Mit leisem Kopfschütteln treibt es die ersten Gäste etwa nach zehn Minuten aus dem spektakulär schönen Alten Kesselhaus der Böhlerwerke. In den Gesichtern meint man Ärger über das Einrittsgeld und Unverständnis für solche Radaubrüder zu lesen. Offensichtlich ist man nicht darauf vorbereitet, was die Uraufführung von „WAVES for two Orchestras“, einem Werk des britischen Komponisten Howard Skempton, bereithält. Es sollten aber die einzigen Gäste bleiben, die sich um das Erlebnis dieses Konzerts bringen. Zur Einstimmung dirigierte Gildas Harnois das altstadtherbst orchester durch Skemptons „Konzert für Drehleier, Perkussion und Kammerorchester“. Dieses selten zu hörende Stück baut auf die Beziehung des feinen Melodietons der Drehleier (gespielt von Matthew Spring) und ihrem brummenden Orgelpunkt. Man denkt bei den versonnenen Melodien an schottisches Hochland und sattgrüne Butterverpackung, bis das Schlagwerk (Patrick Andersson) effektvolle Kontrapunkte setzt. WAVES ist geschrieben für ein klassisch besetztes Orchester, das aber große Räume lässt für Improvisation. Diese Aufgabe übernehmen die von Frank Köllges geleiteten „Adam Noidlt Missiles“, einem auf den ersten Blick zusammengewürfelten Haufen von Schlagzeugen, E-Gitarren, Bläsern und Sprech-Performance, der keinem festen Vorbild einer Besetzung zu folgen scheint. Skemptons tonal komponierte Musik in WAVES wirkt fragil und zart, bewegt sich vorsichtig in ihren motivisch-harmonischen Grenzen und ist auch für das ungeübte Ohr schnell zugänglich. Die spontanen Beiträge der Adam Noidlt Missiles sind alles andere als das: Sie gackern, bellen und kreischen mit ihren Instrumenten, erzeugen eine Geräuschwand, stellen Chaos dem Komponierten gegenüber. Ihre Krach-Raketen überspülen das Orchester immer wieder, bis der listige Skempton zeitweise den Platz mit Köllges tauscht und dieser nun das Orchester leitet, ohne dass es dessen eigens für die Missiles entwickelten Dirigatzeichen so recht deuten kann. Skempton ahmt derweil das ihm unbekannte Dirigat von Köllges abwechselnd vor beiden Ensembles nach und entfesselt so selbst furiose Klänge. Die Musiker wirken dabei wie Kinder, denen man wildes Toben erlaubt hat. Umso witziger, dass die anarchistischen Wellenreiter dann ausgerechnet in einem biederen Walzer zueinander finden und das Konzert im ¾-Takt vereint beenden. Ein grandioser Abend! – erschienen im September 2004 in der Westdeutschen Zeitung Düsseldorf
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Der Popwart
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