann doch wieder zu stark, wie etwa das unheimlich gute Riff von "I'm No Angel", das traumwandlerisch schön hingeschmachtete "Regret" (mit Richie Kotzen am E-Piano) oder das so unheimlich hübsche Textzeilen enthaltene, eingangs zitierte "Elevate". Hüddelditüddeldi von Onkel Billy Natürlich zeigen die Herren auch oft und gerne, dass sie ihre jeweiligen Instrumente richtig gut beherrschen. Da gibt's für jeden seinen ausgiebigen Solo-Spot mit ganz, ganz vielen Noten. Billy Sheehan, der sich wie ein netter Rock-Onkel aufführt und seinen Bass auch mal in Publikum hält mit der freundlichen Aufforderung, mal ein bisschen Lärm zu machen, liefert in seinen fünf Minuten ganz viel Hüddelditüddeldi und lustige Verrenkungen hinter seinem Arbeitsgerät. Indes ist die babyblaue Lackierung seines Bass in einer Rockband schon ein bisschen schwierig. Mike Portnoy, der seiner Vorliebe für obszön große Schlagzeuge heute abend schönerweise entsagt und stattdessen ein kleines Bonham-Kit verprügelt, ist ein ebensolcher Trickser, der vielleicht ein bisschen zuviel angibt mit seinen Stockwirblern und Taschenspielertricks. Zwischenzeitlich verlässt er sogar seinen Sitzplatz und trommelt sich quer über die Bühne. Weit weg von einstigen Superstar-Status (alle drei haben mit ihren Ex- bzw. Hauptbands bereits Stadien gefüllt) sind jedoch nicht nur Fans jener "anderen" Bands zu Besuch nach Bochum gekommen. Nein, es sind offenbar genuine Winery Dogs Fans, die die Songtexte kennen und auch Favoriten unter den Liedern schon bei den ersten Klängen laut bejubeln. Ein lauter, verschwitzter, enger, toller Abend.
Erinnert sich noch jemand an den Golf Bon Jovi? Oder den Golf Genesis, Pink Floyd oder Rolling Stones? Damals dachte ich ja in pessimistischer Voreiligkeit, das popularmusikalische Abendland jage PS-gestärkt seinem betrüblichen Ende entgegen. Wie weit konnte sich eine Band von ihrer Kernkompetenz des Musizierens hin zum Kommerz entfernen, lamentierte ich still in mein Tränenfläschchen. Ich dachte ja immer ganz träumerisch, die Herrschaften seien die ganze Zeit innig mit ihrer Musik beschäftigt, so dass sie nicht auf solche bescheuerten Ideen kommen müssten. Falsch gedacht. Nun ist das Trauma kaum einige Jahre überwunden, als mich jüngst die Auslage meines Lieblingsgetränkemarkts ruckartig stehenbleiben lässt und ich mir feste die Augen reibe. Ich muss zweimal hinsehen, um überhaupt zu registrieren, wessen ich da ansichtig werde. Eine Weinflasche. Dunkles, fast schwarzes Glas. Darauf ein tiefrotes Etikett. Und der Schriftzug von Slayer. Was? Eine Weinflasche mit Slayer-Logo. Wein. Von Slayer. Echt jetzt? Ich blicke nach rechts und links, beuge mich dann weit vor und studiere das Label genauer. Ein Cabernet Sauvignon, lese ich. Aha. Daneben steht "Reign In Blood", der Titel ihres Meilenstein-Albums von 1986. Oha. "Wine In Blood" kalauere ich in Gedanken. Und während ich meinen Kopf wieder langsam von der Schaufensterscheibe löse, weitet sich mein Blick auf die Flaschen daneben. Fast sinke ich auf die Knie, als ich mit offenem Mund über das weitere Angebot staune. Weine von Kiss, Pink Floyd und den Rolling Stones stehen hier einträchtig neben Slayer, die Jungs von Iron Maiden reihen ihr "Trooper"-Bier neben jenes von AC/DC und Motörhead. Wobei die beiden letztgenannten sogar die alte Warnung "Bier und Wein, das lass sein" missachten, sie haben beides im Angebot. Nuja, im Unterschied zu Autos mag man ja bei den Getränken rufen, immerhin geht's um Alkohol. Das ist ja im hier angeprochenen Genre keine unbekannte Größe. Milch hätte da argumentativ deutlich schlechtere Karten. Aber – die eine Frage drängt sich noch vor dem einsetzenden Durst auf: Warum das denn nun wieder? Savoir-vivre statt Sex, Drugs & Rock'n Roll Lassen wir mal die naheliegende Erklärung einer schlicht weiteren Merchandising-Einnahmequelle beiseite. Wozu brauchen Slayer einen Wein? Zum Schöntrinken der Musik? Die Vorstellung einer philosophischen Runde am Couchtisch, bei der man zu den sonst eher flach argumentierenden Herren Araya & Co erst gepflegt das Weinglas an die Lippen führt, um anschließend das Haupt entfesselt zur Musik kreisen zu lassen? Nicht schlecht. Ein weinseliges, leidenschaftliches Diskutieren über die literarische Tiefe von "Angel Of Death"? Fällt ehrlicherweise schwerer als die Vorstellung, ein "Trooper" zu öffnen und lauthals "The Trooper" mitzusingen. "Schockrocker" Alice Cooper wurde ja jüngst kreuzbrav auf einem Golfplatz gesichtet (ha, Golf! Da isser wieder.) Vielleicht erleben wir dann eines Tages Lemmy Kilmister, der seinen sonst präferierten Jack Daniels kurz beiseite stellt und uns als Sommelier von Aromen unreifer Haselnüsse seines Motörhead-Shiraz vorschwärmt. Vielleicht werfen wir dann auf dem nächsten Motörhead-Konzert zu "Ace Of Spades" ja mal feinen Wein auf die Bühne statt immer nur die prekariären Bierbecher? Mir schwant, da ist demnächst wohl mal ein Selbstversuch nötig. Wäre doch interessant rauszubekommen, ob das Bier von AC/DC anders dröhnt als das von Motörhead? Oder ob der Wein der Stones lustiger macht als der von Pink Floyd? Aber darf ich am Steuer eines Golf Genesis eigentlich ein AC/DC-Bier aufmachen? Ich glaub, jetzt ich geh mir erstmal einen Opel Corsa Steffi Graf kaufen. PS: Offensichtlich ist das Modell von Band-Getränken eine tragfähige Sache, ansonsten würde es wohl nicht mindestens zwei Online-Shops geben, die sich allein diesem Markt widmen: http://www.rock-drinks.de http://metal-and-wine.com/de
Heute hat Nick Drake Geburtstag, deshalb geht's ein bisschen in die Nick-Drake-Forschung. Gerade Pink Moon ist dabei wohl das zweispältigste Werk Nick Drakes. Unter den Fans gibt es die Fraktion, die es für unfertig, halbherzig und hingeschludert halten. Für die anderen (zu denen auch ich mich bekenne) ist es ein vielleicht unfertiges, keinesfalls aber halbherziges Album. Im Gegenteil, Nick Drake hat mit den elf Songs auf dieser gerade mal 28 Minuten kurzen Platte sein von Depressionen verhülltes und fast schon abgestorbenes Herz mit den ihm verbliebenen Kraftreserven auszuschütten versucht. Womit wir bei dem traurigen Teil der Geschichte angekommen sind. Die letzten Jahre Nick Drakes sind geprägt von einer schweren depressiven Erkrankung, die am Ende auch zu seinem frühen Tod 1974 geführt hat. Seit jener Nacht im November 1974 schießen die Spekulationen ins Kraut, ob es nun Selbstmord oder nicht war. Als Grund für die Depression wird von Drake-Chronisten gerne die Enttäuschung über den ausbleibenden Erfolg seiner Musik ins Feld geführt. Von Außenstehenden immer wieder über den grünen Klee gelobt, blieben die Verkaufszahlen seiner LPs immer weit hinter den Erwartungen zurück. Aus den Irritationen wurden Zweifel, aus den Zweifeln eine existenzielle Krise. Insbesondere ein Song zeichnet für mich ein klangliches Bild der seelischen Verfassung Nick Drakes: "Horn", ein 1:20 Minuten kurzes, auf das schmerzlichst wenigste reduzierte Gitarrenstück. Eine kleine Melodie, in deren engem Tonraum sich zwei Sekunschritte aneinander reiben und dazu eine kaum als solche zu nennende Begleitung, die apathisch auf einem Ton verharrt. Harmonisch bleibt Horn unbefriedigend, findet kein richtiges Ziel und auch das Erreichen des Grundtons löst kaum die zuvor entstandene Spannung. Ein Lied wie eine offene Wunde. Es tut schon fast weh, sich diesem vor sich hinschleppenden Song auszusetzen. Man kann "Horn" als Ausdruck großer Verzweiflung und klingende Depression verstehen. Nick Drake wird seine Gründe gehabt haben, dieses Stückchen Musik auf seine LP zu nehmen. Das es seine letzte sein würde, wusste er vermutlich nicht. Schaut man nun auf das posthum veröffentlichte Werk, ist insbesondere das Album "Made To Love Magic" interessant. Enthält es doch Aufnahmen, die auch im Zeitraum von Pink Moon und später entstanden sind. Unter den Songs ist auch eine Version des Songs "Hanging On A Star". Dieses Lied wurde gerne als Ausdruck von Nick Drakes Verbitterung und seinem Ärger über den ausbleibenden Erfolg interpretiert. Er beklagt sich darin, wieso ihn die Leute quasi hinter'm Mond zurücklassen, obwohl sie ihn doch angeblich so super finden. Why leave me hanging on a star? Zum Nachhören habe ich keinen besseren Link gefunden, als die "Reinhören"-Funktion bei amazon. Vergleicht man nun "Horn" mit "Hanging On A Star", stellt man beim Konzentrieren auf die Gesangsmelodie zum obigen Text fest, dass die beiden Songs auf der gleichen Melodie fußen. Natürlich ist bei "Star" die Gitarrenbegleitung geschmeidiger, die Rhythmik gestraffter und die Akkordstruktur ausgearbeiteter – aber die zugrunde liegende Gesangsmelodie ist in "Horn" bereits angelegt. Insofern kann man bei "Horn" von einer frühen Skizze sprechen, aus der Nick Drake später "Hanging On A Star" entwickelt hat. Gut möglich, dass Nick Drake bewusst beim Schreiben neuer Lieder auf frühere Songideen zurückgegriffen hat (ist nix falsch dran, gerade, wenn man das Ergebnis betrachtet, und andere haben's auch gemacht). Vielleicht ist es auch einfach Zufall, vielleicht war "Star" einfach noch nicht fertig, als Nick Drake seinen Pink Moon aufnehmen wollte und er (in mystisch verklärter Vorahnung) noch schnell das Material zu Magnetband geben wollte, was er hatte. Vielleicht beleuchtet es aber auch den gedanklichen Prozess von Nick Drake bei seiner kompositorischen Arbeit, gint Einblick in den Entstehungsprozess eines Songs, den wir hier in zwei seiner Entwicklungsstadien berachten bzw. hören können. Wenn es denn also einmal auf die einsame Insel geht – nicht vergessen, Pink Moon einzupacken!
Eigentlich ist es ja immer so eine Sache mit dem Erklären von Witzen. Sobald es für das Zünden einer Pointe erst noch einiger begleitender Worte bedarf, ist der Lacherfolg meist schon dahin. Noch dazu, wenn es um Themen geht, die nicht in jedermanns Alltag gegenwärtig sind oder für die man kein so intensives Interesse aufbringt, wie der Spaßvogel in spe. In solch eine missliche Lage begibt sich der Düsseldorfer Comedian Jens Heinrich Claassen im fast voll besetzten Theateratelier Takelgarn freiwillig. Mehr noch, mit seinem aktuellen Programm „Frauen an den Nerd“ nähert er sich sogar zwei als überaus gefährlich und schwierig geltenden Themen: Frauen und Technik. Aber er meistert sein selbst gewähltes Dilemma auf der Bühne mit Bravour. Claassen ist an diesem Abend ganz Nerd, ein sozial tendenziell isolierter Fachidiot, wie er es nennt, der sich zwar über die Maßen an Zahlen, Schach und alten Rechnern erfreuen kann, dafür aber im Umgang mit Frauen so unbeholfen und befremdet ist, wie die meisten Besucher beim Anblick der fast schon musealen Computer, die er begeistert aus einer Tasche mit dem Logo des Ur-PCʻs C64 hervorkramt. Stolz hält er solche Schätze hoch wie eine Datassette oder einen klobigen „Vor-Vor-Vor-Vor-Vorgänger“ aktueller Tablet-Rechner. Seine Interessen gehen dabei so weit, dass er sich auf seinem Smartphone amerikanischen Flugfunk zum Einschlafen anhört. Dass das Werben um die Herzen von Singlefrauen bei solchen Vorlieben meist schwierig verläuft, manchmal aber auch skurrile Züge annimmt, davon zeugt Claassens wunderbares „Pi-Lied“. Eine kleine Ode an eine Affäre mit einer Mathematikerin, deren Text im Wesentlichen aus den über 100 Nachkommastellen der Kreiszahl 3,14 besteht. Unter Kontrolle des beeindruckten wie begeisterten Publikums schafft es Claassen tatsächlich, 115 weitere Ziffern fehlerfrei aufzusagen bzw. zu singen. Später gelingt ihm sogar, in ein aus dem Stegreif improvisiertes Lied eine Strophe in der Programmiersprache Basic zu singen. Das ist wahres Nerdtum. Hohe, wenn auch für viele Menschen vielleicht ein wenig unnütze Kunst. Als ein weiteres Hindernis bei der Suche nach seinem Gegenstück nennt Claassen noch seinen Hang zum starken Schwitzen. Er sei nunmal ein „Mensch mit Transpirationshintergrund“, der früher im Winter hinter sich streute, damit niemand auf dem überfrorenen Schweiß ausrutscht. Am Ende ist es eine schlichte, aber schöne Erklärung, mit der Jens Heinrich Claassen sein bestens unterhaltenes Publikum nach Hause schickt. Er sei im wahren Leben schon oft genug ernst, daher wolle er sich mit seinem Nerd-Tun das Kind in sich bewahren und wünscht sich nur eins: Nicht erwachsen werden. Denn auch mit 37 fühle er sich immer noch wie der 6-jährige Jens, der im Hochsommer im Garten für Regen betet, damit er endlich wieder in sein Zimmer an seinen Computer darf. – erschienen im Juni 2014 in der Westdeutschen Zeitung Düsseldorf
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Der Popwart
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